April Wine – Tu‘ ihn Dir rein!
Warum Kanada keine Holzfäller mehr hat, warum Catcher Rock'n'Roll machen, warum Heavy-Rock einen so tierisch anmacht und überhaupt...
Irgendwie hat man das Gefühl, die passen gar nicht zusammen: ‚N glatzköpfiger Trommler, der in seiner direkten Verwandtschaft mindestens ein halbes Dutzend Catcher haben muß und dazu in knallharter, doch filigraner Manier seine Sticks behandelt, wie man es nur vom gelernten Jazzer erwartet, dazu ein zarter Milchbubi mit chic gedrehten Löckchen – und so klingt auch seine Stimme. Echt, der haut auf ’n Putz, als ob er zwei Meter groß wäre! Und dann noch Mister Kanada, ganz in weiß , (der hat bestimmt Roy Black gehört… ‚ganz in Schweiß‘ – oh, Pardon!) nach Gutsherren- und Waldluftart frisch aus den Bergen auf deutsche Rock-Tisch-Bühnen und zwei weitere Kollegen, die man durch ihre Gebärden ohne weiteres in diesem Metier ansiedeln könnte…
Verbissen versuchen sie die Saiten ihrer ‚Gibson‘ und ‚Stratocaster‘ durch Schieben. Ziehen, Schlagen und Reißen vom Holz zu schälen, was ihnen aber den ganzen Abend nicht gelingen will. Was allein rauskommt, sind Töne. Und manchmal ganz schön geile! Aber der Reihe nach.
„Sieh‘ mal, jetzt ist es schon zehn. Um neun wollten die anfangen“, sagte Herr Schw. neben mir, der die Kapelle wohl kannte. „Eine Unverschämtheit. Und ich möchte wetten, daß sie noch ’ne Weile brachen und dann gleich mit ihren fürchterlichen Syrenen-Rundum-Leuchten die Fans wieder anmachen wollen!“
Er sollte recht behalten und ich hätte mir bequem noch ‚Maigret‘ reintuen können, denn die Vorgruppe namens „Fargo“ war sowieso mehr als schlimm gewesen.
Mit pünktlich neunzig Minuten Verspätung kamen dann besagte fünf Kanadier tatsächlich auf die Bühne und gaben dem genervten Publikum per Lampen und Sound gleich farbig die Kante. „Oowatanite“ (Was für ’ne Niete – frei nach D.I.) stimmte auch sofort wieder versöhnlich, denn die Nummer geht live viel besser ab als auf der uralten Scheibe, die mir durch Zufall wieder in die Hände gefallen war.
Es folgten achtzig Minuten Powerplay aus den besten Zeiten von Pater Brown und seinen Mannen!! Kein Schnörkel, kein Versteckspiel – die Dinger sitzen an der richtigen Stelle und sind obendrein ganz schön fett! Bubi Myles Goodwyn entpuppte sich als gewandter Gitarrist und nicht übler Sänger, Mr. Kanada Steve Lang schleppte den Baß durch fünzig Meter hohe Tannen, die Rock’n’Roller an den Klampfen, Gary Moffet und Brian Greenway, zupften wahrlich keine Wanderlieder und das Schärfste an der Band ohne Zweifel der Catcher Jerry Mercer!
Selten habe ich besseren Drive, einen satteren, ohne aufdringlich zu sein, Sound und ein besseres Heavy-Drums-Handwerk gehört als beim Glatzköpfchen! Mann oh Mann, da geht die Post ab – kein Wunder, daß er bei der Schwerarbeit jeden Tag zweihundert Tonnen Bullen-Fleisch (fr)essen soll…
Myles Goodwyn ist der Gründer der Heavy-Band, die 1970 in Montreal entstand. Neun LP’s gibt es mittlerweile von Bubi & Co., aber meist erkannte man die Typen, die auf dem Plattencover abgebildet waren, nicht mehr, wenn man sie in einem der kanadischen Clubs mal live erwischte. Will sagen, sie haben oft die Leute getauscht, sind in der derzeitigen Besetzung nun aber doch schon gut zwei Jahre zu Gange und das nicht schlecht! Seit „First Glance“
der ersten in Germany erschienenen LP, klettern sie unaufhaltsam die US-Charts bergauf; „Härder…Faster“ haben sicher die meisten amerikanischen Hardrock-Fans gekauft und derer gibt es nicht wenige.
Drei Lead-Gitarren, das schwere Pfund von Drums und Bass, oft mehrstimmiger, sauberer Gesang, der angenehm leicht zum Schwermetall im Gegensatz steht, und passable bis gute Songs – eine Band, die vollkommen tight ist!
So war es denn nicht verwunderlich, daß das geschätzte Publikum in der Hamburger „Markthalle“ auch nach der dritten Zugabe ,,Say Hello“ noch nicht den Ort des Geschehens verlassen wollte. Wenn die Herren Musiker sich mit ihrer Pünktlichkeit ein bißchen mehr auf die deutsche Mentalität einstellen könnten, wenn sie endlich glaubwürdiger erklären würden, warum April Wein nicht saurer schmeckt als der vom Oktober, wären sie sicher zu einer ausgiebigen Tournee bei allen Hardrock-Fans ausgesprochen willkommen. Da täte ich sogar auf meinen ‚Maigret‘ verzichten wollen…