Paulas Popwoche: Sind wir noch zu retten?
Paula Irmschler über „The Idol“, Beyoncé live, Sommerhits und das System Lindemann.
Während gerade ein paar reiche Honks in einem U-Boot auf dem Weg zur Titanic (dem Wrack auf dem Meeresgrund) verloren gegangen sind und keine Kosten und Mühen gescheut werden, um diese zu retten, sitze ich wieder in dem Café bei mir um die Ecke, in dem ich schon vergangenen Sommer meine Kolumne schreiben musste, weil ich da auch schon aus meiner Dachgeschosswohnung abgehauen bin, weil bei der genau wie bei diesem U-Boot der Sauerstoff in wenigen Stunden ausgehen wird und ich überlege, ob das nun das Jahr ist, in dem wir alle unseren Verstand verlieren. Letztes und vorletztes Jahr haben wir das auch schon mal alle gedacht oder gar beschworen … Aber man muss wohl feststellen, dass dieser ganze Wahnsinn überlebensfähiger ist als gedacht, es geht weiter und weiter, während einem die Felle literally davon schwimmen.
Pop geht weiter, immer weiter
„CARDI B SLAMS TITAN PASSENGER’S STEPSON WHO ATTENDED A BLINK-182 CONCERT THE DAY AFTER IT WENT MISSING – His son has no regrets“ wird nun eingehen in die Geschichte meiner Lieblingspopheadlines, wahrscheinlich direkt nach „Liam Gallagher thought A$AP Rocky’s name was ‚WhatsApp Ricky’“. Also, der Stiefsohn von einem dieser reichen U-Boot-Dudes ist einen Tag nach dem Verschwinden zu einem Konzert von Blink-182 gegangen und auch ich sehe nichts Falsches daran. Was soll er denn sonst machen, zuhause die herzzereißende Strophe von Tom DeLonge aus „I Miss You“ im Zehn-Stunden-Loop hören?
Apropos ausbaden …
Auf zur nächsten Shitshow: „The Idol“
Auch hier hat das Internet momentan viel zu lachen. Die ziemlich schlechte Serie von Abel ‚The Weeknd‚ Tesfaye und Sam Levinson, mit Lily-Rose Depp in der Hauptrolle, liefert derzeit einen cringe Moment nach dem anderen ab und es sind gerade mal drei Folgen erschienen.
Nachdem die Regisseurin Amy Seimetz schon das Projekt verließ, hatten Männer das Ding komplett übernommen und zum Suffer-Porn rund um sehr junge Frauen gemacht, der sich in letzter Zeit ja eh besonderer Beliebtheit erfreut (wir erinnern uns an „Blonde“, den Film über Marilyn Monroe oder an die zweite Staffel „Euphoria“, in der Sam Levinson diesbezüglich schon ziemlich über die Stränge schlug). Hier geht es nun also um eine Popsängerin (Depp), die von einem älteren Creep (Tesfaye) manipuliert wird und mit ihm seltsamen 80er-Jahre-Fernsehpornsex hat. Daraus entstehen die unerotischsten Szenen, die man seit langem gesehen hat und es werden die weirdesten Sätze gesagt, ich kann euch das alles also wirklich nicht empfehlen.
Die YouTuberin Nikki Carreon widmet sich seit der ersten Folge diesem Wahnsinn, schaut ruhig da lieber mal rein:
Am Ende soll es natürlich wieder kritisch, satirisch, feministisch sein. Auf dem Weg dahin sehen wir aber diese ganze alte Scheiße wieder und wieder. Etwas reproduzieren, um es dann aber total zu dekonstruieren … Moment mal, das erinnert doch verdächtig an … Ach ja, den „Barbie“-Film, der uns auch noch bevorsteht. Während der monatelangen Promo-Phase sind die Beauty-Eingriffe so wie der Klamotten- und Make-Up-Konsum rund um Barbie-Ästhetik bereits stark gestiegen. Dieses Schicksal ereilt die Zuschauer:innen von „The Idol“ wahrscheinlich eher nicht, weil sie vermutlich rechtzeitig abschalten.
Geld, Geld, Geld: Mein letztes Beyoncé-Konzert
Ich bin schwach geworden und habe mir im Fan-Sale kürzlich doch noch ein Beyoncé-Ticket geholt. Schließlich bin ich Fan seit 1998, hab schon im Kinderzimmer … Ach, lassen wir das. Nach ihrem Dubai-Auftritt und wegen diesem Ticketwahnsinn war dann bei mir eigentlich der Ofen aus, leider ist das Renaissance-Album aber zu gut und so kam es, wie es kommen musste, ich bin hin. Vermutlich hatte ich, bis auf die Heinis, die kostenlos logieren durften, das günstigste Ticket im ganzen Stadion, es war aber immer noch eine sogenannte Abzocke, ein Wucher, ein Mondpreis. Es war dann natürlich das beste Konzert, das ich je gesehen habe, es war unglaublich, aber eines hat mir dann doch gefehlt: Die normalen Fans. Denn irgendwann so zwischen Hit 10 und Hit 12 fiel mir auf, dass ich über weite Strecken die einzige war, die in meinem Block tanzte, die überhaupt die ganze Zeit stand. Die anderen saßen meistens, filmten (nichts gegen filmen, ich verstehe das, es hilft bei der Verarbeitung der Fassungslosigkeit), sagten Wow, machten Selfies und so, aber sie sangen und tanzten selten. Und das bei diesem Disco-Party-Album, das wir hier vor allem kredenzt bekamen?
Mir (übelst naiv) wurde also endgültig (jaha, viele von euch wussten es schon die ganze Zeit …) nun erst recht klar, dass große Konzerte ein Statussymbol geworden sind. Auf Instagram entsprechend die Storys und Postings der Leute mit den zwei wichtigsten Aussagen: 1. Ich war bei Beyoncé. 2. Ich war besonders weit vorn. Und heute gilt man mit 2. als besonders großer Fan. Dabei bedeutet es vor allem, dass man reich ist. Umso weiter vorn, umso teurer, bis zu 3000 Euro konnte man da lappen. Der „BeyHive“, wie Beyoncés treueste Fans genannt werden, ist eine Gruppe wohlhabendere Leute und nichts anderes. Und das 2023 auch noch unter dem Label der queeren Kultur – für alle, die es sich halt leisten können. Ein Mädchen aus meinem Block sammelte nachher noch Becher ein und lachte, „cool, 12 Euro … wo ich doch gerade im Minus bin“. Es erinnerte mich an all die Memes damals als Beyoncé ihre Tour ankündigte, sie gingen alle so in die Richtung: „Haha, ich kann nun meine Miete nicht mehr bezahlen, aber zu Beyoncé“ … toll!
Nach dem Konzert war ich mit Freunden dann noch auf einer Beyoncé-Aftershow-Drag-Party, der Eintritt lag bei 15 Euro. Es war definitiv die bessere Party als beim Konzert, wir tanzten wie behämmert und lagen uns grölend in den Armen. Ich gehe jetzt also glaube wieder zurück in mein Zimmer und hocke mich so queer es geht auf meinen Teppich und höre for free die tollen Alben, bis sie mir endgültig verdorben werden. Wir sehen uns dann bei Taylor Swift in Gelsenkirchen!
Nun zu Wichtigem: Der Kampf gegen das System Lindemann
Einige Männer haben in den vergangenen Wochen nochmal sehr viel Unsinniges zu Rammstein und Till Lindemann gelabert, sich auf dem Nacken der Betroffenen profiliert, sich unglaubwürdig distanziert und so weiter. Während die bekanntesten Betroffenen Kayla Shyx und Shelby Lynn beeindruckend mutig weiter kämpfen und ein paar Leute, die nicht nur labern, sondern handeln wollen, einen Spendenaufruf gestartet haben, um weitere Betroffene bei ihren juristischen Kämpfen zu unterstützen. Ins Leben gerufen hat diesen die Autorin Jasmina Kuhnke mit der Amadeu Antonio Stiftung. Bisher wurden fast 800.000 Euro gesammelt. Diesen Link könnt ihr euren wohlhabenden Freund:innen schicken, damit sie auch mal was Sinnvolles machen und sich nicht in einem U-Boot Richtung Titanic-Wrack aufmachen.
Zum Schluss ein paar Sommerhits
Dieses Lied ist zum Abkühlen, natürlich im Loop:
Dieses für die kruden Angeilungsgefühle, die einen durch den Sommer begleiten:
Und dieses für die melancholischen und nostalgischen („The Boy Is Mine“ lässt grüßen) Nächte:
Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.