Rock und Hose – Levi’s Rock Festival
In den USA wird es seit langem praktiziert: Große Industrie-Firmen finanzieren Tourneen, um dadurch ihr jugendliches Zielpublikum zu erreichen. In Deutschland hingegen löste die Levi’s-Tour ideologische Bauchschmerzen aus. Ausverkauf? Prostitution? Oder eine Selbstverständlichkeit? Tom Hospelt hörte das Gras wachsen… Der amerikanische Jeans-Hersteller Levi’s veranstaltet ein Rock-Festival. Unter dem Motto „Neue Musik aus Deutschland“ spielen die Gruppen Spliff, Extrabreit, Interzone und Prima Klima. Das Presseinfo verkündet dazu: „Es gibt eine neue deutsche Musik. Eigenständig und echt bis zur Sprache. Eine Musik, die es wert ist, gefördert zu werden. Denn sie versucht, sich gegen die Perlektionisten-Ubermacht der 70er Jahre durchzusetzen. Mit Erfolg, was die vollen Hallen und die verkauften LP’s dieser deutschen Gruppen beweisen. Und das ist nicht nur eine momentane Welle. Ist das die Musik der 80er Jahre ?Das Neueste und Interessanteste der neuen deutschen Musik ist auf dem „Levi’s Rock-Festival“ in 28 Städten zu hören und zu sehen.“ Egal, was man über die Neue Deutsche Welle denken mag, ob man ein Ohr für Tanzkapellen wie Ideal oder Avantgardisten wie Palais Schaumburg hat – eines ist gewiß: Die Bands dieses Festivals sind weiß Gott nicht das Neueste, sondern verbraten im Falle von Interzone etwa allzu vertraute Blues- und Rock-Klischees. Die Frage, ob diese Bands tatsächlich die Interessantesten sind, klärt sich auch aus anderer Perspektive: Levis bemühte sich zuerst um andere Formationen. Namen wie Ideal, die gewiß nicht neuen aber eigenständigen BAP, Fehlfarben, die eher altbackene Spyder Murphy Gang sowie die nach neuen Musikformen suchenden DAF und Palais Schaumburg waren im Gespräch. Doch: Trotz den für deutsche Bands vergleichsweise hohen Gagen (Ideal sollten 20 000 DM plus Spesen bekommen) und der einmaligen Chance, ein großes Publikum zu erreichen und damit auch den Plattenverkauf anzukurbeln, erntete Levis Absagen. ,15 Bands standen auf unserer Liste „sagt mir Waltraud Hick, die für die Promotion des FestiBOCK UND HOSEvals verantwortlich ist. „Wieso wollten Sie als amerikanische Firma gerade eine Tournee mit neuen deutschen Gruppen machen?“ möchte ich wissen. „Zuerst hatten wir geplant, große US-Bands zu engagieren, doch wir haben uns aul vielen Konzerten umgesehen und bemerkt, daß deren Publikum meistens um die 30 ist. Bei den neuen deutschen Bands liegt der Alters-Durchschnitt jedoch um 14 -19 Jahre, was unserer Zielgruppe entspricht.“ Haben eigentlich irgendwelche Gruppen abgesagt, weil es das Festival eines amerikanischen Jeans-Herstellers war?‘ „Nein – Ideal beispielsweise hatten einfach zeitliche Probleme.“ Ganz will ich das nicht glauben, deshalb wieder an’s Telefon. Gesprächspartner ist Matthias Gärtner, Mitarbeiter der mit dem Festival betreuten Werbeagentur McCann. Wieso veranstaltet Levi’s ein Rock-Festival? „Levi’s und Musik standen sich schon immer sehr nahe. Levi’s ist keine normale Hose eher eine Philosophie – stark mit Tradition beladen. Woodstock z.B. wäre ohne Levi’s nicht denkbar gewesen. Geplant haben wir ein solches Festival schon seit Jahren. Anlang bis Mitte letzten Jahres kristallisierte sich immer stärker ein Erlolg neuer deutscher Bands heraus – wovon wir sehr überrascht waren. Und die Leute, diezu diesen Konzerten gingen, entsprachen unserer Zielgruppe.“ Wieder die Frage nach möglichen . ideologischen Kopfschmerzen der Gruppen. „Nein! Die Bands stehen voll dahinter. FürMaggi hätten sie’s nicht gemacht. Sie meinten, sie würden ja schließlich selbst Levi’s tragen. Auch die Leute, die gegen die Startbahn West sind, demonstrieren in Levi’s. Und sogar solche, die Anti-Amerikanismus predigen – um dann in Jeans zu McDonalds essen zu gehen.“ So ist das also, denke ich: Einmal im Leben in Jeans bei McDonalds erwischt – und schon darf man sich nicht mehr über Neutronenbomben und ähnlichen uramerikanischen Wahnsinn aufregen. Doch immer noch nicht will ich glauben, daß nicht eine Band sich gegen den Einfluß von Markenherstellern auf das Rock-Geschehen auflehnt. Also noch mal an‘ s Telefon und Annette Humpe von Ideal angerufen. Ihr habt abgelehnt auf dem Levi’s-Festival zu spielen. Wieso? „Ich hob keinen Bock, für irgendeine Milchmarke oder Hose zu singen. Den Levi’s-Leuten haben wir erklärt, wir hätten keine Zeit, weil ich keine Lust hatte, denen einen langen Vortrag über ein Wieso zu halten genauso wie ich mich mit einem verbohrten CDU-ler nicht mehr über Friedenspolitik unterhalte“. Wolfgang Niedeken, BAP-Gründer, bekam ich wegen Urlaubs leider nicht mehr an’s Telefon. Für den klärte Jim Rakete, seines Zeichens Spliff-Manager: “ Von BAP weiß ich genau, daß sie für Levi’s nicht spielen wollten. „Genauso entschlossen Thomas Fehlmann von Palais Schaumburg: „Levi’s-Festival? Kommt gar nicht in die Tüte!“ Betrachten wir also die Gruppen, die sich entschließen konnten, auf der Levi’s Tour zu spielen. Auffällig hierbei, daß drei der vier vertretenen Bands aus einem Stall kommen: Fabrik Rakete, Studio des Fotografen Jim Rakete und Organisationszentrale der Gruppen Spliff, Interzone und Prima Klima. Wieder den Hörer in die Hand und Rakete angerufen, der mir spontan ein Flugticket nach Berlin schicken will, um persönlich über die Angelegenheit zu sprechen. Kurze Zeit später sitze ich mitten unter ihnen. Anwesend: Rakete, Spliff und Prima Klima komplett. Interzone sind zu diesem Zeitpunkt im Studio. Zunächst einmal ergeht eine zehnminütige Schimpfkanonade über mich und den MUSIK EXPRESS: „Rockjoumalismus ist, wenn einer schreibt „Ich kann mit der Platte nichts anfangen“, „Scheißblatt Rufmord“, „Musik Express und Sounds sind die Hamburger Musik-Polizei“. Nun gut, denke ich, die Fronten sind abgesteckt. Unnötige Komplimente können vermieden werden. Spliff sind zusammen mit Extrabreit die Attraktionen des Festivals. Im Gegensatz zu Interzone und Prima Klima sind sie in den Charts vertreten. Und eine weitere Parallele verbindet sie. Mit ihrer zweiten LP klinkten sich beide Gruppen in die Erfolgswelle der neuen deutschen Musik ein. Bei Extrabreit wich das Rhythm & Blues / Hard-Rock / Pogo-Gemisch der ersten LP dem populären Endzeit-Sound: monotones Schlagzeug, düster klingendes Sythi-Gezirpe, scheppernde + sägende Gitarren und schräger Gesang. Geblieben sind auch auf der zweiten Platte WELCH EIN LAND! WAS FÜR MÄNNER! die reichlich banalen Texte. Wie die zweite Extrabreit-LP präsentiert sich die neue Spliff-Scheibeim Neudeutschen-Sound. Reinhold Heils Synthesizer-Gezische steht stark im Vordergrund, Bernhard Potschka steuert dann und wann Heavy-Metal Riffs zu – und Herwig Mitteregger singt mit dünner Stimme Texte mit dem momentan hippen Depro-Paranoia-Touch. Dazu der Promotion-Text von Jim Rakete: „Herwig Mitteregger … Musik nur aus Verzweiflung. Seine Texte spiegeln alle Facetten Splilf’schen Weltschmerzes wieder. Die anderen drei haben Angst, daß es ihm eines Tages besser gehen könnte. Vordem Fall ist ihm ein unkalkulierbarer Aufstieg ins Proletariat bestimmt.“ Gerade in einer Zeit, wo es allzu nötig ist, einen wachen Kopf zu behalten, ruft dieses „Wer hat die schönsten Neurosen“-Getue bei mir nur Ekel hervor. Doch zurück zum Interview. Nachdem sich die ersten Wogen des offenen Hasses gelegt haben, meine erste Frage, die sich darum dreht, ob sie sich tatsachlich der Neuen Deutschen Welle zurechnen, sowie Levi’s sie verkaufen will. Heraus kommt dabei eine minutenlange Haarspalterei darum, daß Neue Deutsche Musik – wie Levi’s das Festival ankündigt – etwas ganz anderes sei als Neue Deutsche Welle. Als ich den Unterschied nicht sehen will, macht Rakete seinem Namen alle Ehre: „Was schüttelst du da mit dem Kopf, du Hirni“. Tastenmann Heil klärt mich mit ganz spezieller Logik auf: „Einerseits sind wir nicht neu, aber andererseits m achen wir neue Musifc/Daß Levi’s das Festival als Neue Musik anpreise, sei doch ganz logisch, ergänzt Heil, das Waschmittel Dashwürde ja auch als das neue Dash verkauft. Das sei Werbung. Schon im Anfangsstadium des Gesprächs gebe ich die Hoffnung auf, auf meine Fragen informative Antworten zu bekommen. Spliff stehen mit dem Rücken an der Wand (Gb das der Mauer-Blues ist?) und haben die chronische Rechtfertigung drauf. Geantwortet wird mit Gegenfragen, es wird um den heißen Brei herumgeredet, lässige Sprüche werden geklopft. Mitteregger hält sich zuerst stark zurück, sitzt zusammengekauert neben mir und verkündet seinen Unmut über meine Anwesenheit durch gelegentliches Graunen und Grummeln. Als ich jedoch seinen Gesang – besonders bei der durchweg furchterregend schlechten ZDF-Rocknacht mit Saga, Foreigner und Meatloaf – kritisiere, reißt bei ihm der Faden. Er zuckt aus seiner Kauerstellung hervor und schießt mich mit der Bemerkung .Ich zieh dir gleich eine, du Arsch!“ an. Ganz aus den Fugen gerät das Interview, als ich ihre Beteiligung an dem Festival eines Markenherstellers in Frage stelle. Da stehen sich zwei völlig verschiedene Welten gegenüber. Bei Spliff und Rakete regiert allein Pragmatismus. Ich solle doch mal einen Volkshochschul-Kursus in Mathematik belegen, um zu kapieren, wie teuer heutzutage Tourneen seien. Und: , Was willst du überhaupt. In Musik Express sind auch Anzeigen.“ Meine Befürchtungen, daß das deutsche Rock-Business in eine ähnliche Richtung wie das amerikanische abdriftet, wo Markenhersteller als Sponsoren einen entscheidenden Einfluß auf die musikalische Geschmacksbildung haben, wird zwar geteilt doch das sei sowieso nicht mehr aufzuhalten. Ärgerlich finden sie nur, daß von Levi’s Seite Dinge über sie geschrieben werden, mit denen sie sich gar nicht anfreunden wollen: marktschreierische Klischees, die vor Null-Ahnung nur so strotzen. Da wird z.B. aus dem Konzeptalbum RADIO SHOW plötzlich ein Konzertalbum. Rakete: „Die Hick hat die Platten nicht mal gehört/Doch damit hätten doch gerade so clevere Geschäftsleute wie Rakete. („Ich bin der unkommerziellste Mann Deutschlands“ nicht unkokett) schon von vorneherein rechnen müssen. Matthias Gärtners Behauptung, die Bands ständen voll hinter Levi’s, läßt Rakete sogar mit einer Klage liebäugeln. Auf zu Prima Klima. Rakete’s Promo-Text: „P.K. ist eine untätige Arbeitsgemeinschaft für die Abschaffung der Arbeit, deren erklärtes Ziel die Verbesserung des Wetters ist. Der Wunsch dieser Vereinigung ist, auf einekurze Formel gebracht: mehr Bargeld durch unbarmherzig kommerzielle Musik.“ Ironie oder Wahrheit? Mir gegenüber sitzen Rainer Konstantin, Gitarrist und Songschreiber, Bruno Ferrari, Gesang und Connie Gockel, Tasteninstrumente. Prima Klimas Beteilung am Levi’s Festival ist noch eher zu rechtfertigen als die der gut verkaufenden Band Spliff. Sie gehören nicht – wie Levi’s weismachen will – zu den Großen. „Bei uns ist der Kühlschrank die meiste Zeit leer“, sagt Rainer Konstantin. Er ist auch der erste und einzige an diesem Abend, der keine Maske aufzieht und meine Bedenken versteht. Musikalisch und textlich könnte man sie – obwohl ich diese Klassifizierungen hasse – tatsächlich der Neuen Deutschen Tanzmusik oder Neuen Deutschen Fröhlichkeit zurechnen. MMit Interzone brauchte ich mich über die Levi’s-Kiste gar nicht erst zu unterhalten, meint Rakete, denen ginge es finanziell so drekkig, daß sie sogar für eine Sparkasse spielen würden. „Gerade die“, denke ich, wo die doch einen so hohen Anspruch an sich stellen. Zitat Heiner Pudelko, Kopf und Sänger von Interzone: “ Wir sind die ehrlichen Jungs aus der eingezäunten Stadt!“ Dazu noch ein Ausschnitt ihrer Texte: „Du verstehst nichts vom Business/sagt der Hintermann/ Die Presse steht auf etwas/ was noch niemals kam … Auf die Verpackung kommt es an/Dieser Punkt ist ein Muß… Klingt kritisch, gell, doch guckt man hinter die Kulissen, löst sich das distanzierte Denken in heiße Luft auf, denn: Genau das, was sie anprangern, läuft bei ihnen selbst. Dazu die Morgenpost: Jim Rakete hat wieder zugeschlagen. So voll, daß kein A uge trocken bleibt. Nach Nina Hagen und Spliff nun sein neuestes Berliner Kellerkind namens Interzone. Um sie davor zu fotografieren, ließ der „Star Macher“ ihren Sänger Heiner Pudelko nach Graffiti-Art ein Stück Berliner Mauer bepinseln. Prompt gab’s natürlich Ärger mit den (West-) Behörden und die erste „Stern“ Meldung. „“Hintermänner“ könnte also glatt ein Song über den eigenen Manager und „Macher“ Rakete sein. Auch die anderen Texte sind meist typische Erzeugnisse des Kreuzberger Lebensgefühls: Was sind wir heut‘ abend wieder toll kaputt! Starker Ekel meinerseits. Nach vier Stunden verlasse ich erschöpft die Fabrik Rakete. In Hamburg angekommen, wird ein weiterer „Macher“ befragt: Jörg Hoppe, ausgebildeter Werbefachmann und „Kreativ-Manager“ der Gruppe Extrabreit. „Anfangs hatten wir schon ideologische Kopischmerzen“, kommentiert er meinen moralischen Zeigefinger, „doch dann habe ich einen Artikel über die englische Band Heaven 17 gelesen, die eine Tournee für Pernod gemacht hatten, wo freie Getränke verteilt wurden und überall Pernod-Plakate hingen. Die fanden auch, daß sie es ruhig machen könnten, schließlich sei Pernod doch ein geiles Getränk … außerdem – ob wir jetzt bei einer Plattenlirma sind oder für Levi’s spielen – das ist doch alles dieselbe Wixe.“ Und – nicht zu vergessen: Extrabreit haben noch nie eine höhere Gage bekommen als für dieses Festival (Hoppe: „Zahlen werden nicht genannt“) Hoppe versteht wie auch Rakete was vom Geschäft. Im Gespräch mit dem Bremer Journalisten W. Wilke bekannte er: „Ich steh überhaupt nicht auf Kunst – Marketing als Kunst, das interessiert mich.“ Was mich die ganze Zeit am meisten ärgerte, war die Behauptung Raketes und einiger anderer, die Entwicklung der Rock-Musik in Richtung US-Verhältnisse sei nicht mehr aufzuhalten und mein Artikel damit heiße Luft. Glücklicherweise spielte sich in der Zwischenzeit doch einiges anders ab. Und ich freue mich über Aussprüche von Rakete wie: „Ich hob‘ schon die ganze Zeit Ärger mit Levi’s – undzwar wegen dir“ oder einen Telefonanruf von Waltraud Hick, die verunsichert fragt: „Herr Rakete hat mich eben angerufen. Haben Sie vorgestern ein Interview mit ihm gemacht undwaswar da bloß los?“ Hauptsache, es kommt was in’s Rollen. Fazit: Levi’s und die vertretenen Bands haben sich gesucht und gefunden. Denn: Alle scheinen hauptsächlich erst einmal daran interessiert, ihr Produkt gut vermarkten zu können.