Arthur Russell würde es allen zeigen


Aufgrund eines Missverständnisses bastelt Chris Taylor in Vorbereitung auf das Blind Date im Hinterhof eines Berliner Hotels an einer Liste von Songs, die er vorspielen will. Dabei läuft es doch andersherum! Chris sagt: „Auch gut!“ Und meint es auch so.

JONI MITCHELL

„THE JUNGLE LINE“

(nach zwei Minuten) Hmm. Schön, doch wer ist das?

Joni Mitchell.

Ein neuer Song?

Nein, von The Hissing Of Summer Lawns von 1975.

Wow. Der Song klingt wahnsinnig zeitgemäß: die schrägen Synthies, das Drum-Programming. Ich mag Joni Mitchell, aber richtigen Zugang zu ihrer Musik habe ich nie gefunden. Nur Blue habe ich oft gehört. Hier ist sie ihrer Zeit wirklich voraus.

ARTHUR RUSSELL

„A LITTLE LOST“

(nach zwei Sekunden) Einer meiner Lieblingsmusiker, er war eine großartige Persönlichkeit. Lustig, dass sich alle Welt auf diesen Song einigen kann. Ich mag ihn, aber es ist nicht mein Lieblingsstück. Der Song stammt vom einzigen richtigen Studioalbum und war eines der wenigen Stücke, die er tatsächlich veröffentlichen wollte. Die meisten seiner Sachen fand Russell unfertig. Steve Knutson, einer der Nachlassverwalter, hat sie trotzdem veröffentlicht, weil sie brillant sind. Mein Lieblingsalbum ist Calling Out Of Context. Wenn das heute erschiene und Russell damit auf Tour gehen würde, würden eine Menge anderer Künstler plötzlich überhaupt keine Rolle mehr spielen.

SUFJAN STEVENS

„TOO MUCH“

Das klingt frisch, wer ist das?

Er lebt wie Sie in Brooklyn.

Ich habe keine Ahnung.

Sufjan Stevens, vom letzten Album The Age of Adz.

Sehr schön. Jetzt erkenne ich auch die Stimme. Mir gefällt das Disharmonische besser als die orchestrierten Songs, die er früher gemacht hat.

Er ließ sich zu dem Album vom Leben des schizophrenen Künstlers Royal Robertson inspirieren, sagt er.

Den kenne ich nicht. Aber die Musik ist echt interessant.

STEELY DAN

„ANY MAJOR DUDE WILL TELL YOU“

Das ist Steely Dan, nicht wahr?

Ich habe es wegen der perfekten Produktion gewählt. Es erinnert mich an Ihre Produktionsweise.

(Lacht laut auf und hört so schnell nicht wieder auf.) Lustig! Neulich hat jemand sogar gesagt, dass ihn meine Musik an Phil Collins erinnert. Phil Collins ist toll, aber auf diese Verbindung wäre ich nun echt nicht gekommen. Bei Steely Dan ist die Ästhetik der Produktion wirklich toll, jeder Moment sitzt. Ich bewundere das. Ihre Musik an sich interessiert mich nicht so, mit Ausnahme von Aja. Bei meinen Songs lasse ich einige Dinge lieber unbearbeitet, nicht jeder Moment muss perfekt sein.

Ich dachte an Grizzly Bear, da haben Sie den Sound doch sehr poliert.

Da ist wohl was dran – auch wenn ich das nicht gerne zugebe.

MODERAT

„RUSTY NAILS“

Schön, kenne ich aber nicht.

Ein Projekt aus Berlin, eine Zusammenarbeit von Modeselektor und Apparat.

Ich sehe Parallelen zwischen dieser Musik und der Klangästhetik meines Albums. Elemente von Tanzmusik, Hooks und Räume, die sich zwischendurch auftun. Flüstert der Sänger immer so? Hmm, plötzlich ist es vorbei. Ich hätte noch eine Auflösung erwartet. Es ist ausgeplätschert.

TUNE-YARDS

„LIONS“

Ein Sample des Geräuschs des Computerventilators, darüber ärgert man sich immer beim Aufnehmen. (lacht) Das ist Tune-Yards. Sie ist eine kreative Naturgewalt, so kraftvoll – eine Art Laptop-Aretha-Franklin. Dieses erste Album gefällt mir fast besser als das neue, weil sie alles selbst gemacht und die komplette Kontrolle behalten hat. Als es herauskam, hat mich der digitale Billigsound ein bisschen gestört. Doch man kann ihr schließlich nicht vorwerfen, dass sie nur einen Minidisc-Player hatte. Und bei diesem Song funktioniert es wirklich gut.

ROBERT WYATT

„BEWARE“

(als der Gesang einsetzt) Wahnsinn! Über Robert Wyatt könnte ich stundenlang reden. Er war in den 70er-Jahren seiner Zeit weit voraus, so wie er Pop, Songwriting und Jazz zusammengebracht hat. Und diese Stimme.

Ryuichi Sakamoto nannte sie mal „die traurigste Stimme der Welt“.

Finde ich nicht mal unbedingt. Will Oldham klingt für mich trauriger.

CONNAN MOCKASIN

„IT’S CHOADE MY DEAR“

Eine wunderbare Platte. Schöne Psychedelik, die klingt wie direkt aus der Sgt. Pepper’s-Ära. Das Video zu dem Song ist ebenfalls toll, wie ein wunderbarer LSD-Trip, bei dem einem allerdings auch gehörig schlecht werden kann. Das Kennzeichen guter Psychedelik ist, dass sie einen an einen Ort transportiert, an dem man keine Wahl hat.

Stephanie Grimm

Chris Taylor

Bekannt wurde Multiinstrumentalist Chris Taylor nicht nur, weil er bei der Brooklyner Band Grizzly Bear Bass spielt, sondern auch für sein Händchen beim Produzieren. Für den Sound der Band ist er seit ihrem zweiten Album Yellow House verantwortlich, auch Songs von Künstlern wie Twin Shadow oder die Dirty Projectors produzierte er. Solo veröffentlicht Taylor unter dem Namen CANT, im September erschien sein Debüt Dreams Come True. Für das arbeitete er wieder mit George Lewis Jr. alias Twin Shadow zusammen.