Interview

Lambert im Gespräch: Der Pianist, der auf Pfützen spielt


Neo-Klassik-Sonderling Lambert erzählt im exklusiven Interview, warum sein neues Album eigentlich nie eines sein sollte, sondern sich als vermeintliche Song-Sammlung diverser Untergrund-Künstler längst im Besitz eines ominösen holländischen Musik-Bloggers befinden müsste. Außerdem geht es um den musikalischen Höhepunkt, wenn der DHL-Postbote klingelt sowie weitere erstaunliche Anekdoten aus dem Leben des Stiermasken-Mannes.

Pfützen, Sträucher, Mauern, Klaviertastaturen – Lambert spielt auf allen Oberflächen, auf denen sich ansatzweise Akkorde simulieren lassen. Zehn ausgebildete Finger und ein Händchen für Harmonik, Melodien und den beruhigendsten Klang seit der Erfindung von ASMR haben den wundersamen Wahl-Berliner vom Geheimtipp zur Szenegröße avancieren lassen. Seine Stücke verzaubern, seine stets maskierte Erscheinung schafft Platz für Rätsel: Wer ist dieser Typ, wo kommt er her – und warum spielt er so schön?

Mit den Jahren hat sich so manches Gerücht über Lamberts Identität als Farce entpuppt und der Schöngeist in Stiermaske zählt heute zur Stammbesetzung eines noch recht jungen Genres, das mit „Neo-Klassik“ mehr schlecht als recht unter einen Hut gefasst wird.

Jetzt steht Lambert an einem kleinen Berliner Skatepark im Regen und wartet auf den Journalisten für einen kleinen Ausflug durch die völlig überfluteten Schotterwege am Maybachufer. Der Anlass: Lamberts neues Album FALSE, das ein musikalischer Bruch mit den gewohnten ruhigen Gefilden seiner Musik ist, dank denen Lambert seit seinem Durchbruch 2014 eine Karriere erlebt, an die er selbst nicht mehr geglaubt hat.

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Musikexpress.de: Dein neues Album erinnert an ein Thema, über das man bei Kreativitäts-Forschern wie Henning Beck oder Bas Kast immer wieder stößt: den Schema-Bruch. Indem man mit routinierten und gewohnten Schemata bricht, wird das kreative Denken nachweislich stimuliert. Das kann beim Belegen eines Brots beginnen, aber natürlich auch beim Bruch mit Erwartungshaltungen, einer künstlerischen Identität oder eben eines Genres. 

Lambert: Ehrlich gesagt, hat ein bewusster Stilbruch oder eine Neuerfindung für mich überhaupt keine Rolle bei FALSE gespielt. Die große Enthüllung: Das Album war nie als Album gedacht.

Sondern?

Lambert: Mich hat mal ein Holländer angeschrieben und gefragt, ob ich ihm nicht ein Mixtape mit coolen Untergrundkünstlern für seinen Blog zusammen stellen will. Ich habe mir gedacht: Joa, gut, kann ich natürlich machen, aber interessiert mich eigentlich nicht”. Was mich hingegen interessiert hat, war, dass ich das Mixtape ja auch einfach selber komponieren und produzieren könnte, um danach zu ihm zu sagen: „Hier, das habe ich gefunden – supergeheime Musik, die kennt noch niemand!” 

Jetzt kommt das „aber”, oder?

Lambert: Aber das hat der nicht angenommen. Er meinte, er wollte eigentlich nur so neo-klassischen Weichspüler-Kram, den man im Hintergrund laufen lassen kann. Ich glaube, da habe ich die Aufgabe nicht so richtig verstanden. Ich dachte, ich darf mich austoben. 

Aber das hast Du doch gemacht.

Lambert: Ja, habe ich auch. Für mich war’s cool. Ich hatte auch einfach Zeit und Bock und wollte da ohnehin kein Geld für haben. Aber dann hat Mercury KX das später gehört und die meinten, die finden das richtig gut und würden das gerne rausbringen.

Also kein gezielt kontrastierter Selbstentwurf, was?

Lambert: Genau. Der Gedanke Wie erfinde ich mich jetzt neu?” war nie Teil meines Prozesses. 

Das ist natürlich entspannt, wenn man das einfach so aus dem Ärmel schütteln kann.

Lambert: Ja, das stimmt. Ich bin auch total glücklich damit, jetzt so ein Ergebnis zu haben, ohne mich im Vorfeld lange mit der Frage nach meinem nächsten Album beschäftigt haben zu müssen.

Lamberts Stiermaske, Komfortzone und kreative Spielfläche

Warst Du in den vergangenen Jahren mal in einem Museum für zeitgenössische Bildende Kunst?

Lambert: Ich glaube nur ein Mal, als ich zufällig einen Auftritt in der Nähe hatte.

Beim Hören denkt man unweigerlich an Moderne Kunst und was sie mit einem macht. Zum Beispiel im Hamburger Bahnhof, da steht in einem Raum einfach eine schwarze Mauer. Wenn man die sieht, dann denkt man nicht sofort Wow, wie schön!”, sondern eher „Uh, was passiert denn jetzt?” oder „Was soll das denn bitte?”. FALSE transportiert genau das, bloß auf auditiver Ebene. 

Lambert: Das freut mich. Schön, dass das aufgeht! Denn es stimmt: Das ganze Album ist zwar innerhalb von drei Wochen und im selben Logic-Projekt entstanden, aber nach jedem Song habe ich mich gefragt: „Was muss ich jetzt machen, um musikalisch maximal zu überraschen? Was würde mich selbst überraschen?”

Dann hast Du wohl intuitiv genau das gemacht, was Henning Beck und Co. für kreative Entfaltung empfehlen. Denn auf der einen Seite klingt das Album tatsächlich wie aus einem Guss, auf der anderen steht man Song für Song vor einer neuen schwarzen Mauer. Und irgendwie schneidet das auch die Frage der Ästhetik an: Muss man Songs schön finden, um sie zu mögen?

Lambert: Ja, ist auch richtig! Das ist mein erstes Album, bei dem ich selber nicht alles schön finden kann. Es geht eben um das Wechselspiel – und das kann natürlich nicht immer nur Wohlklang sein. 

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Dieses Wechselspiel macht richtig wach und reißt einen immer wieder aus der Bequemlichkeit, mit der man sonst seine Lieblingsmusik hört. Da ist etwa die Tür-Klingel, die „San Remo” – den vielleicht wohlklingendsten Song des Albums – abrupt beendet, um ihn anschließend in ein völlig verstricktes Jazz-Spektakel übergehen zu lassen.

Lambert: Die Klingel war auch wirklich Teil der Produktion. Um 11.00 Uhr klingelt bei mir immer der Paketmann, weil ich sämtliche Pakete im Haus annehme. Der weiß, ich arbeite zu Hause und deswegen bin ich so eine Art Paketstation. An diesem Tag habe ich allerdings vergessen, auf die Uhr zu schauen und war gerade mitten in meiner Aufnahme.

Welch Zufall! Die passt so perfekt ins Albumkonzept, dass es fast schon wieder kitschig ist. Und mit der Klingel kommt auch ein neues Element rein. Alben sind ja eigentlich „nur” Sammlungen von Songs. 

Lambert: Ja, ich mag das auch. Geräusche während des Aufnahmeprozesses lass ich eh drin – Vogelstimmen, Kinderstimmen vom Hof. Die stören im Hörerlebnis überhaupt nicht. Die Klingel natürlich schon.

Wie kommt das Album wohl an?

Lambert: Ich dachte erst, die Leute werden mich hassen, aber bisher wird es ganz gut aufgenommen. Hardcore-Fans enttäuscht du immer mit irgendetwas. Aber du kannst auch nicht immer wieder dein erstes Album neu machen. Das ist natürlich schon knifflig, denn einerseits wird natürlich erwartet, dass man sich neu erfindet, auf der anderen darf das aber bitte nur im Rahmen stattfinden, den die Leute gewohnt sind.

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Warum Dich dieser ominöse Niederländer vermutlich angeschrieben hat, ist, weil Deine Musik im Diskurs der Neo-Klassik stattfindet und Du neben Szenegrößen wie Nils Frahm und Chilly Gonzales eine echte Hausnummer geworden bist. Empfindest Du Dich als Teil dieser oder irgendeiner Szene?

Lambert: Nein, überhaupt nicht. Trotzdem habe ich Leute immer beneidet, die in Subkulturen aufgehen können. Aber mich stören die Grenzen und Dogmen, die damit einhergehen, und das schon immer. In den frühen Nullern war es zum Beispiel unmöglich, sowohl Fan von Samy Deluxe zu sein, als auch die neue Single von den No Angels zu mögen und damit trotzdem noch ernst genommen zu werden. Ich will aber beides gut finden dürfen, ich will alles aufsaugen und jedes Instrument spielen. Ich will Rap-Beats machen, eine Rockband haben, Klavier spielen und trotzdem Lambert sein. 

Dann hast Du auf FALSE alles selber eingespielt?

Lambert: Klar, ich mach immer alles selber.

Lambert: Manche verstecken die Wahrheit hinter einer Maske, andere können erst durch eine Maske wahrhaftig sein

 

Über Deine Biografie vor Deiner Zeit als Lambert ist recht wenig bekannt. Bist Du in Deine Künstlerkarriere eher „aus Versehen” reingerutscht oder was hat Dich mit Anfang 30 dazu bewogen, mit Stiermaske und Piano-Interpretationen bekannter Pop-Songs in Erscheinung zu treten?

Lambert: Ich war schon immer musikalisch aktiv, aber ich konnte mich nicht wirklich festlegen. Klavier habe ich zwar studiert, aber habe das nach dem Studium erst mal an den Nagel gehangen, weil ich da keine Perspektive gesehen habe. Meine ursprüngliche Idee war nämlich eigentlich, Jazz-Musiker zu werden. Aber dafür habe ich einfach keine echte Möglichkeit gesehen, weil man damit keine Leute mehr erreichen kann. Auch in den ganzen Jazz-Clubs haben immer nur so Ü-60-Leute rumgehangen. Lange Zeit war ich deshalb echt unmotiviert, weiter Musik zu veröffentlichen. Ich hab halt echt alles ausprobiert und nichts hat gefunzt …

Zum Leben hat’s trotzdem gereicht?

Lambert: Ja, gerade eben. Aber ich habe mich schon gefragt, was ich jetzt eigentlich mit dem ganzen Enthusiasmus mache, den ich mal verspürt habe. Irgendwie bin ich dann doch zurück zum Klavier. In dieser eher düsteren Zeit habe ich zu Hause neue Stücke geschrieben. Als ein Kumpel die zufällig gehört hat, meinte er Das sind ja schöne Sachen, willste das nicht mal veröffentlichen?” und ich so Biste bescheuert, wen interessiert denn Instrumental-Musik?” Ich hatte echt keine Motivation, mich hinzustellen und wieder zu sagen: Hier, ich mach geile Sachen!” Aber mein Kumpel hat mir gezeigt, dass es tatsächlich wieder ein Publikum für instrumentelle, akustische Musik gibt. Trotzdem wollte ich nicht mich und meine innersten Werte auf die Bühne stellen, also blieb nur die Alternative, mir einen Charakter zu entwerfen, von dem ich mich auch distanzieren kann. 

Dann lebst Du Lambert also als klassische Kunstfigur aus?

Lambert: Genau. Ich hatte die Hoffnung, mich so nicht die ganze Zeit mit mir selbst beschäftigen zu müssen. Und ich hätte im Falle des Scheiterns sagen können: „Ach, das war der Lambert“. Eigentlich ist die Figur also aus Angst geboren, aber heute finde ich es sehr schön und ich kann richtig damit spielen. In den USA heißen Konzerte ja „Show” und für mich ist das total befreiend, wenn ganz klar ist, dass der Künstler hier nicht besonders authentisch sein muss. Bühnen sind ein inszenierter Kontext. Deshalb werde ich auch noch daran festhalten. Die Anonymität ist mir eigentlich recht egal. Mich befreit die Rolle inklusive Maske einfach künstlerisch.

Bist Du seit Deiner Karriere als Lambert jemals in Konflikte mit den kommerziellen Ansprüchen Deiner Labels und Deinen künstlerischen Ambitionen geraten?

Lambert: Überhaupt nicht. Die lassen mir wirklich freie Hand, und ich finde gerade die Streaming-Zeit total geil. Ich habe ja einen relativ hohen Output und da kommen mir die Geschwindigkeit und die Rhythmen von Spotify und Co. echt entgegen. Früher war das viel nerviger und es gab immer irgendeinen Grund, warum du Releases nach hinten schieben musstest. Das nervt. Ich find’s richtig geil, dass das vorbei ist. Einfach raushauen, gucken, was geht und dann weitermachen. Das gefällt mir gut. 

Da Du mit FALSE gerade wieder rausgehauen hast – wie geht es weiter?

Lambert: Mein nächstes Album ist schon fast fertig. 

FALSE Teil zwei?

Lambert: Nein, das führt eher wieder an konservativere Lambert-Klänge zurück. Aber mit neuen Elementen. Und ich versuche irgendwie meine Liebe zum Jazz und zur Improvisation einzubauen. Das ist ja eigentlich immer essenzieller Bestandteil meiner künstlerischen Motivation gewesen. Ich würde es so gerne mal auf Platte bekommen. Nur leider ist es nicht so einfach, weil Jazz für die Bühne gemacht ist und nicht fürs Studio. Aber irgendeinen Weg werde ich schon finden.

Einmal hat Lambert einen befreundeten Pianisten an seiner Stelle ein Konzert spielen lassen, er selbst stand hinter dem Bühnenvorhang und hat durch ein Mikrofon nur die Ansagen gemacht

Lamberts neues Album FALSE ist am 29. Januar 2021 erschienen.

FALSE von Lambert im Stream hören:

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