Interview Bono


"ZOO-TV" hat Sendepause, U2 überdenken bis zu der Open-Air-Tournee 1993 ihr Multimedia-Konzept: Gitarrist Edge entpuppt sich dabei als Techno-Freak, Sänger Bono denkt lieber an die Zeit zurück, als ACHTUNG BABY in Berlin gezeugt wurde. Informations-Overkill oder Rückkehr zum einfachen Rock-Apostel? Zeit zur Zwischenbilanz mit ME/Sounds-Mitarbeiter Bert van de Kamp.

ME/SOUNDS: „ZOO-T“ hat nun Sendepause. Überlegt ihr auch, ob es nötig war, so eine Menge an Technik mit rumzuschleifen?

BONO: Eine Menge? Es sieht aus wie in Cape Canaveral! Edge und Adam arbeiten beide mit Loops, Samples und ganzen Batterien von Pedalen. So schlimm war’s noch nie!

ME/SOUNDS: Bei manchen Stücken kommt das Piano oder die Orgel aus dem Computer, permanent schwirren Samples durch eure Arrangements. Wäre es nicht ehrlicher, gleich einen Gast-Keyboarder mit auf Bühne zu stellen?

BONO: 0 ja. die leidige Frage.

ME/SOUNDS: Warum habt ihr’s nicht getan? War Billy Preston schon ausgebucht?

BONO: Wir haben ernsthaft darüber nachgedacht, aber irgendwie schien es für U2 nicht das Richtige zu sein. Wir machen auch kein Geheimnnis daraus, daß wir mit Computer-Tracks arbeiten. Wußtest du, daß der Drummer von Sly & The Family Stone schon Anfang der siebziger Jahre mit Loops experimentierte? Wenn man polyrhythmisch spielen will, braucht man so etwas. Wir setzen das gleiche technische Material ein wie Rap-Bands, nur eben in einem Rock ’n‘ Roll-Kontext.

ME/SOUNDS: Etliche eurer Kollegen meinen dagegen, daß in einer authentischen Rock-Band Computer nichts zu suchen haben.

BONO: Authentizität hat heutzutage keine Bedeutung mehr. Ich will vor den Neunzigern nicht davonrennen, sondern stehenbleiben und kämpfen. Ich möchte mich mit der Technik auseinandersetzen, sie für meine Zwecke nutzen — und ausnutzen. Rock ’n‘ Roll hat das schon immer getan. Denk nur an Jimi Hendrix mit seiner Fuzzbox!

ME/SOUNDS: Adam und Larry haben damit keine Probleme?

BONO: Nein, mittlerweile nicht mehr, obwohl wir uns in dem Punkt nicht immer ganz einig waren. Jetzt stehen sie voll dahinter, besonders Larry, weil er dadurch eine Menge Freiheit für andere Dinge bekommt. Larry ist unser Gewissen. Er ist immer der erste, der fragt: „Könnte uns das schaden““

ME/SOUNDS: Schaden könnte euch zum Beispiel der Techno-Overkill, mit dem ihr eure Fans zu Beginn der Shows zuballert…

EDGE: Da ist viel mißverstanden worden. .ZOO-TV“ ist ein Informations-Schmelztiegel. Information ist die Welt-Währung der 90er, und wir spielen damit auf unsere Art. CNN bringt dich ja auch an die Front von „Desert Storm“. und in der nächsten Sekunde bist du in Tokio an der Börse. So eine Informations-Masse gab es nie zuvor — du mußt bloß die Fernbedienung drücken. Aber es gibt einen Unterschied zwischen Information und Wahrheit. So sind viele unserer TV-Slogans einfach unwahr, andere aber nicht.

ME/SOUNDS: Wahr ist zum Beispiel, daß ihr immer noch gemeinsam in einem Auto zum Konzert fahrt.

BONO: Ja, aber in einer fetten Limousine! Ich kann mir nicht helfen, ich finde diese Seite des Rock ’n‘ Roll — den Glitzer und Glamour — einfach nur lächerlich. Vier Verrückte, eskortiert von einer Meute Polizisten, das ist doch absurd, oder? Wir können nur deshalb damit leben, weil wir uns dieser Absurdität bewußt sind.

ME/SOUNDS: „Erfolg ist ein Fluch“, hat Bob Dylan kürzlich in einem Interview gesagt. Würdest du dem zustimmen?

BONO: (Nach längerem Nachdenken) Erfolg ist eher etwas Unausweichliches, du kannst kaum etwas dagegen tun. Wenn du für die Bühne geboren bist, dann steckt es ein Leben lang in dir, auch wenn du dir manchmal wünscht, es wäre anders. Es ist ein Tauschgeschäft, du gibst und du bekommst etwas zurück. Vielleicht sieht Bob Dylan das anders, weil er sich allein damit auseinandersetzen muß. Für mich ist es schwer vorstellbar, allein zu sein, ohne jemanden, der dir ab und zu sagt, daß du ein Idiot bist. Wir sind zu viert, dadurch hält sich der Größenwahn bei jedem von uns in Grenzen.

ME/SOUNDS: Gavin Friday hat mir erzählt, daß er auf euren Wunsch während der „Raule & Hum“-Tour nach Amerika fliegen mußte, um euch den Kopf zurechtzurücken. ¿

BONO: Ja, Gavin ist Mr. Realität persönlich. Ich kann mich glücklich schätzen, einen Freund wie ihn zu haben. Die meisten meiner Freunde aus der Zeit, als ich 15. 16 Jahre alt war. sind Freunde geblieben. Der Erfolg hat daran nicht viel geändert. Viele Leute denken, in einer Rockband zu spielen, bedeutet automatisch, man müßte ein bißchen übergeschnappt sein. Aber meine Freunde haben nie vergessen, daß ich einfach nur meinen Job mache. Ich treffe mich immer noch mit ihnen, wenn ich in Dublin bin. und wenn’s nötig ist, sagen wir uns auch mal die Meinung.

ME/SOUNDS: Jaja, der Star als Mensch …

BONO: Doch, denn ich hatte Glück und wurde in Irland geboren. Was Erfolg betrifft, sind die Iren nicht besonders ehrfürchtig. Das Problem für sie ist, daß Erfolg und Geld traditionell mit England und den Engländern in Verbindung gebracht wird. Sie haben sich immer noch nicht ganz daran gewöhnt, daß Irland mittlerweile ihnen gehört.

ME/SOUNDS: Haben sie sich daran gewöhnt, daß der Firma „U2“ inzwischen halb Irland gehört?

BONO: Wie gesagt, sie haben zu diesen Dingen ein zwiespältiges Gefühl. Vor ein paar Jahren zum Beispiel kaufte ich mir einen alten Mercedes und fuhr damit in Dublin herum. Irgendwo in einem Gäßchen in Nord-Dublin blieb ich zwischen einem geparkten Auto und einem anderen Wagen stecken, dessen Fahrer sich weigerte, mich vorbeizulassen. Ich riß mich zusammen und wartete ab. was passieren würde. Nach einer Weile erkannte der Typ mich und fing an. sich fürchterlich zu entschuldigen: „Bono, ich wußte nicht, daß du es bisi. Ich dachte nur: Du ist schon wieder so ein Arschloch in einem dicken Mercedes“. Worauf ich sagte: „Aber ich bin ein Arschloch in einem dicken Mercedes!“

ME/SOUNDS: Die Amerikaner lieben dich automatisch, wenn du erfolgreich bist. Die Kehrseite der Medaille ist, daß du als Verlierer in Amerika ein doppelt armes Schwein bist.

BONO: Das ist wahr. Wenn du einem Amerikaner eine bombastische Villa zeigst, sagt er: „Hey, eines Tages werde ich darin wohnen“. Bei einem Dubliner bekommst du zu hören: „Eines Tages schnapp ich mir den Bastard, der dort wohnt.“ Natürlich haben sie beide nicht recht. Es mag abgedroschen klingen, aber Geld ist nun mal unsere neue Religion. Man könnte noch weiter gehen und sagen, daß die Banken unsere neuen Kirchen sind. Aber das stimmt nicht, denn eigentlich sind es die Spielcasinos. Las Vegas ist das Mekka unserer Zeit.

ME/SOUNDS: In eurer aktuellen Show verbreitet ihr ja auch eine Menge Las-Vegas-Flair…

BONO: Ja, an einer Stelle sage ich sogar: „Laß uns nach Vegas gehen, ein bißchen heiraten … „Mit diesen Kontrasten muß man leben. Deswegen bin ich so gerne in Amerika.

ME/SOUNDS: Immerhin ist es das Land, daß den Rock VT Roll erfunden hat.

BONO: Rock ’n‘ Roll hat viel von seiner Wichtigkeit verloren. An seine Stelle ist die Pop-Kultur getreten. Die Stars der achtziger Jahre orientierten sich mehr am Broadway als an dem. was Rock ’n“ Roll ursprünglich ausgemacht hat. Tanzschritte, Augenzwinkern ins Publikum — das hat mit Rock nicht viel zu tun. Ich kann auch nicht genau sagen, was Rock ’n‘ Roll eigentlich ist, aber ich weiß sicher, daß er das nicht ist. REM sind ein gutes Beispiel für die Ausnahmen, die es gottseidank noch gibt. In dieser Band ist Leben, Sonne. Ich weiß nicht, ob ich das richtig interpretiere, aber REM scheinen den Neunzigern eher ablehnend gegenüber zu stehen, und das kann ich akzeptieren. Ihr Rock ’n‘ Roll ist in der Tradition verwurzelt.

ME/SOUNDS: Die Gegenwart Amerikas sieht anders aus: Sie ist schwarz und hat einen Ghettoblaster auf der Schulter.

BONO: Und sie hat eine fettes Sound-System im Auto. Als wir in Los Angeles waren und RATTLE AND HUM aufnahmen, saß ich eines Abends auf dem Sunset Strip und hörte mir die Musik an, die aus den Lautsprechern der Autos und Busse auf dem Sunset Boulevard dröhnte. Damals kamen mir zwei Gedanken. Erstens: Die Leute kaufen ihre Stereoanlagen nicht mehr, um Platten zu hören, sondern sie kaufen Platten, um ihre Anlagen aufdrehen zu können. Die ganze Rap-Musik ist vor allem dazu da. damit du dein Auto-Stereo optimal zur Geltung bringen kannst. Eine Menge Höhen und eine Menge Bässe.

Der zweite Gedanke war: Diesen Sound habe ich schon mal gehört. Als ich in Afrika war. habe ich Aufnahmen von afrikanischen Trommlern gemacht. Die Rhythmen, die aus den Lautsprechern auf dem Sunset Boulevard kamen, waren fast identisch mit dieser uralten afrikanischen Musik. Diese Kids mit den Ghettoblastern auf der Schulter haben nicht die geringste Ahnung, daß ihre Musik eine Jahrhunderte alte Tradition hat, daß sie direkt aus dem Herzen Afrikas kommt.

ME/SOUNDS: Eines hat sie ja mit Rock ‚«‘ Roll gemeinsam: Man braucht keine akademische Ausbildung dafür.

BONO: Genau. Smokey Robinson und Dylan sind für mich genauso wichtig wie jeder Schriftsteller. In den sechziger Jahren gab es Folk und Protestsänger und parallel dazu die Pop-Art von Leuten wie Andy Warhol. Diese beiden Bewegungen haben den Rock ’n‘ Roll erwachsen werden lassen. Heute versuchen einige Leute, den Rock ’n‘ Roll wieder auf seine ursprüngliche, rein unterhaltende Funktion zu reduzieren: Spiel und Spaß am Samstagabend, und am Montag geht’s wieder zur Arbeit. Das ist auch ¿

in Ordnung, aber eigentlich geht es um mehr. Und um dieses Mehr nicht kaputt zu machen, soUte man nicht zuviel darüber reden.

ME/SOUNDS: Gut, reden wir statt dessen darüber, warum ihr für das in Berlin aufgenommene Album ACHTUNG BABY wesentlich länger gebraucht habt als bei früheren Alben.

BONO: Eigentlich dauert es bei uns jedesmal sehr lang. Wenn das Album dann endlich fertig ist. hängt es uns normalerweise zum Halse heraus, aber diesmal war es anders. Ich weiß nicht, woran das gelegen hat. Eine Band wie U2 kann man durchaus mal auf Autopilot schalten und eine Weile sich selbst überlassen. Erfolg ist kein Problem für uns, aber kontinuierlich an etwas zu arbeiten, das scheint fast unmöglich zu sein. ME/SOUNDS: Nach dem Krieg gab es in Deutschland den Werbeslogan „Berlin ist eine Reise wert“. War es das — aus dem Abstand betrachtet — auchfir euch ?

BONO: Auf jeden Fall, vor allem zu dieser Zeit. Ein Beispiel: Unser Tourmanager Dennis hatte uns über die damals noch amtierende DDR-Regierung ein Haus verschafft. Es stellte sich heraus, daß es eines dieser Häuser war, in denen Staatsgäste untergebracht wurden, und daß in meinem Ben früher immer Breschnew geschlafen hat, wenn er auf Besuch in Berlin war. An dem Abend, als Berlin den Fall der Mauer feierte, waren wir in der Stadt unterwegs und uns fiel auf, daß die Leute alle nicht so besonders glücklich aussahen. Ich sagte zu Edge:

„Die wissen hier wohl nicht nicht, wie man richtig feien!“ Später bekamen wir heraus, daß wir uns die falsche Abteilung ausgesucht hatten. Diese Typen waren alle gegen die Wiedervereinigung!

ME/SOUNDS: Habt ihr versucht, herauszufinden, warum sie dagegen waren?

BONO: Am nächsten Tag, gegen Mittag, stand auf einmal eine ganze Familie vor unserem Haus. Der Mann fragte mich, was wir hier zu suchen hätten, und ich antwortete: „Wir wohnen hier, und ihr?“ Daraufhin meinte er, dies sei sein Haus. Ich sagte: „Moment mal, Freundchen, das stimmt so nicht ganz, dies ist zufällig mein Haus. “ Er fragte, ob ich der Hausmeister oder ein Handwerker sei. Das ging eine Weile hin und her, bis schließlich herauskam, daß das Haus früher seinem Vater gehört hatte. Zuerst hatten es die Nazis konfisziert und später dann die Kommunisten. Er haue die ganze Zeit in Westdeutschland gelebt, und nun, da er das Haus das erste Mal zu Gesicht bekam, saß eine Rockband drin! Das muß für ihn schlimmer gewesen sein als alle Nazis und Kommunisten zusammengenommen. Er war fassungslos. Ich sagte: „Ich würde Sie gerne ein bißchen herumführen, aber leider schlafen die anderen alle noch. “ Das fand er sehr merkwürdig — schlafen, am hellichten Tag? Aber als ich ihm versicherte, daß er sein Haus nach unserer Abreise wiederhaben könnte, war er beruhigt. Ich hoffe, er hat es bekommen.

Später zogen wir ins „Palast Hotel“ um. Du hättest sehen sollen, was da los war. Der ganze Laden wimmelte von Geschäftsleuten. Diese Bagage führt sich schlimmer auf als jede Rockband. Geschniegelte Herren in Nadelstreifenanzügen, auf jedem Knie eine Nutte. Oder an der Bar. wo sie sich über fünfzehnjährige Mädchen hermachten. Mitten in der Nacht wachte ich von einem markerschütternden Schrei auf. Ich dachte, da wird jemand ermordet. Es war eine Frau in dem Zimmer über mir. Ich wollte gerade zum Telefon greifen, als ich sie plötzlich kichern hörte. Wie sich herausstellte, waren sie gerade dabei, so ein Sado-Maso-Ding abzuziehen.

ME/SOUNDS: Kein Wunder, daß ACHTUNG BABY euer bis dato düsterstes Album ist…

BONO: Seltsam. Zu unserem Konzert in Miami kam auch die älteste Schwester von John F. Kennedy, Eunice Shriver. Man sagt, daß sie das eigentliche „Gehirn“ der Familie ist. In einer anderen Zeit wäre sie, nicht ihr Bruder, Präsident geworden. Sie ist Experte auf dem Gebiet der irischen Literatur: Beckett, Joyce, Yeats… Sie ist jetzt 75, war schon vorher einmal auf einem unserer Konzerte gewesen und ist damit unser ältester Fan. Hinterher sagte sie uns: „Es war interessant zu sehen, daß heute abend mehr Teufel auf der Bühne waren. Engel auch, aber die waren schon immer da. Heute abend waren es weniger Engel und mehr Teufel. So ist es auch besser. Ein gerechlerer Kampf. „

ME/SOUNDS: Wenn man eure neuen Songs hört, körnte man meinen, du steckst tief in Depressionen. Andererseits bist du gerade Vater einer zweiten Tochter geworden, und scheinst ein ziemlich glückliches Leben zu fiihren …

BONO: Ich bin glücklich, unglücklich zu sein! (Lacht) Wir befinden uns nun mal in den Neunzigern, und Liebe und Sex stecken in einer Krise. Wir sind nicht so verrückt, das nicht zu erkennen. Wir schreiben darüber in einer An codierten Sprache. Oberflächlich gehört wirkt ACHTUNG BABY wie ein ungeheuer lustbetontes Album, aber wir sind uns bewußt, daß Sex als Thema mittlerweile ziemlich negativ besetzt ist.

ME/SOUNDS: Das Wort „glücklich“ ist ohnehin nicht sehr hilfreich. Wer glücklich ist, braucht sich nicht mehr weiterzubewegen. Aber Leben heißt nun mal Veränderung und Bewegung.

BONO: Irgendwann kommt bei jedem, aber besonders bei einem Künstler, der Punkt, an dem man es sich nicht länger erlauben kann, sich nur von seinen Gefühlen treiben zu lassen. Dann mußt du den Tatsachen ins Gesicht sehen. Auf diesem Album zum Beispiel haben wir uns den „love song“ vorgeknöpft, seit jeher das Herzstück des Rock ¥ Roll. Wir wollten ihn weiterentwickeln. Rock-Songs handeln immer von Sex auf dem Rücksitz eines Cadillac. Doch wie geht die Geschichte weiter? Davon hört man sonst nichts: Das Mädchen wird schwanger, die beiden müssen heiraten, und dann? Das ist es, womit sich die Songs auf ACHTUNG BABY beschäftigen. Und den Cadillac haben wir durch einen Trabant ersetzt.