Attacke Azteka: Airen auf der Suche nach Peyote
In seinem Blog Attacke Azteka schreibt Schriftsteller Airen über seine Erlebnisse im Mexiko. Auf dem Kräutermarkt sucht er nach Peyote.
Mit seinen Roman „Strobo“ und „I Am Airen Man“ brachte Airen das Leben zwischen Beats und Drogen in Berlin aufs Papier. Seine neue Heimat: Mexiko. Von dort aus schreibt er über den Hedonismus auf der anderen Seite der Welt – in unserem Blog „Attacke Azteka“.
Der Kräutermarkt von Sonora im Zentrum von Mexiko City. Wirre Gänge, niedrige Tische, Totem, Voodoo, Hexerei. Ein unübersichtliches Gedränge im Weihrauchdunst des Aberglaubens. Der Markt von Sonora: Umschlagplatz des Halblegalen, Börse der Ungläubigen, Kirmes der Zauberer und Hexen. Draußen Buden mit Wurzeln und Kakteen, mit Kräutern, Pilzen und Extrakten. Getrocknete Aale hängen von der niedrigen Decke, benutzte Hufeisen, exotische Muscheln, aus den Läden raunt es: “Eine Reinigung, schwarze Magie, ein heiliges Band!”
Erst mal draußen zu dem Gemüsestand: “Haben Sie vielleicht einen Peyote-Kaktus?”, flüstere ich dem Verkäufer dezent ins Ohr.
“GABRIELA, HABEN WIR PEYOTE?”, schreit der quer über den Markt. Leider sind die Meskalin-Kakteen gerade aus. Sind über Ostern alle weggegangen. “Nee, kommen erst Montag wieder!”.
Aus dem Innern dringt der Geruch von Räucherstäbchen. Ich gehe rein, es ist dunkel und verwinkelt, unter einem tiefen Wellblechdach steht Stand an Stand. Die Leute drängen sich vorbei an bunten Amuletten, beschrifteten Kerzen, toten Vögeln, Amphibienskeletten und Tierhäuten. Die engen Gänge sind mit kleinen Tischchen zugestellt, darauf Ketten, bunte Kerzen, Kräuter und Muscheln. Von irgendwo kommt schmachtende mexikanische Volksmusik.
Und überall Figuren der “Santa Muerte“, des Heiligen Tods, Ikone einer mexikanischen Underground-Kultur, Schutzheilige der Kriminellen und Knastbrüder, der Drogensüchtigen und Diebe. Es sind vor Allem alte Leute, die diese Geschäfte hier betreiben, Überbleibsel einer Zeit, in der Zauberei noch common sense war in Mexiko, als man noch lieber zum curandero ging, zum Heiler, als zum Arzt.
Ich möchte mich einer limpia unterziehen, einer spirituellen Reinigung. Hilft gegen alle schlechte Energie, böse Zauber, Pech im Allgemeinen. Jedes Mal, wenn irgendwas schief ging, wenn man mich mal wieder abgezogen hatte, ich unerklärlich krank wurde, riet man mir: “Lass dir eine limpia machen! Irgendwer hat dich verhext!”
An einem Esoterik-Stand tief im Inneren des Marktes spreche ich die Verkäuferin an: “Machen Sie hier vielleicht limpias?” Nein, die Heilerin sei gerade nicht da. Vielleicht am Montag. Außerdem mache man auch nicht einfach so eine limpia, erklärt mir der fette Verkäufer. Es müsse schon ein konkreter Grund vorliegen.
Okay, denke ich: Der Meskalin-Dealer ist nicht da, die Hexe ist nicht da – geht hier heute überhaupt noch was?
Ein paar Gänge weiter. Ein mit Tüchern verhangener Stand. Vor dem Eingang ein klimperndes Kling-Bing aus hängenden Holzfäden, darüber ein großer Stierkopf mit Riesenhörnern. Ich streife den Vorhang beiseite und finde ich mich in einem wohlriechenden Voodoo-Mikrokosmos wieder. Ein bisschen so wie ein bayrischer Goa-Laden. Afrikanische Holzmasken an den Wänden, daneben Schafsköpfe, Fischgebisse, Federn, Seesterne, Rauch, und zwei Indianerinnen, die auf breiten Sitzkissen sitzen. “Kann man mir hier eine limpia machen?”
– “Ja, oben ist die Heilerin.”
Ganz hinten im Shop führt eine Treppe nach oben. Man führt mich mit melodramatischem Gestus zur ersten Stufe. Ab hier muss ich es alleine schaffen. Über wacklige Metallstäbe steige ich nach oben, und dort, in diesem kleinen überirdischen Kabuff, sitzt dann wirklich die Hexe. Eine dicke Indianerfrau, vom Land offensichtlich, zahnlos und fett, so sitzt sie da und wartet wohl den ganzen Tag im Muff der Räucherstäbchen darauf, dass sich dann und wann Kundschaft zu ihr nach oben verirrt.
“Du willst also eine Reinigung?”, fragt sie mich.
– “Ja. Mir ist in letzter Zeit viel Scheisse passiert.”
“Ich spüre viel negative Energie in dir.”, befindet sie.
Dann erklärt sie: “Eine Reinigung kostet 100 Pesos. Wenn du es mit einem Ei machen willst, 150. Ein Enten-Ei nimmt mehr negative Energie auf, als ein Hühner-Ei.”
Wir versuchens erstmal ohne Ei. Mein Blick fällt auf das komische Tarzan&Jane-Poster hinter ihr. Weiche Dekaden faden über jeden Style. Weiter hinten in den Regalen liegen Farbbüchsen, daneben komische Kalksteine.
Ich soll die Sonnenbrille abnehmen. “Wie ist dein voller Vor- und Zuname?” Ich muss meinen deutschen Namen zweimal wiederholen, bis sie es checkt. Dann soll ich mich umdrehen. Die Heilerin steht jetzt hinter mir, mein Blick geht auf die engen Treppen nach unten. Was wohl jetzt kommt? Ein glucksendes Geräusch. Meditative Stille, ein paar Momente der Spannung, ein tiefes Gurgeln… dann spuckt mir die Frau unvermittelt ins Genick. “Chrr-Pschtt!!!”
Sie hatte wohl vorher Alkohol in den Mund genommen, denn langsam steigt der Geruch meines geliebten Fusels zu mir auf. Mit einem Kräuterbusch wuschelt sie nun in meinem Genick rum. Die Hexe verfällt in undeutliches, schnelles Gemurmel, klingt ein bisschen so wie diese Schnellredner bei amerikanischen Kälberauktionen: “…soll alles Böse von ihm abfallen, im Namen des Vaters und des Sohnes, Geister geht, geht, geht, kein böser Zauber soll mehr auf ihn fallen, reinigt ihn von allem Bösen, schützt ihn bitte, sollen seine Wünsche in Erfüllung gehen, nimm alle Flüche von ihm, befreie ihn und lass es ihm gut ergehen… ”
Der Busch ist mittlerweile zwischen meinen Beinen angekommen, dann schlägt sie damit auf meinen Rücken, murmelt weiter, dann soll ich mich umdrehen: “Leg dir die Hände vors Gesicht!”
Ich drehe mich zu der Hexe, lege die Hände vors Gesicht, dann wieder das gurgelnde Geräusch, dann spuckt sie mir plötzlich mitten ins Gesicht. Alkoholische Tropfen aus ihrem Mund treffen meine Lippen. Mit dem Kräuterbusch fährt sie weiter über meinen Körper, hebt meinen rechten Fuß an, fährt mit den Kräutern über meine Füße, spuckt mir dann nochmal von unten auf den Körper. Jetzt den linken Fuß. Ich soll mich nun hinsetzen.
Auf dem Tisch breitet sie ein Kartenspiel aus: “Suche neun Karten aus!”
Mit den Karten auf dem Tisch beginnt die Frau zu analysieren: “Du musst innere Blockaden überwinden, dann wird es dir auch im Geschäft gut gehen. Diese Blockaden verhindern deinen Erfolg. In deiner Beziehung musst du reden, sonst wird alles kaputt gehen.” Es könnte auch das Horoskop von Steinbock März ´87 sein. Labert noch irgendwas weiter, aber ich bin schon nicht mehr interessiert. Schließlich blättere ich die hundert Peseten hin und steige wieder nach. Aber hey, immerhin: Seitdem ist mir kein Unglück passiert!