Musik zum Lesen


Nach der großen Veröffentlichungs-Offensive zur Jahresmitte herrscht auf dem hiesigen Popbuchmarkt wieder weitgehend Funkstille: Nur wenige Publikationen drängen druckfrisch ins lukrative Weihnachtsgeschäft. Da auch die englischen Verlags-Herde bei Redaktionsschluß noch die Sparflamme bevorzugten, ist die Auswahl diesmal etwas weiter gefaßt: Neben den "reinen" Musikbüchern wurden - und werden künftig auch Neuerscheinungen berücksichtigt, die sich anderen Sujets populärer Kultur widmen.

Doch zunächst ein notwendiger Rückgriff auf das August-Heft. Die dort vorgestellte Marley-Biographie von Malika Lee Whitney und Dermott Hussey („Bob Marley – Reggae King of the World ist jetzt auch in einer deutschen Ausgabe erhältlich, d. h.: Das jamaikanische Original wird zusammen mit einer deutschen Übersetzung der Interviews ausgeliefert. (Minotaurus-Projekt, Pfungstadt, 48,- DM) Der vorliegende dritte „Idole“ – Band gibt Anlaß für einige grundsätzliche Überlegungen zu dieser von Siegfried Schmidt-Joos herausgegebenen Buchreihe. Die Mehrzahl der bisher veröffentlichten Beiträge basiert auf Hörfunk-Manuskripten, die nur geringfügig verändert übernommen werden. Diese Verfahrensweise bringt – jedes Medium schreibt schließlich seine eigenen Gesetze – ihre Probleme mit sich.

In „Hits aus dem Getto“, der dritten „Idole“-Folge, wird dies besonders an Peter Urbans „Stevie Wonder: Leben Für Die City“ deutlich. Zweifellos gehört Urban zu den wenigen Wonder-Experten hierzulande, ist der Beitrag kompetent geschrieben. Doch was erst kürzlich im NDR als sechsteilige Sendereihe noch recht lebendig klang, wirkt hier, ohne eingestreute Musikbeispiele/Interview-Ausschnitte, doch über weite Strecken trocken und leblos. Hierüber sollten sich Lektor/Herausgeber mal Gedanken machen. Warum nicht mehr, auch kürzere Beiträge, die keiner Rundfunk-Ästhetik gehorchen müssen?

Das Line-Up von „Hits aus dem Getto“ hat sich, vermutlich aus aktuellem Anlaß, gegenüber der August-Ankündigung noch leicht verändert. Neben Stevie Wonder, Ray Charles (Schmidt-Joos) und Bob Marley (Teja Schwaner) kommt, statt Altmeister Sly Stone, Michael ihr habt’s erraten – Jackson erneut zu Ehren. Kathrin Brigl rollt nicht nur die Jacksons-Geschichte ausführlich auf, sondern hatte auch Gelegenheit, deren „Victory“-Tour vor und hinter den Kulissen zu beobachten. (Ullstein-Verlag, 8,80 DM) Daß Darling Nena, abgesehen von buntbebilderten Fan-Postillen, erst jetzt publizistischer Verwertung anheim fiel, grenzt schon fast an ein Wunder, sagt aber auch eine Menge über die Geschwindigkeit aus, mit der hiesige Verlage auf aktuelle Pop-Phänomene zu reagieren pflegen. Wenn dann, trotz langer Wartezeit, immer noch nichts Ordentliches dabei herauskommt- tja, was soll man da noch machen?

Was Hermann Haring hier auf rund 140 Seiten abliefert, liegt in der Tat meilenweit unter dem Niveau, welches man sonst von ihm (auch vom Verlag) erwarten darf – nicht umsonst füllt das Nena-Buch massenweise die Auslagen der U-Bahnhofskioske, irgendwo zwischen Konsalik, Arzt-Roman und Bodybuilding-Magazin.

Der Gipfel der Peinlichkeit ist auf Seite 62 erreicht, wenn Haring „sinnliche Signale“ ausmacht und unter dem Motto „Den Rest besorgt ihr Körper“ ins Eingemachte geht, nicht ohne vorher zu warnen, „die nächste Seite“ sei wohl „nur für Leser über zwölf Jahre“ geeignet. O-Ton Haring: „Wenn Susanne gut drauf ist. schwingt ihr Becken erotisch. Sie hat eine volle Brust, nen runden Po… Es wird heiß, wenn sie das Mikro packt. Ich würd‘ gern mit ihr ins Bett gehen…“ Glitschiger geht’s nimmer… (Rowohlt-Verlag, 7,80 DM) Weitaus mehr Substanz diesen Schluß läßt schon ein erster, flüchtiger Blick aufs Vorabmaterial zu – besitzt da Harings „Rock aus Deutschland -West“, das „Zwei Jahrzehnte Heimatklang“ aufarbeiten will. Nach einer kurzen Einstimmung über „Rock im Lande der Dichter und Denker“ klappert Haring in kurzen (manchmal zu kurzen) Episoden chronologisch runde 20 Jahre germanische Rockgeschichten ab, stellt die wichtigsten Trends, Stile, Bands und Musiker vor: Von Peter Kraus und den Rattles über Can und Amon Düül bis zu Lake, Nina Hagen und Alphaville, vom Kraut-Rock bis zur NDW. Kapitel über Musikpresse und Plattenindustrie, Fernsehen, Independents und die „Macher“ im Hintergrund runden diese Bestandsaufnahme ab. (Rowohlt-Verlag)

Darauf haben wir alle gewartet: „Lieben Sie Dallas“ fragt Michael Zeller in einer „Streit-Lust-Schrift wider den Dünkel der Kultur“. Den hat der Autor insbesondere in den Redaktions-Stüblein der etablierten Kulturkritik à la SPIEGEL, ZEIT oder STERN geortet: „Widerlichen Kulturhandel“, so Zeller, betreiben die Herren Karasek und Co. – und sogleich befällt ihn die „Sehnsucht nach der Geradheit und Ehrlichkeit eines J. R. Ewing“.

Ein rundes Jahr lang, schwerpunktmäßig im Frühjahr/Sommer ’82, verpaßte Zeller keine Folge der Southfork-Opera und spürte, entgegen landläufiger Meinung, die enorme Realitätsnähe des Ewing-Clans auf. Was also haben J. R., Miss „Ich fühl mich so nutzlos“-Ellie oder Zellers Liebling Pam mit Falkland-Krieg, Reagan-Attentat oder südostasiatischem US-Engagement zu tun?

Richtig, der gemeinsame Nenner heißt Öl – und im Zähler stehen die Dollars. Nur daß J. R. und Anhang handfest Kapitalinteressen nicht hinter moralisierenden Freiheitskreuzzügen oder Sozialpartnerschafts-Geschwätz verbergen müssen, sondern Klartext-Kapitalismus betreiben können.

Bisweilen jedoch scheint sich die Dallas-Realität allzu stark in Zellers eigene einzumischen schwer nachvollziehbar selbst für gestandene Dallas-Fans. Da schiebt sich dann, beim neuerlichen Beischlaf mit einer kurzfristig aufgetauchten Ex-Freundin, just in „jener zeitaufhebenden Sekunde“ das Bild von Pam vor Zellers „geweitetes Auge“.

Wer immer noch kein Dallas-Abo hat, sollte es sich vielleicht nochmal überlegen: Eine Langzeitstudie ergab, daß „nach dem Genuß von Dallas beim

deutschen Menschen die Bereitschaft zur Zärtlichkeit um durchschnittlich 17 Prozent und die Dauer des Liebesspiels um 6 Prozent“ steigt! (Ullstein-Verlag, 6,80 DM)

Drei Hauptsymbole des „Amerikanischen (Alp-) Traums“ greift Maurice Kennel für seine aufwendig aufgemachte Bildreportage „American Dreams“ heraus: New York, Elvis Presley und Hollywood werden in Kenneis eigenwilliger Zeichentechnik, die geschickt Fiktion und Realität mischt, zu neuem Leben erweckt. Renommierte Autoren besorgten die Textbeiträge, u. a. Filmregisseur Wim Wenders, seit einigen Jahren in den USA zu Hause und für sein Meisterwerk „Paris, Texas“ gerade in Cannes ausgezeichnet, der seine persönlichen Erfahrungen mit dem, was so gemeinhin „Amerikanischer Traum“ genannt wird, beschreibt und bilanziert. Bleibt abzuwarten, ob sich der Verlag mit dieser Veröffentlichung, wie ein Händler befürchtet, „zwischen alle Stühle setzt“ zuviel Kunst (und damit Anspruch) für das Pop-Publikum, zuwenig derselben für die wirklichen „Art Lovers“. Es wäre schade, wenn „American Dreams“ an solch kleinkariertem Barriere-Denken scheitern würde. (Maro-Verlag, 49,- DM) Das letzte Rock-O-Rama bot einen guten Vorgeschmack auf Elliott Landys schönen Bildband „Woodstock Vision“, der sich übrigens nicht nur eignet, um „in Nostalgie zu schwelgen“. Das umfangreiche und durchweg hervorragende Fotomaterial wird ergänzt durch einen einleitenden Text von Nikolaus Hansen, der Landys wichtigste Lebensstationen skizziert und wesentliche politische und kulturelle Entwicklungen der jeweiligen Zeit aufzeigt.

Landy selbst erinnert sich an die Entstehung einzelner Bilder und beschreibt seine Erlebnisse und Erfahrungen, die er mit Musikern wie Dylan, Van Morrison und The Band, aber auch mit Presse-Institutionen (z. B. dem STERN) und anderen Persönlichkeiten, nicht nur aus dem Musikgeschäft, gesammelt hat. (Rowohlt-Verlag, 42,- DM) Allein auf die Kraft der Bilder (eine Einleitung von Tom Wolfe ausgenommen) baut der Foto-Band der amerikanischen Star-Fotografin Annie Leibovitz. Das edle Werk liegt inzwischen auch in einer deutschen Edition vor und kostet 39,80 DM. (Taschen Comics Verlag, Köln) Französische Übernahmen (mit deutscher Übersetzung) sind zwei großzügige gestylte Fotobände, die der ehemalige „Sounds“-Herausgeber Jürgen Legath überarbeitet hat: „Brigitte Bardot“ sowie „Drunter & Drüber“ (eine leicht ausgeflippte Geschichte der Reizwäsche) wenden sich allerdings schon an den etwas reiferen Geldbeutel – ca. 50,- DM pro Band. (PPV-Verlag, Zürich) Ein bedeutungsschwangeres 1984 neigt sich langsam aber sicher dem Ende entgegen, und schon bricht die Kalenderflut herein, die helfen soll, die nächsten 12 Monate zu bewältigen. Bereits in diesem Jahr hat sich dabei der von Jürgen Stark und Thomas Böhm herausgegebene „Rock-Kalender“ bewährt, der auch 1985 im handlichen Taschenformat zur Verfügung steht. Besonders hilfreich ist wieder der ausführliche Adressenteil, der Plattenlabel/-firmen, Studios, Konzertagenturen, Clubs/Discos und vieles mehr übersichtlich auflistet. Darüber hinaus gibt es zwischendurch mehr oder weniger lesenswerte Artikel und eine „rückblickende Vorausschau“ auf das, was uns 1985 (vielleicht) erwartet. Als Autoren konnten Stark/Böhm u. a. Udo Lindenberg, Wolfgang Niedecken und Wolf Maahn verpflichten. (Elefanten-Press, 9,80 DM) Etwas lustiger und bissig geht’s im „Karicartoon 85“ zu. Dieser Abreißkalender versammelt auf 365 Seiten – jeder Tag ein neuer Spaß – nahezu alles, was im Karikatur-Gewerbe Rang und Namen hat. Für alle geeignet, die auch schon vor dem morgendlichen Kaffee kräftig lachen können oder – je nachdem – einen derben Seitenhieb vertragen. (Elefanten-Press, 19,80 DM) Noch ein Hinweis auf zwei neue englischsprachige Biografien: „Crosby“, „Stills & Nash“, die autorisierte Bio von Dave Zimmer, dürfte sich eher an die schon etwas gesetzeren Semester wenden. Graham Nash schrieb das Vorwort und war recht angetan von Zimmers Werk: „Its certainly as dose to the truth as any writing about us l’ve ever seen…“ Einen Blick wert ist allein schon das reichhaltige Fotomaterial von Henry Dlitz. (Omnibus Press, ca. 28,20 DM) Johnny Rogan hat sich bisher mit Büchern über Neil Young, Roxy Music und einer kontroversen Van Morrison-Biografie einen guten Namen gemacht. Den wird er sich mit dem jetzt vorliegenden Buch über die Kinks auch kaum verderben: Gründlich recherchiert und spannend geschrieben begleitet Rogan Ray Davies und Co. von ihren Anfängen bis Ende 1983. Die ausführliche Discografie dürfte selbst für Sammler kaum Wünsche offenlassen. (Proteus, ca. 39,80 DM) Was den Vertrieb englischsprachiger Musik-Literatur betrifft, so will künftig der Verlag Borg & Prahm (einst Herausgeber von „Scritti“ und „Farne“) Licht in die bundesdeutsche Diaspora bringen. Folgende Biografien/Bildbände sind bereits erhältlich bzw. kurz vor der Veröffentlichung: Van Haien, Springsteen Live, Jacksons Live, Prince, Duran Duran Live, Eurythmics und das Rock Yearbook Vol. 5. Wichtige Musikbücher sollen gleichzeitig auch ins Deutsche übersetzt werden: Frankie Goes To Hollywood (16,80 DM) und David Bowies Serious MoonlightTour (40,- DM incl. Porto) sind bereits für Ende Oktober angekündigt. (Moderne Media Verlags GmbH, Am Marstall 6, 3000 Hannover 1).

Zwei weitere Bezugsquellen für Rock-Literatur: Kulturbuch, Kleiner Burstah 2-4, 2000 Hamburg 11; Groovers Paradise. Ladenstr. 8,3104 Unterlüss.