Bireli Lagrene – Überflieger an der Gitarre


15 Jahre jung und kaum größer als seine Gitarre. Trotzdem gilt der Saiten-Artist aus Straßburg schon als legitimer Nachfolger von Swing-König Django Reinhardt. Gitti Gülden konnte ihre mütterlichen Gefühle kaum unterdrücken.

Der Hamburger Taxifahrer auf der Fahrt zur Stadtpark ist Berliner. Alles interessiert ihn brennend. Als ich die Batterien für meinen Recorder wechsle, beschäftigt ihn das dermaßen, daß er beinahe einen Auffahrunfall baut.

Dann will er natürlich wissen, was da im Stadtpark eigentlich los sei. „McLaughlin, Di Meola und de Lucia“, sage ich. „Waaaaaas????“, schreit er wie von Sinnen und muß wieder eine Vollbremsung einlegen, „Mensch, wenn ick det jewußt hätte! Und mit denen unterhalten Se sich?!“ „Ich unterhalte mich mit Bireli Lagrene, einem 15jährigen Jungen, der als Vorprogramm auftritt. Er wird heute schon mit dem frühen Django Reinhardt verglichen!“ „Da war‘ ick aba vorsichtig mit sonne Behauptung. Der müßte ja een Übaflieja sein.“ Der kleine „Übaflieja“ betritt gerade die Bühne, in der Hand eine Gitarre, die annähernd seiner Körpergröße entspricht. Er nimmt zwischen den beiden Rhythmusgitarristen, seinem Bruder Gaiti Lagrene und seinem Freund Tschirglo Loeffler Platz, beides Sinti wie er selbst. (Fälschlicherweise werden deutsche Sinti – oder international Roma hierzulande immer noch als „Zigeuner“ tituliert. Ihr wißt es jetzt besser). Hinter den Gitarreros zupft ein bärtiger Bär den akustischen Baß: der Tscheche Jan Janeke, einer der besten in deutschem Räume lebenden Jazzbassisten. Die Vier swingen zur Verblüffung der Zuschauer los, daß es eine wahre Freude ist. Besonders Bireli merkt man augenblicklich an, daß ihm das Spielen eine unbändige Freude macht. Hier wird nicht ein Wunderkind vorgeführt, sondern ein zwar junger, aber beachtlicher Gitarrist, der sein Handwerk offensichtlich beherrscht. Der skeptische Taxifahrer hätte sein blaues Wunder erlebt!

Nach dem bejubelten Konzert soll in seiner Garderobe, das Interview stattfinden. Wir einigen uns zunächst darauf, uns deutsch zu unterhalten, er ist in der Nähe der deutsch-französischen Grenze im elsässischen Soufflenheim aufgewachsen.

Verlegen sitzt er vor mir, druckst herum, schaut auf den Boden oder an die Wand. Als draußen am Fenster sein Manager Michel auftaucht, springt er auf und holt ihn zur Unterstützung. Doch besagter Michel ist nur an dem Recorder interessiert. Er findet ihn so „wunderbaaaar“, daß er voller Überzeugung anfragt, ob er ihn nach dem Gespräch bekäme. Dreimal versucht er es, dann kann ich ihn endlich abwimmeln. Und mit Bireli geht es in seiner Landessprache Französisch anschließend auch wesentlich unverkrampfter weiter.

„Mit vier habe ich angefangen, Gitarre zu spielen. Das war ’ne ganz normale Geschichte, so wie andere mit Spielzeug spielen. Ich muß das wohl im Blut haben, sieh mal, mein Vater (Fiso Lagrene) ist ein großer Musiker, er ist in Frankreich sehr bekannt. In unserer Familie gibt es eine Menge guter Musiker. Vielleicht brauch ich deshalb auch keine Noten. Wenn ich ein Stück drei- oder viermal höre, kann ich’s.“ Hast du denn keine Probleme mit deinen Fingern gehabt? Es ist doch nicht leicht, mit so kleinen Händen zu greifen?

„Eigentlich nicht, es gibt ja Gitarren mit schmalen Hälsen, ich hob‘ mit leichten Sachen angefangen. Mit sieben war ich schon recht gut, mit acht habe ich das erste Konzert gegeben, das war in Straßburg.“ Vermißt du während deiner Tourneen nicht manchmal gleichaltrige Spielkameraden?

„Früher vielleicht, heute überhaupt nicht mehr. Mittlerweile liebe ich es, Konzerte zu geben. Ich spiel eben für mein Leben gern, ganz gleich wo, Hauptsache ich spiele.“ Die Unterhaltung beginnt ins Stocken zu geraten, draußen braust Beifall für den Headliner des Konzertes auf – und Bireli will die drei Helden der Gitarre natürlich unbedingt sehen. Verständlich, ich muß mich also beeilen.

Existiert in deinem Leben außer der Gitarre noch irgendetwas anderes? Ich habe gehört, daß du Motorrad-Fanatiker bist.

Birelis Augen glänzen. „Ah ja, die Gitarre und Motorräder! Ich hob mir gerade ein neues gekauft, eine Suzuki (französisch ausgesprochen klingt das ‚Süsüki‘). Weißt du, es gibt Tage, da lasse ich meine Gitarre in der Ecke stehen, ich spiele durchaus nicht besessen tagaus, tagein. Zu Hause sind wir eine Clique von zehn bis fünfzehn Jungs, die haben alle Maschinen. Ich freu mich schon jetzt.“ Bireli ist für mich schon ein Phänomen. Als ich ihm erkläre, für welche Zeitschrift die Geschichte bestimmt ist, stoße ich auf Unkenntnis. Er liest überhaupt nichts über populäre Musik. Interessiert er sich für irgendwelche Gruppen?

Langes Überlegen. „Ich hör‘ ab und zu was im Radio, ich kann aber nicht sagen, wer das dann ist. Das plätschert eigentlich nur so vorbei, im Grunde interessiert es mich auch nicht.“ Wünschst du dir irgendetwas für die Zukunft?

Die Antwort kommt sicher und prompt: „Ein großer Musiker zu sein und um die Welt zu fahren. Mein Vorbild ist natürlich Django Reinhardt.“ Ich kann mir vorstellen, daß Familie Lagrene mittlerweile stolz auf den begabten Sprößling ist, zwei Platten gibt es von ihm, die nächste ist in Vorbereitung. Im letzten Jahr gewann er den Hauptpreis der Phonoakademie im Nachwuchswettbewerb, im Fernsehen war er auch verschiedentlich zu sehen.

„Sie sind stolz auf meinen Erfolg, aber manchmal haben sie Angst, mich immer wieder auf Tournee gehen zu lassen. Sie werden sich dran gewöhnen.“ Nun möchte ich nur noch wissen, wie er sich im Studio fühlt, das ist schließlich etwas anderes, als auf der Bühne zu stehen.

„Für mich ist das normal, nichts Besonderes, mit den Musikern spiel‘ ich ja sonst auch zusammen. Für die erste Platte haben wir noch ziemlich lange gebraucht – vier Tage. Bei der zweiten ging’s besser, nach zwei Tagen waren wir fertig.“ Ich bin baff. Er sagt das, als wäre diese unglaubliche Geschwindigkeit selbstverständlich. Kann er sich vorstellen, daß die Supergruppen der Abteilung Rock manchmal zwei Jahre im Studio sind?

„Oh lala. Ist das wahr, das muß doch unglaublich teuer sein!“ Nun ist es mit dem Gespräch endgültig aus, denn draußen gibt’s Beifall für Paco di Lucia, den muß Bireli sehen. Fasziniert steht er winzig klein zwischen der mächtigen Anlage. Im nächsten Moment ist er verschwunden. Als ich kurz danach wieder an seiner Garderobe vorbeikomme, hockt er versunken über seiner Gitarre und spielt und spielt und spielt…