Sting – London, Wembley Arena
Gut 50.000 Zuschauer an fünf ausverkauften Konzerttagen im Londoner Wembley – das sagt alles über die enorme Erwartungshaltung, die man bei einem Konzert des Ex-Police-Mannes entwickelt. Aber was Wunder, der Kammer-Popper mit dem gewissen Mehr an Anspruch hat genug finanzielles Rückgrat, um sich einen erlesenen musikalischen Geschmack leisten zu können, insbesondere, was die Auswahl der Musiker betrifft. Sting zahlt gut. Bei der letzten Tour bekamen die Musiker immerhin 10.000 Dollar Wochengage. So bekommt er die besten – und der Zuhörer freut sich mal wieder auf was
richtig Kultiviertes, auf die so notwendige Substanz-Spritze in einem zum bedürfnisgerechten Ziclgruppen-Rock ’n‘ Roll verkommenen Tagesgeschäft. Und ist man willig, den gelegentlich eregierten Zeigeringer des Herrn Ex-Lehrers zu tolerieren – wenn er beispielsweise uns Unwissenden von der Bühne herab den 7/4tel-Takt in „Straight To My Heart“ erläutert – so kann man mit diesem Konzert tatsächlich eine Menge Freude haben.
Zwar hat die neue Band – nur Kenny Kirkland (Piano) und Dolette McDonald (Chor) sind von der BLUE TURTLES-Besetzung übriggeblieben – nocht nicht die Homogenität und Klasse der letzten Tour-Begleitung erreicht, doch darf man davon ausgehen, daß solche Unlockerheiten (wie sie z.B. dem sichtlich lampenfiebrigen, jungen Gitarren-Talent Jeff Campbell hin und wieder passieren) bis zu den angekündigten Deutschland-Konzerten im Mai/Juni vergessen sind.
Schon jetzt herausragend aber Perkussionist Minu Cinelu – man kennt ihn von Miles Davis und Weather Report -. der absolut Unbeschreibliches mit seiner Gerätschaft fabriziert. Am Saxophon Steve Coleman. der den anderweitig beschäftigten Brandford Marsalis leider nicht adäquat ersetzen kann. Zu hart ist sein Ansatz, zu wenig sehnsüchtig oder sentimental klingt sein Tenor, um die über alles gelieble „Roxanne“ lautmalerisch zu erfassen.
Und dann kommt sehr zur Freude des Publikums auch noch Andy Summers auf die Bühne. Man intoniert „Message In A Bottle“ akustisch in trauter Zweisamkeit. wobei sich der Gitarrist den Fauxpas leistet, den Faden des berühmten Riffs zu verlieren. Der große Blonde riskiert einen leicht blasierten Seitenblick – ach. wie in alten Zeiten.
Sting hält sich verständlicherweise größtenteils an die neue LP NOTHING LIKE THE SUN. Die Live-Versionen klingen insgesamt fruchtiger, wärmer, euphorischer als die CD-geile Digital-Hygienc des Albums.
Viele Songs entfalten erst hier ihre ganze Spannkraft, „Sister Moon“ etwa, ein harmonisch interessanter, lasziv fließender Blues, oder „History Will Teach Us Nothing“, ein federndes Rhythmus-Festival mit lockerem Ethno-Geschmack. Auffallend die vielen Zitate aus der Rock-Geschichte – ein seit Bono Vox wieder enorm beliebter Trick, der garantiert für Stimmung sorgt. So wird beispielsweise „History…“ mit Marleys „Get Up Stand Up“ verbrämt, oder Hendrix‘ „Little Wing“ mit Lennon/McCartneys „From Me To You“.
Eine Videowand über der Bühne sorgt für Unterhaltung; drei Kameras übertragen die Spiellaune der Musiker auch in die letzten Reihen. Interessant auch der Zugaben-Gag: Sling geht von der Bühne ab und wird per Handkamera auf dem Weg in die Garderobe verfolgt. Wie seinerzeit im „Rockpalast“ sehen wir dann sogar das sonst verschlossene Heiligtum des Künstlers, wo die Attraktion des Abends erschöpft und durchgeschwitzt am Mineralwasser nippt.
Dann plötzlich sieht Sting in die Kamera, gestikuliert „Wie? Meint ihr etwa mich mit eurem Zugaben-Gebrüll?“ . was den Lautstärke-Pegel in der Halle sofort verdoppelt. Und schon stapft Sting wieder gen Bühne, um die nicht enden wollenden Ovationen „live“ zur Kenntnis zu nehmen.
Höhepunkt der Show: „The Secret Marriage“. als der Herr mit den rasch fortschreitenden Geheimratsecken den „Gott-erhalte-Berthold-Brechf‘-Blick aufsetzt und die wunderschöne Hans Eisler-Melodie vorträgt. Sogar die dämlich-dumpfen „Rock ’n‘ Roll“-Gröhler halten da ihr Maul, die bekannte Stecknadel wäre zu hören. Und sowas in einer 10.000er Mehrzweck-Halle zu schaffen, verdient mehr als nur ein bißchen Respekt …