Kurzer Highscore für Highschool-Core: Schulschönheiten, Nerds & Pick-Me-Girls
Was verbirgt sich hinter dem Begriff Highschool-Core und warum ist dieser fast schon wieder rum?
Drei Beobachtungen:
1. americana
Die Neunzigerjahre waren wahrscheinlich die Hochzeit der Highschool-Pop-Ästhetik. Es gab etliche populäre Highschool-Serien wie „Clueless“ und „Buffy“, Highschool-Comicserien wie „Daria“, Highschool-Horror wie „Scream“, Highschool-Komödien wie „American Pie“ und sogar eine Highschool-Komödie über Highschool-Horror: „Scary Movie“ (2000). Europäische Teenager:innen wollten in Amerika zur Schule gehen, um ihr Staffelfinale auf dem Abschlussball zu erleben.
Dabei lernten alle: Die Schulschönheit ist sehr wahrscheinlich eine Zicke, oder die nette Außenseiterin, die ist die eigentliche Schulschönheit, wenn sie nur die Brille absetzt. In den späten Nullerjahren war das Highschool-Thema dann ein vor allem musikalisches. Es gab die „High School Musical“-Filme (2006-2008), Miley Cyrus’ Serie über eine Schülerin, die gleichzeitig auch Popstar ist, „Hannah Montana“ (2006-2011), und „Glee“ (2009-2015), über einen Schul-Pop-Chor.
Der aus dieser Zeit überlebende Tanz-Trend blutetet ab 2014 in die Gebärden-Tanz-App music.ly aus. Protagonist:in war fortan jede:r selbst. TikTok hat music.ly gekauft. Lipsync-Tänze sind längst nicht mehr der Kern der App – und schon kommt die zuvor ausgespuckte bunte Highschool-Ästhetik zurück. Nun allerdings durch die Linse von Regisseurinnen, deren Protagonistinnen ebenfalls weiblich sind und als Gays, Nerds und Underdogs erzählt werden.
In Olivia Wildes „Booksmart“ (2019) will die lesbische Streberin Amy gemeinsam mit ihrer Streberfreundin Molly alle verpassten Dummheiten auf einer Abschlussparty nachholen. Und in Emma Seligmans „Bottoms“ (2023) eröffnen zwei „hässliche, untalentierte Lesben“ einen als Selbstverteidigung getarnten Fight Club, mit dem sie Hetero-Girls „kennenlernen“ wollen.
2 take of your pants and jacket
Emma Seligman posiert mit ihren Hauptdarstellerinnen Rachel Sennott und Ayo Edebiri fr das Cover des „New York Magazine“ in männlich gelesener beziehungsweise an weiblich gelesenen Körpern dann zum Teil queer gelesener Kleidung: Das erste Motiv zeigt sie wie Konfirmanden – in zu großen Anzügen mit breiten Krawatten. Das zweite sieht sie wie Dads im Urlaub: große Hawaii-Shorts, zu weites T-Shirt, darüber offenes Hemd. Und das dritte im Prep-School-Style mit Tweed-Pants zu Rugby-Shirts.
Die Motive erinnern an Boygenius–Nirvana-Pastiche-„Rolling Stone“-Cover vom Dezember 2022. Die weibliche und/oder queere Neu Interpretation männlich gelesener Ästhetik ist Zeitgeist. Im Video zu „Feet up“ (2023) rennen My Ugly Clementine nackt durch Wien, wie Blink-182 in „What’s My Age Again“ (1999) durch Los Angeles, spielen Haar-verhangen ihre Instrumente wie Nirvana in „Smells Like Teen Spirit“ (1991), bekommen Ärger vom Plattenboss wie Sum 41 in „Stll Waitng“ (2002) und – das der Vollständigkeit halber auch: sitzen Nieten-besetzt auf dem Rücksitz eines Autos, wie Avril Lavigne in „Sk8er Boi“ (2002).
3. does this look infected?
Mit Avril Lavigne wird Olivia Rodrigo oft verglichen, die einst in der Serien-Adaption von „Highschool Musical“ mitspielte, und nun ange-grunge-ten Teen-Rock macht, den sie mit Videos untermalt, die aussehen wie Highschool-Komödien. „Bad Idea Right?“ (2023) hat alles: Partys mit rotem Becher, Bauchfrei-Shirts und Football-Shirts zu Kotze im elterlichen Garten.
Auf X (Ex-Twitter) wird unterdessen Sophie Passmann diskutiert, die dieses Jahr mit „Pick Me Girls“ (Ki-Wi) ein Buch für und über ihr 14-jähriges Ich schrieb, das darunter litt, nicht „normschön“ zu sein. Normschön ist ein Adjektiv, das noch nicht im Duden steht, aber das westliche Prom-Queen-Ideal (weiß, schlank und ein symmetrisches Gesicht) kritisch benennt.
Moshtari Hilals Essay „Hässlichkeit“ (Hanser, 2023), fordert auf, den mit Normschönheit einhergehenden abwertenden Blick, mit dem wir andere beurteilen, zu verlernen. Warum die Auseinandersetzung mit Ästhetik virulent ist? Durch das Internet und die damit einhergehende Verfügbarkeit von allem gibt es keine an Musik gebundene Subkulturen mehr, sondern nur noch (Pop-)Ästhetiken, in die Menschen sich einkaufen können, ohne dabei einer Gemeinschaft anzugehören. Die fünf Minuten Highschool-Core sind fast schon wieder rum.
Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 11/2023.