Konzertbericht

Madonna live in Berlin: Boss Babe, die keine Best-of-Show nötig hat


Madonna feiert in Berlin 40 Jahre Karriere, liefert stimmlich alles ab – nur eben nicht jeden Hit.

Um Haaresbreite hätte Madonnas „The Celebration“-Tourr nicht mehr stattgefunden. Nach einer bakteriellen Infektion im Frühjahr 2023 hing ihr Leben quasi am seidenen Faden. Der Start der Welttournee – verschoben. Aber sie hat es geschafft, sie lebt und sie singt. Für zwei Abende gastiert die „Queen Of Pop“ nun in der Berliner Mercedes-Benz Arena. Wir waren dabei.

Madonna live in Berlin: Tickets, Zeiten, Support, Setlist und Anfahrt

40 Jahre Showbusiness, 40 Jahre Popzirkus. Madonna immer mittendrin. Alle hat sie überlebt, Michael Jackson, Prince, Freddie Mercury, um nur einige ihrer erfolgreichen Wegbegleiter zu nennen. Und dann soll doch tatsächliche eine bakterielle Infektion die wohl größte noch lebende Pop-Ikone im Juni 2023 in die Knie zwingen. Nicht mal sie selbst hat daran geglaubt, sich davon zu erholen. Die ewig Junge, immer Moderne, niemals Alternde beschließt aber, dass an einem anderen Tag gestorben wird und rappelt sich auf, nicht zuletzt wegen und für ihre sechs Kinder, von denen sie drei bei der Show in Berlin begleiten.

Late to the Party

Madonna und Berlin – ein „match made in heaven“, wenn man den Hang zur Unpünktlichkeit bedenkt. 20.30 Uhr Showbeginn glaubt ihr nach den trödeligen Anfangszeiten in anderen Städten sowieso keiner mehr, aber dass es dann doch 22.15Uhr wird – das muss man sich leisten können. Doch ohne Madonna keine „Celebration“ und eine Diva hat eben ihre eigene Zeitzone. Das Publikum nimmt es gelassen, man hat sich auf einen langen Abend eingestellt. Ein Blick durch die größte Eventhalle Berlins zeigt, die Mehrheit scheint über 30 und queer. Von Glitzer-Outfits bis hin zum Madonna-Shirt ist an dem Abend alles vertreten. Die VIP-Ticket-Käufer:innen schleppen sporttaschengroße Goodie Bags zu ihren Premium-Plätzen, die das beste Panorama auf die ausladende Bühnenkonstruktion, die sich wie ein Laufsteg durch die Arena zieht, bietet. Der klägliche Versuch einer Technikerin, die Gäst:innen zu einer Laola-Welle zu animieren, scheitert. Für sowas ist sich Berlin wohl zu schade. „Zur Strafe fängt sie bestimmt noch eine Stunde später an“, bemerkt ein Gast zynisch.

Bob the Drag Queen moderiert den Abend

Irgendwann ist es aber soweit und Bob the Drag Queen, eine imposante Erscheinung im Barockkleid und 2016er Gewinnerin von „RuPaul’s Drag Race“, betritt durch einen Nebeneingang den Saal und bahnt sich ihren Weg durch die Fans. „I’m looking for a German husband“, sagt sie, wird aber trotz kurzer Konversation mit zwei potentiellen Kandidaten nicht fündig. Anyway, es geht hier sowieso um etwas viel Größeres: Der Auftritt der „Queen Of Pop“ ist nur noch Augenblicke entfernt. Bob moderiert durch die Stationen der beispiellosen Karriere der Protagonistin, während auf den überdimensionalen Leinwänden passende Videoausschnitte dazu gezeigt werden. Madonna als junge Frau Anfang der 80er, Madonna als Femme Fatale in den 90ern, Madonna und die Generation Z. Dann knallt es und sie ist da. Ganz in Schwarz, mit einem metallenen Heiligenschein performt sie auf einer runden Bühne, umringt von durchtrainierten, jungen und wunderschönen Tänzer:innen. Die Königin liebt das Schöne. Sie selbst sieht aber auch fantastisch aus and diesem Abend – man möchte fast sagen, sie sah nie besser aus.

Nach der schmissigen 80er-Hymne „Into The Groove“ spricht Madonna erstmals zu ihrem Publikum. Berlin eile der Ruf voraus, Drogenhauptstadt zu sein. Sie wendet sich direkt an einen Zuschauer und fragt nach der Droge der Wahl: „MDMA? Or MDNA?“ Gut gebrüllt, Löwe. Der Drogenwitz will nicht so richtig zünden, so wie auch die Stimmung das ganze Konzert über eher verhalten bleibt. „This audience is hard to read“, wird sie an anderer Stelle sagen. An der Performance, so viel sei vorweggegriffen, liegt es nicht. Im Gegenteil: Die komplette Reizüberflutung des über zwei Stunden dauernden Sets, sorgt oft vor allem für staunende Gesichter statt für Kreischorgien, wie man sie von Billie-Eilish- oder auch Justin-Bieber-Fans gewohnt ist.

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Sag, wie hältst du’s mit der Religion?

Madonna hat in den Jahrzehnten ihrer Karriere das provokante Spiel mit religiöser Symbolik perfektioniert. Bei dem Heiligenschein des Konzertbeginns soll es nicht bleiben, denn bei „Like A Prayer“ zeigen sich Männer in Mönchskutten und maskierte Tänzer, die sich in bester BDSM-Manier vor einem Rondell an Kreuzen lasziv hingebungsvoll präsentieren. Madonna natürlich mittendrin.

Es ist ohnehin eine sexuell sehr aufgeladene Show, sehr viele Hände berühren Madonna, es wird geknutscht und als buchstäblicher Höhepunkt gibt es eine explizite Orgasmus-Szene zwischen der jungen und alten Madonna. Wie, gleich zwei davon? Ja, denn Teil des Konzeptes ist, dass Madonna im Laufe des Abends einer jüngeren Version ihrer selbst, enthumanisiert durch eine Gummimaske, begegnet. Um welche Madonna es sich handelt, verrät das Outfit – das wohl ikonischste ist der Gaultier-Dress.

Madonna inszeniert sich mal dominant, mal verletzlich, aber immer begehrenswert und unnahbar – trotz der räumlich geringen Distanz zu ihren Fans. Madonna ist ein Boss Babe, eigentlich der Prototyp davon. Auch wenn heutzutage so eine Show nicht mehr für wochenlange Skandalberichterstattung sorgt, so muss man doch sehen, woher das kommt: Weil Madonna diese Art von Show eben vor Dekaden enttabuisiert hat. Was für einen Dienst Madonna damit nicht nur der LGBTQ+-Community erwiesen hat, sollte jede:m bewusst sein. Nur durch Künstlerinnen wie Madonna wurde der Weg für die Kim Petras‚ und Lady Gagas dieser Welt geebnet.

Madonna hat nie verurteilt, Madonna hatte immer einen Safe Space für die Ausgegrenzten. Als die Aids-Welle in den 90ern so viele Opfer forderte, hat sie ich auf deren Seite gestellt. Öffentlich. Das war damals ein Ding. Zu Ehren derer, die durch diese heimtückische Krankheit viel zu früh gehen mussten, zeigt sie bei „Live to tell“ viele Fotos von betroffenen berühmten und nicht berühmten Menschen.

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Madonna, Queen of fucking everything

Madonna ist aber nicht nur Queer-Botschafterin, Geschäftsfrau und einfach Popstar, sondern auch Mutter von sechs Kindern. Drei begleiten sie heute in Berlin, im wahrsten Sinne des Wortes. Tochter Mercy James spielt zu „Bad Girl“ Klavier, Sohn David hat ebenfalls einen Gastauftritt und die kleine, elfjährige Estere zeigt im besten Designerfummel und Lackstiefeln, dass auch sie das Popstar-Gen in sich trägt und zeigt sich als DJ ganz groß. Klasse!

Bei so viel Zinnober bleibt natürlich auch der ein oder andere Hit auf der Strecke, das Show tut das aber keinen Abbruch. Wer „Material Girl“ vermisst, wird sich an „Holiday“ erfreuen, wer „Frozen“ hätte hören wollen, bekommt stattdessen „Bedtime Story“. Madonna war noch nie ein People Pleaser und hält nichts von Best-Of-Shows. Ein wenig schade ist es dann aber doch, dass „Like A Virgin“ nur als Sample vom Band kommt, als Mash Up mit Jacksons „Billie Jean“, untermalt von einem Silouettentanz zwischen dem „King“ und der „Queen Of Pop“.

Eine Karriere in sechs Akten

Die Show ist in sechs Kapitel aufgeteilt, jedes steht für sich und doch sind alle verbunden. Live, Love, Fuck, hätte man sie auch nennen können. Madonna nutzt die verschachtelten Laufstege, die durch das Publikum gehen, positioniert sich immer wieder auf der sich drehenden Hauptbühne oder schwebt in einem Käfig über den Köpfen des Publikums. Die Kostümwechsel sind kaum noch zu zählen, aber Madonna lässt sich nicht lumpen und präsentiert sich als Gothic Girl, als Discoqueen, als Boxerin bei „Erotica“ oder auch als lässiges Cowgirl bei „Don’t Tell Me“.

Aber genug von Äußerlichkeiten, wie war denn die Stimme? Man muss wissen, Madonna singt live und sie singt gut. Keine Spur von großen Schnitzern, wie sie immer wieder mal durchs Netz sickern. Heute ist Madonna stimmlich absolut veritabel. Besonders deutlich wird das bei einer Akustikversion von Gloria Gaynors „I Will Survive“. Ja, Überleben ist das große Thema des Abends, wer könnte es ihr verdenken. Madonna feiert 40 Jahre Karriere, aber auch ihren permanenten Kampf gegen alle Kritiker:innen und gegen das Älterwerden. Die ewig 20-jährige, vielgehasste Stilikone zitiert sich selbst „The most controversial thing that I’ve done is to stick around“. Und wir sind verdammt froh, dass sie noch da ist.