Smokie Hits vom Reissbrett
Dies ist eine Geschichte über die britische Band Smokie, die in deutschen Landen derzeit zu den beliebtesten Rockgruppen gehört und seit Monaten annähernd soviel Singles verkauft wie der Umsatzspitzenreiter Abba. Dies ist aber auch eine Geschichte über zwei Leute, die kaum jemand kennt, obwohl sie und niemand anderes die Zügel des Erfolgsunternehmens Smokie in der Hand halten:
Mike Chapmann und Nicky Chinn. Chapmann/ Chinn, kurz Chinnichap genannt, ziehen griffige Kompositionen aus dem Ärmel wie St. Pauli-erprobte Zocker das zweite Herz-As: leicht, locker und unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Hits planen sie daheim am grünen Tisch – kühl und perfekt.
Mickie Most ist einer jener Rock-Tycoons, die controllettihaft alles im Griff haben: Ein spezielles Label namens RAK, eine Menge hungriger Hitparadenstürmer sowie das Know-How, solch verschiedenartige Interpreten wie die Yardbirds und Suzie Quatro, Alexis Korner CCS und Donovan, Jeff Beck und Mud zeitweise unter einen zwangsläufig deformierten Hut zu bringen. Bemerkt nun ein solcher Tycoon, daß sein Imperium übergroß wird, dann tritt er einige Kompetenzen seines Machtbereichs ab, verständlicherweise an Gleichgesinnte. Vorhang auf für Chinn/ Chapmann….
Nicky Chinn (31) und Mike Chapman (30) sind ihrem Chef beinahe ebenbürtig: mit mancherlei Wassern gewaschen, chamäleonartig sich anpassend, allzeit hitschwanger. Nicky arbeitete früher in der Firma seines Vaters im Büro, von wo aus er die Aufsicht über Hotels, Garagen et cetera führte. Vom langweiligen Job des Kronprinzen mit Sekretärsgehalt angeödet, vollzog Nicky einen drastischen Schwenk – zur Popmusik und zu seinem Partner Mike Chapman. Letzterer war um 1967/68 Mitglied einer Londoner Band gewesen, hatte sich dann als Singer/Songwriter mit mäßigem Erfolg versucht und zeitweise auch als -— nein, nicht Tellerwäscher —- als Kellner gearbeitet.
Schaumschläger
Chinn/Chapmann lernten ihr neues Metier sehr schnell. Ähnlich Mikie Most, der manchen Unsinn mit Jeff Beck oder den Yardbirds veranstaltet, aber auch ausgezeichnete Sachen mit Donovan oder CCS bewerkstelligt hatte, verlegten sich Chinnichap alsbald auf recht unterschiedliche Gebiete, zumal sie nicht bloß für das RAK-Label arbeiteten. So komponierten und produzierten sie seit dem Anfangserfolg „Funny Funny“ für das Schaumschläger-Quartett Sweet, ließen Suzie Quatro künstlich erregt „Can The Can“ kreischen und New World („Tom Tom Turnaround“) oder Mud ermattet rocken.
Hits gelangen Chinnichap nicht als Geniestreiche, sondern als minuziös konzipierte Reißbrett-Werke, auf Millimeterpapier mit Nullpunkt, Wendepunkt und maximaler Amplitude ausgedacht — demzufolge mit geringer Ausfallquote. Erstaunlich ist hierbei die Arbeitsweise:
Chapmann lebt wegen seiner Ehefrau in den USA, Chinn hingegen in London. Zumeist fliegt Nicky Chinn zu neuer Kooperation über den großen Teich, bleibt dort einige Tage und kehrt garantiert mit zwei, drei neuen Hits unterm Arm zurück. Dies ist derart vorhersagbar, daß etwa die kommenden Smokie-Songs terminlich schon fest eingeplant sind: Just in diesen Tagen fliegt Chinn wieder zu Chap, im September steht der nächste Flug an. Mit Begriffen wie ‚Idee‘ oder ‚Einfall‘ hat dies selbstverständlich nichts gemein.
Dafür aber haben Smokie immerhin etwas mit anständiger Popmusik zu tun. Trotz der Zusammenarbeit mit Chinnichap gelingt es dem Quartett immer wieder, für ein bißchen Seele in dessen Songs zu sorgen, die sich streng am herkömmlichen Schema 1 .Vers/2.Vers/Refrain/ 1.Vers/Refrain/Refrain orientieren. Genauso haben es schon immer die Hollies, Herman’s Hermits oder alte Rock ’n‘ Roller gemacht. Stets schaffen es Chinnichap dabei, griffige Melodien zu komponieren; und da Smokie — im Gegensatz etwa zu den Rollers, Hello oder ähnlichen Luftnummern — keine Angst vor Live-Konzerten besitzen, sondern richtig und sogar recht gut ihre Instrumente beherrschen, ist die Sache meist schnell und hitträchtig geritzt.
Das Dolle an Smokie ist, daß ihre Hits, von „If You Think You Know How To Love Me“ über „m Meet You At Midnight“ bis zu „Living Next Door To Alice“, fast immer auf das ursprüngliche Rockinstrumentarium Gitarre, Baß und Schlagzeug zurückgreifen und Barry White-Geigen oder Elektro-Tricks vermeiden. Zudem ist die Band in gewissem Sinne unbekannt: Abba werden mit Soft-Sex gepaart, die Rollers mit Schottenkaro — bei solchen Interpreten kennt man ein bestimmtes Image sowie deren Aussehen. Mit Smokie indes könnte man den Kudamm entlangspazieren und brauchte keine Sorge zu haben, von Teenies erkannt zu werden. Was ein Beweis dafür wäre, daß Smokie weniger eine Show-Band denn eine Musik-Band sind.
Lob von Donovan
Hierfür spricht auch noch die Tatsache, daß die Smokie-Leute anscheinend derartig guten Harmoniegesang beherrschen, daß zum Beispiel Donovan darauf besteht, Chris Norman, Terry Uttley, Alan Silson und Peter Spencer auf seinem kommenden Album im Background zu versammeln. Bemerkenswertes Lob an eine Band, die ansonsten nur im Wettstreit mit sterilen Stromlinien-Popstars steht.