Paula Hartmann im Interview: „Niemand ist für die Öffentlichkeit gemacht“
„Ich werde auch überlegen, ob die Welt noch ein drittes Paula-Hartmann-Album braucht.“
„Wow, eigentlich gruselig, dass ich da noch nie darüber nachgedacht habe“, sagt Paula Hartmann. Ich habe sie gerade gefragt, was sich für sie verändert hat, in den letzten zwei, drei Jahren, seit „Nie verliebt“, seit „Truman Show Boot“, seit Kooperationen mit Trettmann, mit Haftbefehl, mit Luciano, seit sie zu einer Hoffnung im deutschen Pop erklärt wurde.
Sie denkt nach und schaut von der Kamera weg. Wir sprechen über Zoom, am Ende des Gesprächs werden wir realisieren, dass wir nur wenige Kilometer voneinander entfernt in der gleichen Stadt beide vor unseren Computern sitzen. „Ich habe immer in dem Moment geguckt, wie ich jetzt weiterkomme“, setzt sie fort. „Es waren viele kleine Learnings auf dem Weg. Und währenddessen bin ich ja auch von 19 zu 22 gesprungen. Ich weiß gar nicht, ob manches vielleicht einfach das Älterwerden ist oder mit den Erfahrungen in diesem Job zutun hat.“
Steiler Aufstieg, harter Fall?
Die letzten Jahre seit 2021 markierten für die Berlinerin einen geradezu stratosphärenhaften Aufstieg. Sie war noch ein Teenager, als es losging, als aus der Privatperson Paula Hartmann die Künstlerin Paula Hartmann wurde. Prägende Jahre. Umso intensiver, wenn plötzlich der eigene Name, das eigene Gesicht von überall zurückschauen, Festivallineups, Newsstories, Musikkritik. Ganz ungewohnt war das nicht, sie war, wie Kolleg:innen wie Symba und Nina Chuba auch, Kinderschauspielerin. Die Aufmerksamkeit heute aber ist ungleich größer: „Es war auf jeden Fall doller, dabei in der Öffentlichkeit zu stehen“, erklärt Hartmann, „und ich glaube tief drin auch daran, dass niemand dafür gemacht ist.“
Natürlich ist es fast schon ein Klischee: die Künstler:innenpersönlichkeit, die mit dem Fame nicht klarkommt. Aber gerade wenn man so jung ist, man weiblich ist und im 21. Jahrhundert im Zeitalter der sozialen Medien Aufmerksamkeit, und vor allem so große und so plötzliche Aufmerksamkeit erfährt, wie es Paula Hartmann erfahren hat, sind solche Gedanken mehr als nur nachvollziehbar: „Es prasseln so viele Meinungen auf dich ein, das ist ja nichts, was man aus dem normalen Leben gewohnt ist.“ Jede:r hat einen Take, eine Position zu dir, selbst wenn es die ist, dass du sie nicht interessierst. Leicht kann man das nicht wegstecken. Zumindest nicht aus dem Stand. „Ich habe aber das Gefühl, dass es mir gerade im letzten halben Jahr besser damit geht und ich damit besser umzugehen weiß“, ergänzt Hartmann.
„Letztes Jahr wurde es sehr, sehr knapp“
Das bedeutet aber auch, dass es davor nicht unbedingt ging. Was uns dann auch schon zu KLEINE FEUER bringt, ihr nun erscheinendes zweites Album. Man muss nicht sehr genau hin hören, um wahrzunehmen: Das ist keine Musik, die jemand macht, der sonst wie ein strahlender Sonnenschein durch das Leben hüpft. Sondern Musik, die auch aus Schmerz geboren ist: „Letztes Jahr wurde es sehr, sehr knapp“, deutet sie an. So knapp, dass es sich in ihren Texten zeigte und ihr Produzent und enger Mitarbeiter Biztram, eigentlich Benjamin Bistram, einst selbst als Rapper bei Royal Bunker, ihr nahelegte, sich Hilfe zu suchen. Hartmann bleibt sich auch auf KLEINE FEUER treu, ihr ungewöhnlicher Sprechgesang in einer jugendlichen Stimme, die nicht mal wie 22, sondern noch viel jünger klingt und dabei von gebrochenen Herzen, den Qualen des Coming of Age in einer Großstadt, vom Verlorengehen im Nachtleben, von Substanzen, Rausch und vom Vielzuviel erzählt. Aber auf KLEINE FEUER geht sie tiefer, es wird düsterer, schmutziger, kaputter.
Der Gegensatz zwischen auditivem Kindchenschema, mit Songzeilen, die kindliche Erinnerungen und Symbole heraufbeschwören, und der kaputten Welt, die sie beschreibt, stoßen noch stärker auf. „Ja, Stil, Sound, Songwriting – es ist definitiv noch mal düsterer geworden. Und ich würde sagen: auch selbstbestimmter“, meint sie, „obwohl es düster ist, ist es gleichzeitig weniger zerbrechlich als auf dem ersten Album und ich war weniger ein Fähnchen im Wind.“ Die Weiterentwicklung, erklärt Hartmann, liege vor allem im Wissen, wo sie hin will. Was sie erzählen will, wie sie klingen will. Das bedeutet auch, dass sie vorsichtiger geworden ist, aber „gleichzeitig selbstbestimmter“, wie sie sagt: „Also, vorsichtiger mit unüberlegten Sachen und dafür, wenn ich mir etwas überlegt habe, sehr viel sattelfester.“
Umstrittenes Feature
Das macht sie auch resilienter gegenüber Kritik, die von außen einprasselt. Und die sollte auch kommen: Mitte Januar veröffent lichte sie „Sag was“, eine Kooperation mit dem mindestens extrem umstrittenen Kollegen t-low. t-low, wie Hartmann auch 2001 geboren, hat gleich mehrere Chartshits vorzuweisen, aber ist vor allem wahrscheinlich eher für seinen offenen Drogenkonsum und die Lyrics bekannt, die sein gespaltenes Verhältnis zu Substanzsucht zwischen Euphorie und dem dringenden Bedürfnis, die Abhängigkeit zu überwinden, thematisieren. Jugendfrei ist das alles sicher nicht. Und so fiel auch die Kritik aus: Wie könne sie so jemanden wie t-low featuren?
„Da habe ich gemerkt, dass sich vorher Gedanken machen mich sehr viel immuner gegen Kommentare gemacht hat, weil ich nach wie vor hinter meiner Entscheidung stehe“, sagt Hartmann dazu. Und jugendfrei, das sind ja auch die Songs von Paula Hartmann nicht, zumindest wenn man genau hinhört und hinhören will. Ganz besonders „Sag was“ nicht, eine minimalistische Auseinandersetzung mit Sucht, Co-Abhängigkeit, Freund:innenschaft und Verzweiflung. Insbesondere t-lows Parts mit der kaum verhohlenen Todessehnsucht, ihrem Schmerz und ihrer Kaputtheit könnten wohl von kaum einem anderen aktuellen Künstler so überzeugend und wahrhaftig performt werden.
Aber „Sag was“ ist nicht der einzige Song, der von morbiden Selbstzerstörungsfantasien durchweht wird: auf „Candy Crush“ etwa, einer weiteren Single, spricht Hartmann von Tillidin und Propofol – und davon, dass das lyrische Ich am nächsten Tag eh tot ist. Auch auf „7 Mädchen“ geht es um das Ausgehen als Flucht vor sich selbst und den eigenen Dämonen. Wenn es zwischen dem einen und dem anderen überhaupt einen Unterschied geben sollte. Das Album folgt keinem Narrativ, sondern reiht vielmehr Schnappschüsse aneinander, die zwar zusammengehören, aber in ihrer Gesamtheit keine eigenständige Geschichte erzählen. Kleine, einzelne Feuer, die für sich stehen und zusammen einen Vibe einfangen, ein Lebens- oder eher Überlebensgefühl: In der Dunkelheit der Nacht, die Paula Hartmann malt, liegt ein ganzer schillernder Regenbogen an Schwarztönen. Sie schafft damit etwas, das einem postmodernen Update der Schwarzen Romantik, einer besonders dunklen, schaurigen Unterströmung der Romantik, gleicht. Wie eine weibliche E. T. A. Hoffmann setzt sie sich mit den dunklen Seiten von Psyche und Begehren auseinander, ihre Welt ist von lebenden Zombies, von Nihilismus, von Suchenden und Getriebenen bevölkert. Nur eben im Strobo statt im Kerzenlicht und angetrieben von MDMA und Benzos statt Absinth.
„Meine kleine Liebeserklärung an Berlin“
Aber überschneiden sich die Figur in Hartmanns Songs und der reale Mensch, der in die Computerkamera blinzelt überhaupt? Denn so viel Realismus muss ja sein: Ein rasanter Aufstieg wie der von Paula Hartmann bedeutet auch und vor allem harte Arbeit. Und der bedeutet auch, dass Abstürze, Exzess und Grenzerfahrungen immer schwieriger in einen disziplinierten Künstler:innenalltag passen. „Das stimmt, während des akuten Albumprozesses gab es wenig Exzess“, antwortet sie, „ich weiß aber gar nicht, wie viel ich darüber preisgeben möchte.“ Ihre Geschichten sind auch keine 1:1-Nacherzählungen von tatsächlichen Erlebnissen, sondern eher, wie sie sagt, Beobachtungen einer Person, die in Berlin aufgewachsen und von Menschen umgeben ist, die verschiedenste Erfahrungen zwischen Tag und Nacht gemacht haben. „Es ist ein allgegenwärtiges Ding, wenn man in dieser Stadt lebt, um das man gar nicht richtig drumherum schiffen kann.“
Auch wenn sie eine Weile in Hamburg gelebt und an der dortigen Uni studiert hat (Jura, aktuell ist ein Zwischenschritt geschafft) und dort auch ihre Karriere als Musikerin erst so richtig vom Traum zur Realität wurde, ist Berlin dennoch die wichtigste Inspiration für ihre „Großstadtmärchen“, wie sie ihr letztes Album beschrieb und was auch auf dieses gut passt: „Auch wenn dieses Album düster ist, ist es trotzdem meine kleine Liebeserklärung an Berlin.“ Die Stadt ist wie ein gleichwertiger Charakter in den Songs, und vermutlich nicht ganz ohne Grund spielen viele der Musikvideos zu den Singles von KLEINE FEUER an, um und in Berliner U-Bahnhöfen, diesen Zwischenorten, an denen richtig gute und richtig katastrophale Nächte starten und enden können, erst recht, wenn man zwischen 19 und 22 ist, wenn Uber und Taxi jede Nacht noch nicht drin sind.
Vielleicht lässt sich KLEINE FEUER auch als eine Art „Berlin, Berlin“, ihrer Generation verstehen, des „Jahrgang-27-Clubs“, wie sie es nennt (da ist sie wieder, die Todessehnsucht). Geschichten zu erzählen, das vereint ja ihre einstige Leidenschaft, das Schau- spiel, mit der Musik. Nur, dass es früher Geschichten waren, die jemand anders geschrieben hat. „Aber vielleicht habe ich diese Fantasie von da übernommen, um Sachen weiter zu schreiben und Bilder zu denken, die nicht nur autobiografisch sind.“
Wer ist also Paula Hartmann, die Figur? Und wer Paula Hartmann, der Mensch? Manchmal sind sie klar getrennt. Aber im Albumprozess scheinen sie auch ineinander verschwommen zu sein. Zu einem Preis, der sie zweifeln lässt, ob es mit dem Kapitel „Paula Hartmann“ für sie, die Privatperson Paula Hartmann, noch weitergeht. „Da ist schon die Überlegung, ob man das zum Preis von sich selbst macht“, erklärt sie, „und ich werde auch überlegen, ob die Welt noch ein drittes Paula-Hartmann-Album braucht. Oder ob ich meine, ich habe was zu erzählen.“ Jetzt gerade hat sie etwas zu erzählen. Wie der Morgen danach aussieht, zeigt sich in der Zukunft. Aber bis dahin steigen wir mit ihr hinab, tief in die Nacht.