Manfred Mann
So kanns kommen. Die Schallplattenfirma schickte Manfred Mann eine Handvoll Journalisten aus Deutschland aus Anlaß seiner neuen LP "The Roaring Silence" zu einem "relaxten" Tag ins Grüne . Aus dem "Grünen" konnte schon darum nichts werden, weil in London und Umgebung nach Wochen intensiver Sonnenbestrahlung kein grüner Halm mehr zu finden war. Und Manfred schaffte es gerade noch, zwei Stunden vor uns am Londoner Flughafen einzutreffen. Er hatte nach langer Zeit wieder einmal seine Eltern in Südafrika besucht und war dort unten prompt wegen eines Streikes hängengeblieben. Total übernächtigt traf er auf dem Airport ein. Trotzdem wartete er noch auf den Vertreter der deutschen Schallplattenfirma, um ihn zu informieren, warum er uns erst später treffen kann. Jetzt brauchte er erst einmal ein paar Stunden Schlaf. Also dann bis nachher!
Jetzt geht’s erst einmal in das Büro von „Bronze Records“. Dicke Teppiche, Aircondition, kühle Drinks und zwei überdimensionale Lautsprecher, aus denen gleich die „tosende Stille“ über uns hereinbrechen wird: „The Roaring Silence“, das neueste Produkt von Manfred Mann’s Earth Band.
„The Roaring Silence“
Es geht (im wahrsten Sinne des Wortes) los mit „BLINDED BY THE LIGHT“. Nach „Spirits In The Night“. dem zweiten Bruce Springsteen-Titel, den die Earth Band neu-interpretiert. Wie „Spirits“ ist auch „Blinded“ jetzt als Single auf dem Markt, ein großartiger Einstieg für Chris Thompson übrigens, der als Sänger und Gitarrist Mick Rogers ablöste. Eine Mischung aus Springsteen und Freddie Mercury könnte man sagen, also ein echter Gewinn für die Gruppe.
„SINGING THE DOLPHIN THROUGH“ geht schwülstig-schön hart an der Grenze des Kitsch vorbei. Zum Glück sind als Ausgleich für den unschuldig-reinen Sopran neben Chris und Manfreds synthetischem Streich-Quartett das Rock-Element präsent und zum Ausklang das Saxophon von Barbara Thompson, die diese Mike Heron-Komposition ziemlich „frei“ ausklingen läßt. (Barbara Thompson ist übrigens die Frau von Colosseum’s John Hiseman und Mike Heron der ehemalige Boß der Incredible String Band.)
„WAITER, THERE’S A YAWN IN MY EAR“ – endlich mal wieder eine reine Manfred Mann-Komposition. Vermutlich eine Erinnerung an Chapter III-Zeiten: Jazz-Rock mit schweren Keyboard-Akkorden und unerhörtem Orive. „Das mußte eine starke Live-Nummer sein“, überlegt man sich, da braust auch schon der Beifall auf. „Um ehrlich zu sein,“ kommt die Erklärung, „wir haben den Titel zwar live aufgenommen, aber im Studio nocheinmal überarbeitet.“ Dies ist übrigens das einzige Instrumental-Stück der LP.
„THE ROAD TO BABYLON“: Choräle vor Rock-Kulisse, das ist ein besonderes Kunstwerk, das sich Manfred hier gestattet. Aber warum eigentlich keine himmlischen Chöre, da wir doch früher alle so auf Space-Rock standen? Man sieht den Turmbau zu Babel geradezu einstürzen, so plastisch ist der Song. Trotzdem verlangt dieser bombastische Einfall sicher einige Toleranz.
„THIS SIDE OF PARADISE“: Durch lückenlosen (Glockenspiel-) Übergang wohl als Teil II von Babylon gedacht. Hier stürzen keine Mauern mehr, außer Manfred Synthesizer-Ausflügen passiert hier nicht viel.
„STARBIRD“: spontane Assoziation: futuristisch kahle Betonbunker auf jeder Seite der Gasse. Aus den Kulissen gespenstischer Chor und im Zick-Zack-Lichtkegel eine wilde Jagd: Gitarre und Synthesizer, bis sich die Situation mit dem Einsatz von Chris‘ Stimme wieder entspannt…
„QUESTIONS“ ist nach „Blinded“ der stärkste Titel der neuen Earth-Band-LP. Mandred verarbeitete hier ein Thema von Schubert und Chris kommt damit besser zurecht als Roger Daltrey mit seinen Liszt-Gehversuchen. „They answered my questions with questions…“, ein hartnäckiger Ohrwurm!
„The Roaring Silence , diesen Titel versteht man, wenn man die LP verdaut hat: diesen Spannungsbogen, der so viele Gegensätze in sich vereint. Rock, klassische Elemente, Jazz und einigen Bombast, der die Geschmacksnerven auf eine harte Probe stellt. Trotzdem alles ist glaubwürdig und lückenlos miteinander verbunden und so professionell verarbeitet, daß man Manfred wohl alles vorwerfen kann — nur nicht Effekthascherei.
„Let it grow…
Für ihn gibt es kein „art for art’s sake“. Er verarbeitet das, was ihn gerade beschäftigt. Und da er sich ständig in dem Dreieck seiner Interessen — Rock, Jazz und Klassik — bewegt, kann man nur abwarten, wohin der Zeiger das nächste Mal ausschlägt. „Dieses Album hat uns, glaube ich, schon einen ganzen Schritt weitergebracht“, erklärte er, als er nachmittags noch recht verknittert „zur Stelle“ war. Zu diesem Schritt gehören eine verstärkte Zahl an Eigenkompositionen und mehr Gesang als früher. Mit den Stimmqualitäten von Chris Thompson ist das natürlich eine erfolgversprechende Entscheidung.
Die Glaubwürdigkeit der Earth Band-Musik ist wohl auch darin begründet, daß Manfred abseits von jedem Trend arbeitet — es sei denn, dieser Trend „arbeitet“ gerade in ihm. Alles, was er bringt, muß „in mir wachsen“, erklärt er. Darum kann er auch noch nicht sagen, in welche Richtung er weitergehen will. Wie gesagt: „Let it grow…“
„Mannie regt sich auf
Aus der Musikbox tönt gerade zum zweitenmal Bob Marley’s „No Woman no Cry“. „Ein starker Titel“, meint auch Chris. „Sowas mußten wir auch mal bringen“, sinniert er vor sich hin. (Die Earth Band ist bekanntlich Meister im Neu-Interpretieren erfolgreicher Titel; siehe Dylan oder Springsteen-Material) „Da ist nichts für uns!“ Manfred ist dagegen. Das widerspricht nämlich total seinem Prinzip. „Wenn Bob Marley diesen Song bringt, dann besitzt er die richtige Ausstrahlung, weil der Typ den echten Background hat. Hierzulande kann man diese Art von Musik auf keinen Fall glaubwürdig wiedergeben.“ Sprach’s und verwickelte Chris sofort wieder in die unterbrochene Diskussion um die schlechte Abmischung eines LP-Tracks. Über soetwas kann er sich stundenlang ereifern. „Tut mir leid“, entschuldigt er sich zwischendurch. „Ich kann eben nicht anders, ich bin ein Über-Perfektionist, deshalb mache ich wohl auch alle Leute verrückt, wenn ich arbeite.“ Nervös wie er ist, läßt er auch keinen Unbeteiligten in die Nähe des Studios, wenn er an einer neuen LP arbeitet. Chris verriet, daß „Mannie“ das gesamte Material nach monatelanger Arbeit am liebsten wieder umgeworfen hätte. Doch das ist typisch für den über-genauen Rock-Professor, der am 31. August mit seiner Earth Band bei dem Festival in der Berliner Deutschland-Halle zu Gast ist. Chris freut sich schon darauf: „Ich liebe Festivals!“ Auf eine Earth Band-Tour müssen wir noch etwas warten. Die nächste Konzertreise durch die Bundesrepublik ist erst für Anfang 1977 geplant.