Jermaine Jackson
Aus solchem Stoff sind klassische Tragödien: Zwei Brüder, die mit den gleichen Bedingungen an den Start gehen, werden durch das Schicksal, sprich: Erfolg, zu Konkurrenten. Das alte Kainund-Abel-Spiel.
Doch – sorry – anstelle deftiger Theaterkost gibt’s im Falle von Michael und Jermaine Jackson nur Friede, Freude, Eierkuchen. Denn-Jehova behüte! – die beiden kriegen sich doch nicht coram publico in die brüderliche Lockenpracht. Im Gegenteil. Sie machen, ganz Gentlemen, in eitel Sonnenschein: „1983 war das Jahr von Michael. Ehrlich, ich gönne ihm den Erfolg und werde mich hüten zu behaupten: Jetzt bin ich dran! Jeder hat seine Zeit und seinen Ort. Eines Tages wird auch meine Stunde kommen. Außerdem geht es mir nicht um Preise. Geld oder Auszeichnungen, sondern in erster Linie um Qualität. „
Daß er genau das tut, beweist sein jüngstes und insgesamt achtes Solo-Album DYNAMITE. Nicht genug damit, daß auch er sich neuerdings als goldbetreßter Freizeitadmiral ablichten ließ, nein, Aufbau, Arrangement und Dramaturgie des LP-Elaborates erinnern ungemein an Michaels Rekorde-brechenden Bestseller THRILLER.
Kein Wunder, denn Jermaine, der Qualitätsbewußte, hatte bislang längst nicht soviel Fortune wie sein leichtfüßiger Bruder. Seit er 1976 Motown-Boß BerryGordydieStange hielt, während sich seine Brüder als „The Jacksons“ zu EPIC verkrümelten, stand seine Karriere unter einem denkbar schlechten Stern. Ein fetter Name, aber dürre Verkäufe.
Erst unter der Ägide Stevie Wonders, der 1980 an LET’S GET SE-RIOUS mitarbeitete, gelang ihm ein Achtungserfolg. An den instant success von Michael, der weder als Gruppenmitglied noch als Solist irgendwelche Probleme zu kennen“ schien, konnte der etwas bulligere Jermaine jedoch nie anknüpfen.
„Mein Bruder“, so bescheidet er sich nachdenklich, „war schon immer der bessere Performer. Ich selbst sehe mich eher als Mann hinter den Kulissen.“
Doch mit „Dynamite“, so scheint es, will Jermaine die dünne Wand zwischen sich und dem Erfolg nun endlich wegsprengen. Die Voraussetzungen dazu sind denkbar günstig: Alles, was den Namen Jackson trägt, stößt zur Zeit auf offene Ohren. Außerdem haben die Brüder gemeinsam an der musikalischen Sprengladung gebastelt: Duett hier, Sextett dort. Und ganz abgesehen davon ist Jermaine auch ein ganz akzeptabler Sänger und Instrumentalist.
Sollte die Rechnung wider Erwarten nicht aufgehen – auch kein Beinbruch! Denn da sind immer noch die Jacksons, die just zur Stunde an ihrer Marathon-Tournee arbeiten, die eventuell auch einige europäische Konzerte miteinschließt. Sollte Dynamite floppen, gewiß, es wäre ein kleines Waterloo für den guten Jermaine, aber die Lunte brennt noch. Die neue Jacksons-LP heißt nämlich VICTORY, und das klingt mächtig nach Sieg.