Todd Rundgren: 1984 beteilige ich mich an den Präsidentschaftswahlen!
Todd Rundgren war schon immer ein sehr aussergewöhnlicher Mensch. Es gab eine Zeit, da wollte er am liebsten zur Hintertür ‚raus aufs Land, um da draussen, wo niemand ihn hören konnte, seine Gedanken von der Seele zu reden, weil ihn niemand verstehen wollte. Es gab eine Zeit, da wollte er die ganze Bevölkerung Philadelphias zur high noon time mit der spektakulärsten selbstgebauten Rakete der Geschichte traktieren, aber gerade in dem Moment, als die Rakete aufgestellt und zum Abschiessen klar war, entliess der Staat Pennsylvania ein Gesetz, in dem es hiess, dass Raketen des do it yourself Verfahrens verboten würden. Feuerwerke und Elektrizität waren immer zwei der wichtigsten Elemente in Todd’s Leben. Er ist dafür bekannt, dass er noch immer die grössten, gigantischten Feuerkörper aller Art aus der ganzen Welt importiert. Vor zwei Jahren war er in Frankreich auf der Suche nach einer Feuerwerkfabrik, aber zurück in Amerika hatte er nicht eine einzige Rakete, sondern die Besitzurkunde einer Burg im Süden des Landes‘ in der Tasche. Todd ist eigenwillig, ein bisschen schizophren und er schert sich einen Dreck um das, was die Leute über ihn denken. In seiner Jugend wurde er regelmässig von den Schulen geworfen, meistens, weil sein Haar zu lang war. Der Mutter von Todd streuben sich noch heute die Haare, wenn sie an die Zeiten zurückdenkt, die Todd in seinem elterlichen Haus verbracht hat. Er war vom Fernsehen besessen. ‚Tagelang hockte er in einem dunklen Raum und sah sich das Programm von vorne bis hinten (und wieder zurück) an. Einmal kam ich in sein Zimmer und obwohl das Programm schon vor zwei Stunden zu Ende war, sass er immer noch da und starrte in die Röhre. Als ich ihm sagte, es sei doch vorbei, antwortete er: Es ist mir egal, ob die was zeigen oder nicht, es ist der Apparat, der mich fasziniert. Als er Jahre später dieser Fernsehmanie entwachsen war, schlug er tagelang auf seiner Gitarre ‚rum und schrie dabei, als hätte ihn ein afrikanischer Medizinmann in seine Klauen genommen. Als ich ihn fragte, warum er so schrie, antwortete er: Werte Dame, das ist Blues…‘ Todd Rundgren ist heute eine appetitliche Erscheinung mit verschiedenfarbigen Haarlocken und leuchtend bunten Backen. Er ist seiner Zeit immer um Lichtjahre voraus gewesen. Nach einigen Jahren Arbeit als Produzent und nach dem Erscheinen von fünf LPs, arbeitet Todd jetzt an einem neuen Stage-act mit klassischem Orchester und verschiedenen Akrobaten. 1984 will er sich für die Wahl des .amerikanischen Präsidenten zur Verfügung stellen. ‚Wenn ich die Jungs da im Weissen Haus sehe, dann weiss ich nur eins: das kann ich auch. Ich werde der Politik ganz andere Dimensionen geben. Ausserdem muss ich ja auch nicht unbedingt mein Leben lang Musik machen….‘
UNBEGRENZTE MÖGLICHKEITEN
Ausser, dass er ein Multi-Instrumentalist erster Klasse ist und mit jedem Gig den grossen Tumult heraufbeschwört, hat Todd auch einen Namen als der aktivste und aufsehenerregendste Produzent des Jahres. Es war Todd, der unentdeckten Talenten wie Jesse Winchester und The Sparks den Schubs nach vorn gab und es war auch Todd Rundgren, der Alben für Janis Joplin, The Band (Stage Fright) Fanny, Paul Butterfield, Grand Funk und last but not least die New York Dolls produzierte. 1971 wollte er an dem Schicksal von Badfinger etwas ändern, die selbst nach einem Gig in George Harrisons Bangla Desh Concert‘ so gut wie keine Beachtung fanden. Todd klemmte sich dahinter und es war ihm dann auch tatsächlich zu verdanken, dass die beiden folgenden Singles von Badfinger ‚Day After Day‘ und ‚Baby Blue‘ in die amerikanischen Top 10 stiegen. Alle oben angeführten Stars haben gesagt, dass sie vielleicht ohne Todd nicht so weit gekommen wären, denn er habe immer die richtige Dosierung von Technik und Feeling gekannt. Wenn wir jetzt auch noch erzählen, dass etliche Kompositionen von ihm durch die Four Tops und The New Seekers interpretiert und auf Platte aufgenommen wurden, werdet ihr bestimmt zustimmen, dass Todd schon ein sehr genialer Kopf ist.
TODD’S VISIONEN
Seine erste Gruppenerfahrung machte Todd mit einer Band namens Woodys Truckstop. Diese Gruppe hielt sich zwar einige Jahre, sie war aber nicht weiter als 100 Quadratmeter vom Zentrum Philadelphias bekannt. Nach ungefähr 23 Umbesetzungen ging das Trio schliesslich auseinander und Todd gründete die Formation Nazz, die aber mit Musik nur noch sehr wenig zu tun hatte. Ausserdem hatte die Gruppe auch noch sehr wenig zu tun mit der Flower-Power Bewegung, die damals gerade ihren Höhepunkt hatte und deshalb verschwand auch Nazz sehr bald wieder aus dem Blickfeld. Bevor Nazz sich auflöste, hatte sie allerdings noch einen kleinen Hit mit ‚Hello It’s Me‘. Nach diesen Enttäuschungen mit Gruppen machte Todd sich daran, seine Träume und Visionen zu verwirklichen. In den Tagen mit Nazz war er schon des öfteren auf die Tatsache gestossen, dass seine Ausdrucksmöglichkeiten nur begrenzt waren. Er schloss daraus, dass dies nur auf Grund seiner Naivität und Unerfahrenheit der Fall sein konnte. Darum machte er sich auf nach New York, um sich im Studio von Albert Grossmann umzusehen. Er übte sämtliche Instrumente die da herumstanden und war nicht eher zufrieden, bis er alle Knöpfe und Schalter bedienen konnte und so der Verwirklichung seiner Visionen schon viel näher kommen konnte. Er brachte sich bei, mit 16-spurigen Aufnahmegeräten zu arbeiten und während Grossmann damit beschäftigt war, die jungen Talente aufzunehmen, konnte Todd sich im Hintergrund voll seinen Experimenten hingeben. Seine allererste Produktion war ‚The American Dream‘. Obwohl er immer Angebote bekam, Platten zu produzieren, hatte er doch mehr Bock, wieder eine eigene Gruppe aufzurichten: Runt. Diese Band bestand eigentlich nur aus ihm, denn er fand es gut, dass die Mitglieder permanent wechselten, um so einer Stagnation zu entgehen. Das Material des ersten Albums ‚Runt‘ war nicht so explosiv und emotionsgeladen wie bei Nazz, es zeigte dafür aber mehr Persönlichkeit und Kreativität.
ICH WILL MEHR ALS MUSIK MACHEN
1972 ist er einer der wichtigsten Produzenten der Staaten und er fliegt von einer Küste zur anderen. Hierdurch bedingt kommt die Gefahr auf, dass sein Talent als Künstler in den Produktionsarbeiten untergeht. In einer Rekordzeit nimmt er ‚Something Anything‘ auf, ein Doppelalbum, auf dem er alle Instrumente selbst spielt. Die Presse fühlt sich von der Platte aufgewiegelt, aber die Meinungen sind noch sehr unterschiedlich. Viele sagen, das Album sei ein komplizierter musikalischer Ego-Trip, der nirgendwo hinführt. Todd selbst legt es so aus: Es ist ein sehr umfassendes Arrangement von vielen Dingen, die sehr einfach sind. Ich will die Leute nur hören lassen, was sie selbst auch machen können. Jedes komplizierte Ganze besteht nämlich nur aus vielen einfachen Elementen. Die nächsten zwei Alben dieses bunten, wunderlichen Menschen ‚A Wizard, A True Star‘ und die gerade erschienene Doppel-LP Todd‘, sind wohlmöglich noch chaotischer und missverständlicher als ihre Vorläufer. Todd: Es ist eigentlich schwer für mich zu sagen, dass alles was ich mache, wenig mit Musik zu tun hat, aber ich weiss ganz genau, dass alles, was ich mache, wenig mit Musik zu tun hat, und ich weiss ganz genau, dass alles, was ich tue, noch schöner ist als Musik. Musik ist eine Möglichkeit der Kommunikation. Ich habe gelernt, mit Musik zu kommunizieren, aber ich will jetzt weiter. Ich habe gelernt, dass es nicht die Musik ist, die die Menschen beschäftigt, sondern alles, was dahinter liegt. Da gibt es ein Level, das die Leute noch nicht entdeckt haben. Die Richtung, die ich seit A Wizard eingeschlagen habe, i führt zu diesem Level. Zwei oder drei Alben weiter werden alle Menschen begreifen was ich meine, und dann wird meine Musik der einzige Weg sein, auf dieses Niveau zu kommen. Und überhaupt, es war noch nie meine Absicht, kommerzielle Musik zu machen….‘
BIS INS EXTREM
Obwohl Todd’s Popularität in Amerika unglaubliche Formen angenommen hat, ist er noch nicht dazu gekommen, seine fantastischen Visionen und seinen grossen Traum zu verwirklichen. ‚Ich bin auf dem Weg und alles was gewesen ist, ist nur halb so aufregend wie das, was, noch kommt. Ich bin darauf vorbereitet, alles bis ins Extrem zu durchgehen. Alles, was ans Extravagante grenzt, findet mit Sicherheit mein Interesse. Ich will als professioneller Narr Geschichte machen.‘ Es wird höchste Zeit, dass wir uns hier in Europa etwas mehr um Rundgren kümmern. Wer neuen Dingen offen gegenübersteht, der wird das Richtige in Todd finden. Der Journalist, der heute noch sagt, seine einzige Bewertung für Todd hätte darin bestanden, die Platte abzustellen und sie bei Nacht und Nebel wegzuwerfen, der hat absolut nichts von Todd verstanden.