Adam Green im Interview


Adam Green ist ein kauziger, immer müder Sonderling, der sich am liebsten ganztags mit Pizza und Bier vor den Fernseher fläzt. Zwischendurch bestellt er sich Frauen aufs Zimmer. Und: Green schreibt, falls er sich doch mal aufrafft, ungezogene Folksongs, die er später, bizarr kostümiert und nicht allzu textsicher, in einer piefigen Bar vorführt. In Interviews gähnt er lieber ausgiebig, als langatmige Fragen zu beantworten, und stürzt damit Journalisten in die Orientierungslosigkeit. Die schreiben dann Sachen wie: "Adam Green ist ein kauziger, immer müder Sonderling..." Allein: Das Bild, das der 23jährige Musiker in den nächsten 18 Stunden abgibt, ist ein komplett anderes.

Samstagnachmittag, halb vier. Seit Stunden flutet Regen das sattgrüne Tal bei Salzburg; das Frequency Festival steht unter Wasser. Backstage stapft Adam Green mit Schirm, Jackett und handfeuchtem Zottelhaar vorbei an den wetterfest verpackten Security-Männern in Richtung Künstlerzelt, wo er den ME in seiner Drei-mal-vier-Meter-Kemenate zum letzten von heute allein vier Interviews empfängt. Green war ziemlich gefragt, seit er und Kimya Dawson die Moldy Peaches aus dem New Yorker Underground ans Licht geführt hatten. Jetzt, da diese Band auf Eis liegt, ist er es nicht mehr. Jetzt ist er begehrt. Die Schuld daran trägt FRIends OF MINE, Greens zweites Soloalbum. Es zählte zu den Pop-Schönheiten im Jahr 2003, ein rundum bezauberndes Singer/Songwriter-Album, das Folk in Perfektion mit feingliedrigen Streichersätzen paart, in seinen Texten jedoch vor bissigem Sarkasmus strotzt. Das Gelingen des Experiments Pop hat Green auf den Geschmack gebracht: Die nächste Platte wartet nicht nur, bereits seit Wochen fertig gestellt, einzig auf ihre Veröffentlichung, sondern, wie er uns später beweisen wird, mit ein paar Überraschungen mehr auf.

„Hey, how’re you doin‘?“Schon sitzt er wach und munter am Tisch vor einem Berg von Obst und Süßigkeiten. Keine Spur von Langeweile, Adam Green zeigt vielmehr die kontrollierte Nervosität eines jungen Musikers, der mit jedem Konzert vor ein größeres Publikum tritt.

Ich habe mit Leuten gesprochen, die ihr letztes Geld für Festival-Tickets ausgegeben haben, nur um dich live zu sehen. Irritiert dich das ?

ADAM GREEN (lange Pause) Es macht mich auf jeden Fall sehr glücklich, wenn die Leute auch wegen mir kommen.

Deine Popularität ist kein Problem für dich ?

Nein, eher macht sie vieles leichter. Zum Beispiel kann ich mir jetzt leisten, mit einem Nightliner zu reisen, und bekomme so genug Schlaf auf Tour.

Trotzdem muss dich der Erfolg von friends of mine ziemlich überrumpelt haben.

Allerdings. Ich war mir zwar sicher, eine solide Platte gemacht zu haben, und hielt es auch für möglich, dass sie sich gut verkauft. Aber bei weitem nicht so gut, wie sie es schließlich in Europa, besonders in Deutschland, getan hat.

Auch und vor allem dank deiner nun professionellen Herangehensweise …

Vor FRIENDS OF MINE habe ich meine Songs ausschließlich zu Hause aufgenommen. Das heißt aber nicht, dass ich versessen aufs Home-Recording war. Mir standen nur keine anderen Möglichkeiten zur Verfügung. Das ergab sich erst nach den Moldy Peaches.

Fällt es dir inzwischen schwer, dich mit deinen früheren Platten zu identifizieren?

Im Gegenteil, auf meinen Konzerten spiele ich nach wie vor Stücke von damals. Sie sind mir immer noch wichtig, auch wenn ich in letzter Zeit im Songschreiben, Texten und Produzieren viel hinzugelernt habe.

Auf der Buhne machst du zuweilen einen sehr introvertierten Eindruck. Versuchst du dir eine gewisse Intimität zu wahren, die du vor großem Publikum eigentlich nicht mehr haben kannst?

Das ist ja nicht immer so, manchmal kaspere ich auch herum und rede viel. Aber klar, ich kann sehr reserviert, in mich gekehrt sein. Oft ist es einfach angebracht, etwas Distanz zwischen sich und seinem Song zu schaffen, so dass der Song der Song bleibt und man selbst man selbst. Ich muss nicht jedes mal eins werden mit meinen Stücken.

Nebenbuhne, kurz nach fünf. The Liars haben ihren Set in einer Lärmorgie beendet. Ratlosigkeit auf den Gesichtern der meisten Zuhörer. Ein paar gehen hinüber zur Main Stage, zu Mando Diao. Viele kommen, weil der Spielplan einen besonderen Gast vorsieht. „Bin ich hier richtig bei Adam Green?“, will ein Junge mit Baseballkappe wissen und kramt schon mal seinen Fotoapparat unter dem Regenumhang hervor. Dann wird’s ringsum laut, weil Green auf die Bühne kommt, wo seine Band schon auf ihn wartet: Keyboarder Nathan Brown, Drummer Parker Kindred, Gitarrist Chris Isom und Bassmann Steven Mertens, der Green schon zu Moldy-Peaches-Zeiten beistand und später sagen wird: „Adam ist der am wenigsten umständliche Musiker, mit dem ich je gearbeitet habe.“ Es braucht keine zehn Sekunden vom Opener „Bunny Tanch“, und die Menge hopst und jubelt. Green schickt Dankesworte hinunter zu den Menschen, denen das herbstliche Wetter die Laune nicht verderben kann, eben genau dafür, dann singt er weiter, und das Publikum klebt an seinen Lippen. Gestatten: Adam Green, Menschensammler. Sein Trick: Er bleibt am Kern eines Songs, alles Überflüssige schüttelt er ab. Das erfahrt auch „Kokomo“, der an sich verzichtbare späte Hit der Beach Boys. Wieviel Verve in diesem Lied hat man bisher verkannt vor lauter Kitsch!?

Hauptbühne, Punkt 20 Uhr. Die Zeit wird knapp. Sein Bus fährt um neun, Green darf sich die Kings Of Leon aber noch anschauen. Er steht auf der Hauptbühne, abseits im Schatten, ein paar Meter entfernt von der bejubelten Followill-Mischpoke. Green und die Kings sind Freunde, sie waren gemeinsam auf Tour. Er im Vorprogramm. Man durfte sich fragen, wer da wen supportet. Und wer zuletzt lacht. Die Kings Of Leon profitieren vom Zeitgeist, sie würden ohne den ganzen Wirbel um den Garagenrock kaum zur besten Stagetime auf einer Festival-Hauptbühne stehen. Green hingegen hat sich sein eigenes kleines Folk-Revival geschaffen, er ist hip in seiner Art, nicht hip zu sein.

Im Tourbus, gegen halb zehn. Bierflaschenklirren. Lachen. Adam Green stößt mit seinem Tross an auf den Abschluss der neuntägigen Tour durch Deutschland, Schweiz und Österreich. Ein Teil der Mannschaft sagt früh „Gute Nacht!“ und verabschiedet sich zum Schlafen nach hinten, während der Nightliner weiter an den stattlichen 700 Kilometern zum Flughafen Köln/Bonn knabbert, von wo aus am nächsten Morgen die Reise zurück nach New York fuhrt. Green serviert Absinth und CDs aus der ANTHOLOGY OF AMERICAN FOLKMUSIC.

„Ich versuche, etwas von der schroffen Magie, die Folk in den^oerjahren besaß, in meine Songs aufzunehmen „, verrät er, aber darin allein liegt der Zauber seiner Musik nicht. Es sind die Gegensätze, die an Adam Green fesseln: Zu honigweichen Klängen singt er von abartigen Dingen, er kann den Clown geben und sich im nächsten Moment verschließen. Er ist naiv und smart, romantisch und rebellisch.

Mount Kisco, das 10.000-Seelen-Städtchen, liegt eine Autostunde von New York City entfernt. Ein idyllisches, verschlafenes Nest. Hier kommt Adam Green am 28. Mai 1981 zur Welt. Als der jüngere von zwei Söhnen eines Ärzte- Ehepaars verlebt er eine glückliche Kindheit. „Musik bedeutete mir von Anfang an viel. Es war mein eigenes Ding, nicht das meiner Eltern.“ Mit acht nimmt er Klavierstunden, mit neun steigt er auf Tuba um, „weites ein so mordsgroßes Instrument ist“, und bringt es damit übers Schulensemble bis ins Landesorchester.

„Es ist schon merkwürdig: Was ich damals lernte -Harmonielehre, Melodieaufbau, der ganze theoretische Wust -, bestimmt bis heute mein Songschreiben. „1992, Adam ist elf, bekommt er eine Gitarre geschenkt. Am ersten Tag lernt er zwei Akkorde – und schreibt seinen ersten Song. Ein paar Wochen später sitzt er bei einem Lehrer, der ihm beibringt, was immer er spielen will: Nirvana, Beck, Pink Floyd … „Als er mir nach einem halben Jahr eröffnete, dass es jetzt ans Notenlesen geht, bin ich abgehauen und kam nicht mehr zurück.“ Ein Schulfreund weckt Adams Faible für Punk. In den Pausen stehlen sie sich in den Musikraum und geben kleine Konzerte. Auf seinem Wunschzettel zum zwölften Geburtstag steht ein Vierspur-Aufnahmegerät. „Als ich es bekam, war’s um mich geschehen. Ich saß den ganzen Tag in meinem Zimmer und schrieb Songs. 50 in einem halben Jahr. Die meisten waren mies, aber es war eine gute Übung.“

Kimya Dawson begegnet er zum ersten Mal in einem Cafe in der Nachbarstadt Bedford Hills. An einem Open-Mic-Nachmittag: Die Bühne steht jedem offen. Dawson, neun Jahre älter als Green, liest selbstverfasste Gedichte. Adam spielt seine Songs. Ihre Blicke kreuzen sich. Doch sie reden kein Wort miteinander. Danach wird über ein Jahr vergehen, bis sie sich wiedersehen. Kimya Dawson bekommt einen Job in dem Plattenladen, in dem Green seine Nachmittage verbringt. Sie kommen ins Gespräch. „Kimya hat mich von Anfang an sehr ermutigt und bestärkt in dem, was ich mache. „Am nächsten Tag bringt Adam seine Gitarre mit in den Laden und jammt mit Kimya hinter der Verkaufstheke. Es ist die Geburt der Moldy Peaches. Zwar studiert Dawson an der Westküste, doch in den Semesterferien kommt sie zurück nach Mount Kisco, um mit Adam zu schreiben: rotzige, kleine, verspielte Songs zwischen Folk, Country, Blues und Punk (von denen sich einige auf der 2002 veröffentlichten Moldy-Peaches-Retrospektive unreleased cutz and live jamz finden). Ein paar Sommer geht das so; Green ist inzwischen 17, hat die High School hinter sich und eine Zulassung zur Filmhochschule in der Tasche. Dort bleibt er jedoch nicht lange: Ihm fehlt die Familie, die‘ inzwischen nach New York City umgezogen, ihm fehlt vor allem Kimya, die am anderen Ende des Landes lebt. Er zieht zu ihr. In Port Townsend, Washington, finden die beiden mit Drummer Justice Campbell und Gitarrist Jest Commons das Line-up für die ersten Konzerte der Moldy Peaches.

Mitte 1999 geht Green zurück, nach New York City. Er spielt in der U-Bahn Gitarre, verkauft Tapes seiner Band aus dem Koffer. Kein sehr lukratives Geschäft. Eines Abends findet er den Weg ins Sidewalk Cafe – das Zentrum der Antifolk-Szene. Verkannte wie Dilettanten geben sich hier einmal die Woche das Mikrofon in die Hand. Green hat die ideale Bühne für die Moldy Peaches gefunden und holt die Band in die Stadt. Mit bunten Kostümen und wechselnder Besetzung machen sich die Peaches über die folgenden Monate einen Namen im Untergrund. Bei einem Auftritt in der Mercury Lounge steht auch Geoff Travis im Publikum. Der Rough-Trade-Chef hat erst vor kurzem die Strokes unter Vertrag genommen. „Nach der Show bot Geoffuns an, eine Platte zu machen. Auf Rough Trade! Ich konnte es nicht fassen.“ ‚Das selbstbetitelte Debüt der Moldy Peaches, für das sie ausschließlich auf vorhandene Aufnahmen zurückgreifen, erscheint im September 2001. Die Band spielt als Opening Act für die Strokes in Europa und Nordamerika.

Es sind jedoch genau diese rastlosen Monate auf Tour, die den Moldy Peaches am Ende das Genick brechen, „Kimya und ich waren so ausgelaugt, dass wir keine neuen Songs mehr auf die Reihe bekamen. Und ewig nur die alten spielen wollten wir nicht.“ Obwohl es später zu Reunion-Gigs kommt, ist die große Zeit der Band im Frühjahr 2002 vorüber. Die Wege von Kimya Dawson und Adam Green trennen sich in Freundschaft. Ende 2002 kommt, reichlich verspätet, Adams achtbares Solodebüt GARFIELD in die US-Läden (in Europa erscheint es ein halbes Jahr zuvor, titellos und mit weniger Liedern). Das Album war noch zu Lebzeiten der Peaches entstanden. „Die Plattenfirma hatte es aus unerfindlichen Gründen so lange zurückgehalten, dass es mich kaum noch repräsentierte, als es endlich erschien.“ Er hat es deshalb auch eilig mit dem Nachfolger, obgleich ihm ein viel komplexeres Werk vorschwebt. „Ich sagte meinem Label, dass ich Gastmusiker will, einen Streicherarrangeur, ein professionelles Studio, und bekam das Otei/.“FRIENDS of mine, veröffentlicht im Juli 2003, wird groß. Green, von Anfang an ein scharfsinniger Songschreiber, weiß sein Talent jetzt weitaus besser zu nutzen. Musikalisch zeigt er sich reifer und mehrheitsfähig. Inhaltlich lässt sich zumindest das „mehrheitsfähig“ nicht halten.

Du singst über Selbstmord, Kekswichsen, Sex mit beinlosen Frauen. Warum?

Es sind einfach sehr freie Assoziationen, die mir kommen, wenn ich an meinen Stücken arbeite. Abgesehen vom Song „No Legs“, der auf dem wahren Erlebnis eines Freundes beruht.

Andere singen über Politik in diesen Tagen…

Wenn’s mir in den Sinn käme, würde ich das auch tun. Nur denke ich meist an andere Sachen. Ich verfolge keine bestimmte Intention, wenn ich meine Songs angehe, das ist für mich das Aufregende: Am Anfang hast du ein leeres Blatt vor dir und kannst draufschreiben, was du willst. Du weißt nie, was als nächstes kommt.

Und wenn es in Provokation endet, ist es umso besser…

Ich sehe das anders. Für mich sollen Themen, wie du sie ansprichst, den Song würzen. Spice it up! Zugegeben, es ist manchmal ein sehr strenger Geschmack. Aber wer sich durch meine Texte wirklich angegriffen fühlt, der nimmt sie zu ernst. Kunst hatte noch nie den Anspruch, die absolute Wahrheit zu sein.

Scherst du dich drum, was andere über dich schreiben ?

Ich gebe mein Bestes, mich von Kritiken fernzuhalten. Es kann so frustrierend sein, wenn die eigene Platte verrissen wird. Zu wissen, dass ich es ja doch nicht mehr ändern kann, so gut ich auch argumentiere. Es ist gedruckt, die Menschen lesen es. Wenn ich mich zu sehr mit solchen Dingen beschäftigen würde, bliebe nicht viel Energie für die Musik übrig.

Wo schreibst du deine Songs?

Überall, ich habe immer einen Rekorder dabei. Die meisten Ideen kommen mir morgens, beim Spazieren im Park. Es kann aber auch irgendwo anders passieren. Wenn ich mit meiner Freundin zusammen bin oder mit Bekannten beim Essen sitze.

Dann springst du wie vom Blitz getroffen auf, drückst „Aufnahme“ und fängst an zu singen?

(lacht) Wenn ich es einrichten kann, verlasse ich noch den Raum und gehe nach nebenan.

1.30 Uhr, A3 auf Hohe Wurzburg. Der große Moment ist ein kleiner Handgriff. Adam Green legt sein neues Album auf: gemston es. Noch ist es eine CD-R, bekritzelt, aber am Inhalt wird sich bis zur Veröffentlichung Anfang 2005 nichts mehr ändern. Auch auf seiner dritten Plattegenügen Green 30 Minuten, um alles zu sagen. Die Songs sind bündig geblieben und doch dynamischer geworden, die Streicher breiten Orgeln und manch exotischer Perkussion gewichen. Breaks an jeder Ecke. GEMSTONES ist nicht der Versuch, sich den von friends of MINE bekannten Motiven mit ähnlichen Mitteln zu nähern; Green malt mit neuen, allenfalls verwandten Farben. „Ginge es nach mir, würde das Album morgen im Laden stehen. Aber die Plattenfirma hält Januar für den besseren Zeitpunkt, weil vorher zu viele große Bands ihre Alben herausbringen.“

Sonntag, 9 Uhr, Flughafen Bonn. Die Koffer sind gepackt, die Schlafkojen im Nightliner geräumt. Draußen türmen Adam Green und seine Begleiter das große Tourgepäck auf die Trollis und schieben los. Heute Abend werden sie zurück in New York sein – und dann?

„ich werde die nächsten Wochen mal gar nichts machen. Nur faulenzen.“ Sein Mund lächelt, die jetzt wohl wirklich müden Augen bleiben unter der großen schwarzen Sonnenbrille versteckt.

„Naja, wenn ich es durchhalte. Wahrscheinlicher ist, dass ich übermorgen schon wieder an einem neuen Song sitze.“