Sind Groupies fehl am Platze?


In der letzten Oktober-Ausgabe veröffentlichten wir unter unserer Rubrik 'Leserexpress' einen Brief, den uns ein reizendes Mädchen namens Salamanda geschickt hatte. Ihr, die Leser, habt inzwischen unheimlich intensiv darauf reagiert, so dass wir uns entschlossen, das Thema noch einmal zur Diskussion zu stellen. Ulrich Deick aus Oberhausen schien von Salamandas Argumenten überhaupt nicht überzeugt zu sein. Er schrieb uns:

Es sind wieder so’n paar scharfe Frau’n da

Was soll der Quatsch vom glorifizierten Groupie‘? Bisher wusste ich nicht, dass es so unheimlich wichtig für die Popszene ist, dass es so Typen wie Salamanda gibt, gäbe ss sie nicht, würden nur noch ausgeflippte Rock-Freaks herumlaufen. Traurig, traurig! Groupies gleich Feuerwehr und Heilsarmee für Musiker, die einen verpatzten Gig hinter sich haben? Nein, nicht so, sondern Groupies gleich nichts sein, mit viel Schein‘!! Groupies sind wirklich ‚poor girls‘. Groupies haben schon mehr für einen Musiker getan als ein Roadie, Manager, Promotor etc. Das liegt doch auf der Hand, lieber mit einem Groupie als mit dem Manager oder Promotor im Bett. Für den Musiker ein flüchtiges Erlebnis. Sehr, sehr oft werden Groupies als lästig empfunden. Übrigens, es gibt auch Songs über Groupies. ‚You say, you love me like no other woman can, I say you only love the guitar rockin‘ man‘ oder Es sind wieder so’n paar scharfe Frau’n da, die sammeln Autogramme, aber ganz speziell, die schreiben wir mit ‚m Lippenstift auf die nackte Haut, nachts um 3 im Hotel‘ (Udo Lindenberg). So werden Groupies von Stars gesehen. Oder sollten Groupies doch mehr sein als ‚zweiohrige Wärmflaschen‘, die auf rein geistiger Ebene mit Musikern verkehren? So leid es mir tut, aber darüber kann ich nur lachen, da ich schon erlebt habe, wie Stars sich über diese ‚wichtigen Groupies‘ lustig machten.

ME-Leser Joachim Siegel, der genau wie Salamanda in Mannheim wohnt, fand ihren Leserbrief im MUSIK EXPRESS interessant genug, um sie gleich mal zu besuchen. Dabei entstand das folgende Interview:

Mit jedem Möchtegern-Hendrixbeck-Clapton ins Bett?

Joachim: In deinem Leserbrief im MUSIK EXPRESS schreibst du im Interesse aller Groupies. Was ist für dich ein Groupie und welchen Zweck soll ein Groupie in der Popszene erfüllen? Salamanda: Für den Volksmund und auch für die meisten Musiker ist ein Groupie ein kleines, dummes Mädchen, das mit jedem Möchtegern-Hendrixbeckclapton ins Bett steigt. Für sie ist ein Groupie ein Teenie. das sich schon die Höschen nass macht, wenn sie die grossen Superstars kommen sieht. Dem ist aber nicht so. Ich war in England und habe dort die Groupie-Szene studiert und auch teilweise miterlebt. Ein Groupie ist ein Mädchen, das sich für Rockmusik begeistert, und das die Musiker fasziniert, die diese Musik machen. Um aber diese Musiker besser kennenzulernen, muss man mit ihnen leben und mit ihnen schlafen. Joachim: Die einzige Funktion eines Groupies ist also mit den Musikern zu schlafen? Salamanda: Nein. Ich empfinde, das Groupie eines Musikers ist sogleich auch so eine Art ‚Hauspsychiater‘. Vielen Musikern geht ihr Job ganz gehörig auf die Nerven. Zum Beispiel bei schlechten Auftritten sind sensible Burschen hinterher vollkommen fertig. Das Groupie muss sich auf den jeweiligen Typen einstellen und ihn wieder hochbringen. Zu viele gute Musiker sind aus diesen Gründen – weil sie statt zum Groupie zur Spritze griffen – vor die Hunde gegangen. Viel mehr Musiker, als man sich vorstellt, sind z.B auch sehr häusliche Typen, die grosse Tourneen garnicht so recht vertragen können. Denen muss man dann die Mutter oder Ehefrau (!) ersetzen.

Mein Körper gehört jetzt nur noch Michael

Joachim: Was für ein Ziel kann eigentlich ein Groupie haben, bzw. was ist ein erfolgreiches Groupie? Salamanda: Nun ja, in der Groupie-Szene in England rangiert immer ein Groupie vorne, das es geschafft hat, einen bekannten Musiker fest an sich zu binden. Das beste Beispiel ist dafür Linda Eastman, ein Ex-Groupie, die mit ihren Freundinnen vorher um fünf Dollar gewettet hat, dass sie Paul McCartney bekommt. Daneben gibt es noch eine Szene, in der die Vielzahl der bekannten Musiker zählt, die ein Groupie aufweisen kann. Die meisten von diesen Mädchen sind aber schlecht dran; meistens haben sie Kinder und wissen nicht mehr von wem. Joachim: Welche persönlichen Erfahrungen hast du als Groupie? Salamanda: Möchtest du jetzt Namen hören? Joachim: Waren bekannte darunter? Salamanda: Direkte Namen möchte ich keine nennen, weil es zu meiner Vergangenheit gehört. Aber mein Name taucht in einem Lied auf, das der Boss einer sehr berühmten englischen Formation geschrieben hat. Eventuell kannst du mit diesem Hinweis »as anfangen. Wenn du intime Zahlen hören willst, ich habe insgesamt mit cirka drei Dutzend Typen geschlafen, allerdings nicht nur Musiker. Joachim: Warum hast du aufgehört ein Groupie zu sein? Salamanda: Ich hatte ganz einfach die Nase voll – ich steh‘ heute auf festen Beziehungen, ich bin häuslicher geworden. Joachim: Lebst du allein heute?

Salamanda: Seit ungefähr einem dreiviertel Jahr lebe ich mit Michael Bundt, dem Bassisten von ‚Nine Days‘ Wonder‘ zusamen. (Sie lacht) Keine Verdächtigungen, als ich ihn kennenlernte, wusste ich nicht, dass er Musiker ist. Joachim: Keine Lust mehr auf das alte Leben?

Salamanda: Nein, mein Körper gehört jetzt nur noch Michael. Joachim: Letzte Frage. Was machst du beruflich heute?

Salamanda: Ich arbeite als Fotomodell für Akt und Mode. Von diesem Geld muss ich uns beide ernähren, da der Verdienst eines deutschen Rock-Musikers nicht mal zur Existenz reicht.

Tja, soweit dieses Gespräch zwischen Joachim Siegel und Salamanda. In ihrem damaligen Leserbrief hatte Salamanda Helmut Salzinger, dem Autor des Buches ‚Rock Power‘ vorgeworfen, dass dieser keine Ahnung von Groupies habe. Sie meinte, ‚Rock Power‘ sei eines der schlimmsten Bücher, die e über Rock-Musik geschrieben wurden. Sowas lässt man natürlich nicht auf sich sitzen. Helmut Salzinger schrieb uns folgenden Brief:

Wass kann ein „Poor Girl“ schon tun?

Da liegt, nehme ich an, eine Verwechslung vor. Ich halte nämlich ‚Rock Power‘ nicht für ‚eines der schlimmsten Bücher ,.., die je über die Rock-Musik geschrieben wurden‘, sondern für eins der besseren. Abgesehen davon habe ich niemandem zu suggerieren versucht, Groupies seien poor girls, wie Salamanda mir unterstellt. Ich habe bloss herausgefunden, dass manche Rock-Musiker von Frauen keine besonders gute Meinung haben und dass sich das auf die Stellung der Frau innerhalb der Rock-Szene auswirkt-Es gibt einen Song von den Rolling Stones, der heisst ‚Street Fighting Man‘. Darin stehen die Zeilen: What can a poor boy do I ‚cept to play in a rock’n‘ roll band‘. Was Susanne Weber aus ‚Rock Power‘ zitiert und Salamanda angegriffen hat, bezieht sich auf diese rhetorische Frage Mick Jaggers. Indem der nämlich bloss von den poor boys spricht, zeigt er unvSrsehens an, dass er die poor girls gar nicht auf der Latte hat. Und nun erst habe ich gefragt: „What can a poor girl do, wenn es schon nicht in einer Rock’n’Roll Band mitspielen kann? Sofern die Frage sich überhaupt stellt, ist die Antwort klar: das Girl kann ja Groupie werden.“

Ironie. – Schon von gehört? Ich erkläre hiermit feierlich, dass ich nichts gegen Groupies habe. Ausserdem will ich auch nicht bezweifeln, dass Groupies einen festen Platz in der Musikszene haben. – Sogar Prostituierte haben irgendwo einen festen Platz. Um jetzt nicht a) die Groupies und b) die Prostituierten auf den Hals zu bekommen, erkläre ich weiterhin eilig und feierlich, dass ich Groupies nicht für Prostituierte halte, vielmehr der Ansicht bin, dass sicherlich manche namenlose Prostituierte irgendwelchen namenlosen Männern ähnlich wertvolle Dienste geleistet hat und leistet wie Salamandas Groupie-Girl irgendwelchen Musikern. Prostitution ist nämlich nicht bloss das brutale Geschäft, das sie ist, sondern zugleich auch eine ebenso ehr- und denkwürdige Angelegenheit wie die menschliche Kultur überhaupt. Dies hingegen ist keine Ironie, sondern einfach wahr, kann daher auch keine Diskriminierung enthalten.