40 Jahre Punk, Teil 2

Februar 1977: Wie The Damneds Debüt zu einem der drei großen Punkrock-Albumklassiker wurde


Auch wenn die Szene sich über Singles definiert, der 18. Februar 1977 ist trotzdem ein wichtiges Datum: An diesem Tag erscheint das erste britische Punkrockalbum. The Damned sind nicht nur anders als alle anderen, sie sind auch wieder schneller. Lest hier Teil 2 unserer Serie „40 Jahre Punk“.

Während die Sex Pistols mit brutalem Zynismus die britische Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttern und The Clash heroisch die Weltrevolution beschwören, hüpfen diese vier Gestalten aus London als schwer erziehbare Teenager durch die Gegend – und drehen allen eine Nase, indem sie im Oktober 1976 die erste Punksingle veröffentlichen. „New Rose“, auf Stiff – Klassiker. Die heute in den erkennungsdienstlichen Handbüchern der Polizei sämtlicher Länder kodifizierte Punkrockuniform gibt es Anfang 1977 noch nicht. Aber selbst im schillernden Durcheinander der Szene, die sich langsam in einem Heer von Mitläufern auflöst, fallen The Damned aus der Reihe: Captain Sensible im Kleidchen, Rat Scabies in banalen Jeans mit namensgebender Hautirritation, Brian James als Stooges-Klon und Dave Vanian als verarmter Vampir – diese Typen sind genau das, was Punk in den Augen der Öffentlichkeit ist: kaputt.

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Es begann im Frühjahr 1975 mit der Band London SS, dieser Ursuppe, in der außer den Pistols fast jede frühe Punkband ihre Wurzeln hat. Dann brachte Malcolm McLaren Vanian, Scabies und Sensible mit Chrissie Hynde als Masters Of The Backside zusammen, laut Hynde „ohne mich die musikalisch versierteste Punkband der Stadt“. Und seit April 1976 fabrizieren sie mit James den schnellsten, wüstesten Lärm, den man sich vorstellen kann. Ihr Platz in der Hierarchie ist klar – hier die Beatles des Punk (Pistols) und die Stones (Clash), dort … die Pretty Things, die Brian James sowieso bevorzugt: „Sie waren schmutzig, hatten die längsten Matten und spielten ihren R’n’B so scheiß draufmäßig, wie’s irgendwie ging.“

„The Damned waren fantastisch, und sie waren unverschämt und rotzfrech“

Mit dem Big Biz, das Pistols und Clash von innen zerstören wollen, haben sie auch nichts am Hut: Sie unterschreiben bei dem im Sommer 1976 gegründeten Indie-Label Stiff, das sich auf Pubrock und Freaks wie Nick Lowe, Ian Dury, Motörhead und Elvis Costello spezialisiert. Lowe, den The Damned „Opa“ nennen, weil er schon 27 ist, soll im Januar 1977 auch ihr erstes Albumproduzieren. Schauplatz ist das „Pathway“ im Londoner Norden, ein winziges, unbeheiztes Garagenstudio. Toningenieur Bazza Farmer erinnert sich: „Der Gestank dort warf einen um. Es roch wie ein Herbstwald oder ein altes Klo. Das hattest du zwei Tage später noch in den Klamotten.“ Lowes „Produktionstechnik“ entspricht dem Hinweis auf dem Albumcover: „Not produced by Nick Lowe“. „In zwei Tagen“, sagt Sensible, „war der Quatsch im Kasten. Nick hat überhaupt nichts getan, außer flaschenweise Cider zu bestellen. Aber das war genial: uns zu produzieren, indem er uns nicht produziert!“ Lowe selbst war vom Ergebnis überrascht: „Wir konnten gar nicht fassen, dass wir etwas gemacht hatten, was sich derartig gut anhörte. Das passiert wirklich nicht oft. The Damned waren fantastisch, und sie waren unverschämt und rotzfrech.“

Spielen mit Essen: Das Art­work des ersten offziellen UK-­Punk-Albums bestätigt so ziem­lich alle Bedenken des Estab­lishments.

Zu sehen auf dem Cover, wo The Damned nicht so hoffnungslos-trotzig glotzen wie all die anderen Punks. „Patti Palladin und Judy Nylon (vom legendären New Yorker Punkduo Snatch / siehe auch „Neu im Plattenladen“ – Anm. d. Red.) machten Tortenböden“, erzählt Sensible, „füllten sie mit Rasierschaum, Dosenbohnen und so Zeug und bewarfen uns damit. Ich war echt sauer, weil ich dachte, wir machen bestimmt kein zweites Album, und dann sieht man auf dem Cover nicht mal mein Gesicht!“ Weil er auf der Rückseite auch nur von hinten zu sehen ist, schmeißt sich Sensible in einen Passbildautomaten und klebt den Schnappschuss aufs Livebild aus dem „Roxy“. Um die Öffentlichkeit zu foppen, ist auf der Erstauflage aber nicht dieses Bild zu sehen, sondern eines von Eddie & The Hot Rods – eine Idee der Stiff-Gründer Jake Riviera und Dave Robinson, die zudem den Albumtitel per Aufkleber ergänzen und auf Werbeplakaten einen empörten „Sounds“- Leser zitieren: „Brian James spielt Gitarre, als hätte er Boxhandschuhe an.“

The Damned perform on stage at the Roundhouse, London, 1977. L-R Dave Vanian, Captain Sensible, Brian James, Jon Moss and Lu Edmonds. (Photo by Erica Echenberg/Redferns)
The Damned live im Roundhouse London, 1977.

DAMNED DAMNED DAMNED erreicht nur Platz 36 der UK-Charts, wird aber zu einem der drei großen Punkrock-Albumklassiker: Eine solche Explosion von Tempo, Energie und genialem Dilettantismus bekam keiner ihrer Zeitgenossen hin. Rat Scabies’ manisches Keith-Moonin-Überschall-Getrommel ist auch nach 40 Jahren umwerfend. Auch wenn er selbst das ganz anders sieht: „Das war vor 30 Jahren“, sagte er im November 2007, „und es war Wegwerf-Pop. Ich verstehe nicht, wie man sich so an die Vergangenheit klammern kann. Ein Musiker ist ein Künstler, der etwas schafft, was den Augenblick widerspiegelt. Wir wollten auffallen, das haben wir geschafft. Die Plattenfirmen hatten Angst vor uns, wir haben vielen Scheißbands den Garaus gemacht. Aber wir wollten nie jemanden beeinflussen oder verändern. Wir waren einfach dankbar, dass wir’s mal versuchen durften.“

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Dieser Text ist nach Teil 1 – „Wie im Januar 1977 alles begann“ – der zweite Teil unserer Serie „40 Jahre Punk“ und erschien zuerst in der Ausgabe 03/2017 des Musikexpress. Lest demnächst, was im März 1977 geschah.

Erica Echenberg Redferns