Pet Shop Boys über Architektur
Ein Thema so nah. Chris Lowe war Architekturstudent und zusammen mit Partner Neil Tennant führte er die Popmusik immer wieder an Orte, die nicht zuletzt durch ihre besondere Architektur hervorstechen. Auch ihre Bühnenbilder waren und sind gerne und oft genug architektonische Wagnisse.
Es gehört zu den vielleicht souveränsten, sicher aber zu den charmantesten Eigenschaften der Pet Shop Boys, daß sie genau das nicht tun: schönfärben – sich, ihre Haare, das Bild von sich. Obwohl bereits ergraut, dominieren sie seit 20 Jahren ein Genre, das sich von Illusion und Jugendlichkeit lebt und keine andere Religion kennt als die des schönen Scheins. Ein Musical haben sie aufgeführt, einen Stummfilm vertont, mit Orchester gearbeitet und auf ihrer letzten Platte sogar echte Gitarren verwendet. Nicht alle alten Fans mochten ihnen überall hin folgen – aber was sie von dort mitbringen, davon können nun alle Fans profitieren. Weil die Pet Shop Boys,statt würdevoll zu altern, mit fundamental lieber wieder ein tanzbares, ja fundamentales Pet-Shop-Boys-Album gemacht haben. Mit ihrem hübschen neuen Album alleine allerdings wollen wir den Ex-Musikjournalisten Tennant und Löwe, den gescheiterten Architekturstudenten, nicht durchkommen lassen, als wir das Zimmer im Kölner Hyatt betreten.
Wir haben uns hier schon einmal getroffen, vor vier Jahren, in diesem Raum, der „Händel-Suite“.
Chris Lowe: Habe ich s dir nicht gesagt, Neil!? Wir sind wieder in diesem häßlichen Hotel am Rhein …
Neil Tennant: Aber hat es nicht diese schöne Aussicht auf den Dom und die Stadt? Ein Blick wie auf eine Opernbühne …
Was ist besser: der Blick aus einem häßlichen Haus auf ein schönes – oder umgekehrt?
Tennant: Der Blick auf ein schönes Haus, klar!
Lowe: Kommt ganz darauf an. Manchmal ist auch der Blick auf eine abweisende Architektur reizvoll…
Tennant: Im Sommer beispielsweise werden wir unsere Vertonung von „Panzerkreuzer Potemkin“ in einer Dresdener Plattenbausiedlung aufführen …
Gibt es dafür keine würdigeren Orte – den Zwinger?
Tennant: Oh, der Zwinger ist ein Schmuckstück. Aber darum geht es uns beim „Panzerkreuzer Potemkin“ nicht. Der Ort der Aufführung ist sehr wichtig. Ursprünglich haben wir uns deshalb an das Projekt gemacht, um den Film auf dem Trafalgar Square vorzuführen – das ist ein besonderer Ort in London, umstanden von Banken und Ministerien und teuren Hotels, also umbaut von englischer Geschichte. Ein Ort, an dem immer wieder wichtige Demonstrationen stattgefunden haben, ein Ort des Volkes also. Schließlich ist es Sergej Eisenstein um die Darstellung einer Volkserhebung gegangen.
Und die Plattenbauten? Gebaut wurden sie für das arbeitende Volk, nicht für Konzerte. Und besonders reizvoll sind sie nun wirklich nicht …
Lowe: Mich erinnert diese Architektur in ihrer strengen Gliederung an den Architekten Le Corbusier und dessen Visionen einer besseren Welt für alle.
Aber er eignet sich doch nicht für…
Tennant: Er eignet sich sogar hervorragend! Ich habe Fotografien der Häuser gesehen und finde, sie sehen atemberaubend aus, wenn man es dann noch richtig inszeniert. Leben möchte ich dort allerdings nicht. Das würde bedeuten, aus einem häßlichen Haus auf ein anderes häßliches Haus zu schauen …
Lowe: Bei „Panzerkreuzer Potemkin“ wird die Leinwand eine ganze Hochhauswand einnehmen und die Musiker werden auf den Balkonen verteilt sein – ein vertikales Orchester, das wird phänomenal!
Tennant: Wenn die Architektur zu rund und perfekt ist, bleibt ja auch kein Platz für Dissonanzen, für falsche Töne, wenn man so will, die beim Betrachter oder auch Zuhörer – etwas Neues auslösen können.
Ist das eine Lehre aus der Arbeit mit den Symphonikern?
Tennant: Sicherlich, es hat auch unser neues Album beeinflußt. Spielt eine Band dissonant, denkst du: Vielleicht können sie’s nicht besser. Wenn ein ganzes Orchester schiefe Töne spielt, dann hat das eine ganz andere, eigentümlich beunruhigende Wirkung.
Lowe: Griechische Bauten beispielsweise wirken in ihrer Monumentalität nur deshalb so verblüffend ebenmäßig, weil die Architekten die Perspektive des Betrachters mit ins Kalkül gezogen und leicht geschwungen gebaut haben – es ist also die Kurve, die die Gerade linear erscheinen läßt. Illusion!
Worum heißt das neue Album fundamental? Fundamentalismus hat ja heutzutage keinen guten Ruf.
Tennant: Stimmt, vom Fundamentalismus ist derzeit viel die Rede. Vieles von dem, was in der Welt vor sich geht und schiefläuft, findet seinen Niederschlag, etwa in Songs wie „The Sodom & Gomorrah Show“.
Lowe: Abgesehen davon wollten wir mal wieder ein „richtiges“ Pet-Shop-Boys-Album machen, tanzbar und bombastisch. So gesehen hörst du die „fundamentalen“ Pet Shop Boys.
Und das Fundament ist etwas, das jede Architektur hat, sozusagen der Grundstein, auf dem alles aufbaut. Wenn eure Songs keine Songs, sondern Gebäude wären…
Lowe:… dann wären es wohl keine Sakralbauten.
Sondern? Tiefgaragen, U-Bahnhofe, Einkaufszentren?
Tennant: Das ist ungerecht! „King’s Cross“ handelte von den Leuten, die zur Zeit des Thatcherismus unter die Räder gekommen sind. Und „Shopping“ (beide Songs von Actually – Anm. d. Red.) von Konsumwahn. Aber nur, wenn man genau hinhört. Ich mag es nicht, wenn Popsongs zu belehrend daherkommen.
Lowe: Genau, denn gleichzeitig macht es sich gut, wenn es im Supermarkt läuft. Wieder kommt es auf den Ort an, an dem Musik gespielt wird. „Go West“ wird in Fußballstadien gegrölt. Aber als wir es bei „Live 8“ auf dem Roten Platz gespielt haben, kam es irgendwie mit einem anderen Drall aus den Boxen.
Gibt es denn eine direkte Verbindung zwischen Musik und Architektur?
Tennant: Mmh. Chöre klingen einfach besser in der Kirche, dafür wurden sie geschrieben. Dieser Klang brauchte einen umbauten Raum, in dem er sich entfalten konnte.
Lowe: Ich würde nicht sagen, daß es zwischen dem Gebauten und dem Musizierten eine Verbindung gibt, eher sowas wie eine Parallele in der Formensprache, wenn man so will: Rhythmus, Proportion, Gliederung, Dramaturgie, das Wechselspiel von Hell und Dunkel, daß es auch bei Tönen gibt… da gab es diesen Renaissance-Baumeister, Alberti, der im Wesentlichen alles zu diesem Thema gesagt und auch seine Bauwerke so angelegt hat: musikalisch.
Demnach wäre euer typischer Dancefloor-Sound vergleichbar mit einem klar gegliederten Gebäude.
Tennant: Ja, Bauhaus! Wie diese Mietskasernen in Dresden!
Lowe: Naja, es ist schon extrem … theoretisch, Parallelen zwischen diesen Künsten herstellen zu wollen. Wichtiger ist wohl der Unterschied. Wir sprechen hier ja nicht über klassische, sondern populäre Musik. Und die zielt, glaube ich, eher auf den emotionalen Aspekt und ist wesentlich flüchtiger als Architektur. Schau dir doch nur mal den Dom hier in Köln an …
Aber der dient doch auch dazu, die Menschen emotional anzusprechen. Die Gotik zielt auf Überwältigung.
Lowe: Genau. Und bestimmt wollen auch viele Popsongs überwältigen…
Tennant: … ich denke dann immer an Phil Spector und seinen „Wall Of Sound“, der nichts anderes will, als den Zuhörer mit Klang dermaßen zu überfordern, daß er nur noch ungläubiges Staunen ist. „You’ve Lost That Loving Feeling“ – das ist ein Dom! Unglaublich!
Die Pet Shop Boys sind heute das erfolgreichste Pop-Duo der letzten 20 Jahre. Was treibt Neil Tennant und Chris Lowe noch an?
Tennant: Es ist einfach das, was wir tun. Findest du, wir sollten aufhören?
Lowe: Klar! Die Frage lautete eigentlich: „Warum seid ihr noch da?“
Aber nein, ich…
Lowe: Kein Journalist würde einem Schriftsteller oder Maler oder Architekten eine solche Frage stellen. Nur Popmusiker müssen sich damit herumschlagen.
Stimmt.
Tennant: Es liegt vielleicht daran, daß der Popmusik immer auch ein jugendliches und ein kommerzielles Moment innewohnt, nach dem Motto: Jetzt haben sie doch genug Geld gemacht und können sich zur Ruhe setzen. Als ginge es von Anfang an darum, sich zur Ruhe zu setzen.
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