Little River Band


Vorsicht! Bei der Little River Band, Schulbeispiel einer Schönwetter-Combo, gab's einen musikalischen Klimawechsel. Statt breitangelegter Vokalharmonien und feinspuliger Gitarrenriffs überraschen die Wohlklang-Cracks mit forschen Rock-Tönen und selbst flotten Disco-Takten.

Zweifellos waren sie es, die durch ihren Erfolg den Boom australischer Rockbands aller erst einleiteten. Neuerdings gibt sich die LRB allerdings nicht mehr damit zufrieden, ihren Platz auf der Rockbühne mit Musik zu sichern, die eigentlich in der Tradition amerikanischer Westcoast-Harmonisten hegt Überraschungen gab es daher reichlich, als ME/Sounds vor der „RockPop“-Aufzeichnung in Dortmund mit den Fünf aus dem Land „down under“ sprach „Was hältst Du von unserer neuen LP?“ Ruckzuck ist mein Interview-Konzept über den Haufen Ich sehe mich plötzlich als Befragter einem freundlich grinsenden Graham Goble gegenüber, der für die größte Zahl der bisherigen LRB-Kompositionen verantwortlich ist Aufgefallen waren nur auf THE NET, dem mittlerweile zehnten Album, vor allen Dingen der gehörige Schuß waviger Sound-Elemente und die – für die LRB ungewöhnlich politischen Texte einiger Songs Insbesondere der Titelsong, ,The Net‘, läßt einige Fragen an die Intention seines Autors, Graham Goble offen.

„Die Kontrolle, die Regierungen und die Geschäftswelt mit Hilfe von Computern Scheck-Karten Systemen und Daten-Sammlungen über uns ausüben, haben mir den Vergleich mit einem Netz, in dem wir alle gefangen sind, aufgedrängt. Ich glaube, die Realität hat Orwells Vision von „1984“ eingeholt. Wir leben schon seit geraumer Zeit m einem Zustand, der uns alle zu Nummern innerhalb irgendwelcher Karteien degradiert. „

Halt! War da gerade vielleicht ein – wenn auch ungewollter – Zusammenhang zwischen THE NET und Roger Waters THE WALL von Pink Floyd?

Wenn man davon absieht, daß beide Konzepte in unserem Zeitgeist und den daraus resultierenden Ängsten begründet sind, wohl kaum. Dazu steht die introvertierte Persönlichkeit eines Roger Waters zu stark den poppigen Impressionen in den Tex ten Gobles entgegen „THE NET ist kein Konzeptalbum“, fährt Goble fort, „wenn auch einige Stücke auf der Platte eine sinngemäße Einheit darstellen Easy Money behandelt das organisierte Verbrechen der Mafia die sich natürlich auch dieser Kontrollsysteme bedient – und „Down On The Border“ bezieht sich auf Länder mit extremen Grenz-Situationen, unter denen Menschen leiden müssen. Wie die Menschen m Ost- und Westberlin, die unter der Trennung durch die unmenschliche grausame Mauei leiden „uuun Oder die Unterdrückung m Ländern, von denen man selten etwas hört, wie Smgapore, wo du schon an der Grenze einen kleinen Eindruck bekommst, was sich dort abspielt. Sie lassen selbst Besucher nur mit kurzgeschorenen Haaren hinein Es gibt auch m der sogenannten freien Welt viel zu viele Beispiele dafür, wie Menschenwürde mit Füßen getreten wird.“

Der Wandel im Mitteilungsbedürfnis der Band geht mit einer gleichzeitigen Neuorientierung auf musikalischem Gebiet einher die in der Hauptsache auf das Konto des Leadgitarsten Steve Housden geht.

„Mit Steve ist die LRB eine andere Band geworden“ statuiert der Bassist und einzige Amerikaner der Gruppe, Wayne Nelson. „Er ist seit den Aufnahmen zu THE NET dabei und kam aus der englischen Scene zu uns, von der er stark geprägt ist.

Stevie hat all‘ diese Riffs und Licks draul die Musik im heutigen Sinne tanzbar machen. Die LRB war schon immer eine Band mit der Ambition, ihr Publikum zum Tanzen zu bringen. Als wir über eine Synthese aus unserem bisherigen Stil und neuen Elementen nachdachten, kam Steve wie gerufen.“

Wer die alten Hits der Band, wie „Lonesome Looser“. „Happy Anniversary“ oder „It’s A Lorig Way There“ kennt, wird die LRB immer ein bißchen in die amerikanische Westcoast-Ecke gesteckt haben.

Das wird seit THE NET allerdings schwierig bis unmöglich. Die ausgekoppelte Single „You Drive Me Out Of My Mind“ ist schon fast eine Disco-Nummer mit den unvermeidbaren elektronischen handclaps und Bläsersätzen im Chicago-Stil, Nach der Bläsertruppe befragt erzählt Wayne Nelson, „Das sind Freunde von mir aus Los Angeles; keine Namen, die hier jemand kennen würde. Es gibt an der Westküste Hunderte von guten aber unbekannten Musikern.

Im Moment gibt es in L.A. eine Tendenz unter vielen Bands, bei Plattenaufnahmen so viele Töne wie möglich auf ihre LPs zu pakken, um sich als Musiker zu be weisen Die Linie River Band war nie eine Wesicoast-Band, das isi ein Label, welches uns von der Presse verpaßt wurde Ich komme ja selbst von der Westcoast und habe m einer Westcoast-Band, der Gruppe von Jim Messina, gespielt.

Von daher bin ich überzeugt, daß Westcoast kein Attribut für die LRB ist Wir haben vielleicht Produktions-Ideen, wie sie dort üblich sind – und der Harmoniegesang, das ,Sweetening‘ in unserer Musik, läßt da wahrscheinlich zu schnell Assoziationen wachwerden ,“

Glenn Shorrock, Lead-Sänger und damit optischer Angelpunkt der Band, ist nach siebenjähriger Zusammenarbeit ausgestiegen und durch John Farnham ersetzt worden.

Der Austausch von Gründungsmitgliedern erweist sich bei jeder Band als Prüfstein für Belastbarkeit und Stabilität im Gruppengefüge. Die LRB scheint’s überlebt zu haben.

„Glenn erklärte uns, 1982 sei das Jahr der Arbeit an seiner Solokarriere für ihn. Die LRB hatte mit ihren neuen Sound-Vorstellungen und dem Studiotermin für THE NET aber alle Hände voll zu tun.

Irgendwann waren alle Kompromißmöglichkeiten zwischen Glenn und uns ausgeschöpft. Graham produzierte gerade John Farnhams letztes Solo-Album THE CUTTER, auf dem auch Wayne. Steve und ich mitwirkten“, erklärt Derek Pelhcci, LRBs Drummer.

„Wir merkten schnell, wie gu: wir zusammen arbeiten konnten, und daß die Stimmen im Klang hervorragend zusammenpaßten was ein wichtiges Kriterium lüi uns ist. So ging dann die Trennung von Glenn und der Beginn unserer Arbeit mit John nahtlos meinander über.“

Zur gleichen Zeit wurde auch das Experiment einer Zusammenarbeit mit dem legendären Beatles-Produzenten George Martin abgebrochen. Martin hatte das Album TIME EXPOSURE mitproduziert und wollte die Band in eine Richtung bringen, die von ihren Mitgliedern nicht akzeptiert wurde, Wayne. „Wir schickten die fertigen Bänder zum Neu-Abmischen unserem früheren und jetzigen Produzenten Ern Rose nach Amerika, weil George uns einen völlig antiquierten Sound gebastelt hatte.

Er hat immer noch diese Sound-Vorstellungen, wie sie m den Sechzigern aktuell waren Okay, früher haben wir von Buddy Holly und den Beatles gelernt im Moment lernen wir von der New Wave Jede wichtige Stimmung hinterläßt ihre bleibenden Spuren Wir wollen einfach nicht stehenbleiben „

Ein bißchen stolz sind die Fünf schon darauf, vor mehr als sieben Jahren die erste Band aus Australien gewesen zu sein, die internationalen Erfolg verbuchen konnte.

„Men At Work nahmen die Welt im Sturm. Wir hingegen stecken immer noch ein wenig in einer Identitätskrise. Da ist das Problem, den Leuten klarzumachen, daß all die Hits, die sie irgendwo einmal gehört haben, und der Name Linie River Band zusammengehören. „

Vielleicht liegts auch ein wenig an dem Motto, das man sich 1975 auf der Debüt-LP gesetzt hatte. IT’S A LONG WAY THERE, Little River Band!