CAN


Daß heute auch Veteranen noch in den Ring steigen, steht auf der Tagesordnung. Daß aber graumelierte Herren dem Nachwuchs vorexerzieren, was musikalische Abenteuerlust bedeutet, fallt aus dem Rahmen. ME/Sounds traf das Kölner Kreativ-Kollektiv, das auch nach zehnjähriger Pause jünger ist als die Jungen.

Ihre Alben waren für Trendsetter in aller Welt ein Muß im Plattenschrank. Musiker wie David Bowie, Roxy Music, Brian Eno und Robert Fripp, Film- und Fernsehregisseure wie Wim Wenders, Thomas Schamoni oder Roland Klick zählten zu ihrer Gemeinde. Und selbst der Modezar der 80er, Jean-Paul Gaultier, kann bei seiner Arbeit auf Can-Klänge nicht verzichten.

Neben Kraftwerk hat keine andere deutsche Gruppe einen derart nachhaltigen Einfluß auf die Entwicklung der modernen Rockmusik genommen wie Can. Doch obwohl sie in den frühen 70er Jahren hierzulande in allen wichtigen Pop-Polls auftauchten, durchaus respektable Kritiken und Plattenverkäufe erzielten und 1971 mit „Spoon“, dem Titelsong zum Fernsehkrimi „Das Messer“, gar den Platz 8 der deutschen Charts einnahmen – die innovative Kraft des deutschen Quartetts wurde vor allem in Frankreich und England erkannt.

Dort bejubelte man in ausverkauften Konzerten und renommierten Fernsehsendungen „die vielversprechendste Band der Welt“ (New Musical Express), „deren Musik sich genial vom Rock in England und Amerika unterscheidet“ (Melody Maker). Das Album SOON OVER BABALUMA, laut NME „seiner Zeit 40 Jahre voraus“, beschrieb der Melody Maker als „großartiges Album einer der bedeutendsten europäischen Bands“.

Während sich hierzulande niemand des Can-Erbes annahm, beriefen sich Anfang der 80er Jahre experimentierfreudige Bands wie Joy Division, Ultravox, Public Image Ltd. oder Buzzcocks auf die deutsche Gruppe, die neben Kraftwerk das andere Rock-Deutschland repräsentierten.

Can selbst stehen diesem allseits zitierten Einfluß heute eher skeptisch gegenüber. „Den Atem und Rhythmus, den Can auf die Beine gestellt haben, der ist merkwürdigerweise von niemandem übernommen worden. Sie haben alle die englische Masche durchgetrommelt“, analysiert Bassist Holger Czukay amüsiert die Lage. Und Schlagzeuger Jaki Liebezeit bezweifelt generell, ob überhaupt irgend jemand ihre Arbeitsweise übernommen hat, die klärt: „Manche haben Elemente von Can kopiert, aber trotzdem das alte Dinggemacht: einen Song geschrieben und den stupide gespielt.

Und das hat Can eben nicht gemacht. Der Song entstand, während er gespielt wurde. Ich glaube nicht, daß es irgendeine vergleichbare Band gibt. „

So ist die beste Can immer noch Can selbst, die nun nach zehnjähriger Pause mit RITE TIME das Comeback einer deutschen Legende feiert. Wobei wir es Irmin Schmidts Frau Hildegard (die von Beginn an Cans Geschäfte führte) zu verdanken haben, daß sich die Urformation wieder mit dem ersten Sänger der Gruppe, dem Amerikaner Malcolm Mooney, im südfranzösischen Domizil von Michael zu Plattenaufnahmen einfand.

Löste das langjährige Versprechen, das Tastenmann Irmin seiner Frau gab, nicht unerfüllbare Erwartungen aus?

Irmin: “ Überhaupt nicht. Wir sind alle ganz nüchtern rangegangen;

Gucken wir mal, ob’s klappt. Wenn nicht, dann haben wir eine gute Zeit gehabt. Doch nach der ersten Session haben wir gesagt: Okay, wir machen weiter. In dem Moment, wo wir das beschlossen hatten, gab’s kein Zurück mehr. Aber ohne Spaß an der Sache hätten wir uns natürlich nicht drauf eingelassen. „

Nun könnte man annehmen, daß sich nach zehn Jahren Pause, auch wenn die Can-Musiker immer wieder zusammenarbeiteten. Nostalgie über die „guten alten Zeiten“ breitmacht. Die vier sehen mich kopfschüttelnd an und Irmin lacht: „£5 war spannend, daß auch Malcolm wieder dabei war. Aber jeder von uns hat inzwischen seine ganz eigene Geschichte gemacht und ist von den guten alten Zeiten schon längst weg. Und keiner von uns ist auch besonders begabt dazu, sich mit guten alten Zeiten zu beschäftigen. Die interessieren keinen. Man hat ja keine Lust, dauernd als Denkmal rumzulaufen. Aber was damals zwischen uns passierte, wird uns immer und ewig verbinden.“

Die unterschiedliche musikalische Herkunft von Irmin Schmidt, Holger Czukay, Jaki Liebezeit und Michael Karoli hatte sich schon früher als die Stärke von Can erwiesen, mit der man von Beginn an mit den gängigen Rock-Regeln brach. Auf ihrem Debütalbum MONSTER MOVIE servierten Can 1969 hypnotische, exotische Klangteppiche, die man über die folgenden zehn Jahre und Platten hinweg laufend verfeinerte. Irmin:

„Am Anfang rauft man sich zusammen, da sind die Sachen noch sehr widerborstig. Dann kommt die Zeit, wo man fast telepathisch miteinander spielt, indem man aufeinander hört. Und das ist eigentlich der Höhepunkt, wo es richtig toll funktioniert. Und dann hat sich dieses Delirium als Motor irgendwann mal erledigt, die Kraft ist raus. Das ist der Bogen, den Can gemacht hat.“

Eine Fehlentwicklung, die laut Jaki zum Ende der Gruppe führte. Aus diesem Grund war Holger Czukay bereits 1977 vor dem letzten Can-Album OUT OF REACH ausgestiegen. So waren sich alle beim Wiedersehen darüber einig, daß man bewußt am Meisterwerk MONSTER M0VIE anknüpfen sollte. „Denn zu denken, wir müßten unserer Zeit wieder mal 20 Jahre voraus sein, also, sowas kann man ja nicht planen.“

Doch die alte Frische hat sich laut Irmin Gott sei Dank durch die lange Pause wieder eingestellt. Alle hatten Spaß am „instant composing“, wie Irmin das improvisierte Spiel bezeichnet, durch das alle Can-Platten entstanden und das auch auf der Bühne angewandt wurde.

Die Band vergleicht ihre Arbeitsweise mit dem Fußballspiel.Jaki: “ Die proben das Spiel ja auch nicht vorher ein. Die haben Strategien, etwas dramaturgische Gestaltung- und die Regeln müssen halt eingehalten werden. Das ist die Voraussetzung. In der Musik hat jedes Stück seine eigenen Regeln. Die Tonleiter und ein paar Dinge sind vorgegeben. Dann muß man gucken, daß nicht einer alleine zu lange dribbelt, sondern daß der Ball abgegeben wird, daß eine Teamarbeit entsteht, die Gruppe optimal zusammenarbeitet. Das ist ein Unterschied zu allen anderen Rock-Bands. „

Ob sie auf den grünen Rasen zurückkehren werden, ist noch nicht ganz klar. Irmin:

„Prinzipiell besteht eine gewisse Bereitschaft zu Konzerten. Schließlich sind wir Musiker. Und da gehört das unter anderem zur Praxis.“ Michael: „Wenn Live-Konzerte, dann werden sie wieder in dem Can-Konzept passieren. Daß wir Stücke einproben und uns auf die Bühne stellen, das wäre jedem von uns viel zu langweilig.“

Man darf also sicher sein, daß sich Can wieder etwas Besonderes einfallen lassen werden. Um Ideen waren die Vier schließlich noch nie verlegen. Von Beginn an waren sie nicht nur musikalisch ihrer Zeit weit voraus. So wurde auf eigene Rechnung im bandeigenen Studio produziert; 600 Exemplare der ersten LP MONSTER MOVIE erschienen sogar im Eigenvertrieb. Hildegard Schmidt achtete von Anfang an darauf, daß die Band die Kontrolle über Verlags- und Plattenrechte behielt. Dank dieser Umsicht kann man auch heute noch alle Can-Werke im Laden kaufen, seit kurzem auch auf CD. Außerdem filmte Peter Pzygodda 1972 ein Freikonzert in der Kölner Stadthalle mit, ein Spektakel mit Feuerschlukkern, Laserstrahlen und Akrobaten. Mittlerweile ist das historische Dokument mit neuem Material aktualisiert und für das Album RITE TIME zu verschieden langen Video-Clips , geschnitten worden.

Und weil sowohl der erste Sänger Malcolm Mooney als auch dessen Nachfolger, der Japaner Damo Suzuki, mit der deutschen Sprache Probleme hatten, machten Can aus der Not eine Tugend: So entstanden auch zu RITE TIME die Texte teilweise spontan und improvisiert wie die Musik.

„Der Lyrik-Anteil bei Can ist äußerst gering. Und seine Verständlichkeit ist nicht unbedingt notwendig, denn bei uns ist die Stimme eigentlich immer mehr Instrument als etwas anderes. Sie dient jedenfalls sehr wenig zum Transport irgendwelcher lyrischer Gehalte. Bei Can wurde nie eine Message vermittelt. Das ist keine Gruppe, die Botschaften außerhalb ihrer musikalischen verkündet.“

Und die bezeichnete Can damals schon als Weltmusik. Doch Vorsicht, keine Mißverständnisse! Jaki: „Dieser Mischmasch aus allen möglichen ethnischen Elementen Weltmusik zu nennen, ist natürlich Quatsch. Weltmusik sollte eine Musik sein, die keinerlei nationale Eigenschaften hat. Die auch die Marsmenschen verstehen können. Das ist Weltmusik. „

Klar, daß sich die Band mit ihrer kosmopolitischen Einstellung schwer mit einer Definition der deutschen Rockmusik tut. Jaki:

„Diese Musik, die heute hier gemacht wird, das ist keine deutsche Musik. Das ist anglo-amerikanische Musik, die man nachzuspielen versucht. Man macht deutsche oder auch mundartliche oder halbmundartliche Texte darauf und glaubt, dann wäre es deutsche Musik. “ Irmin Schmidt sieht’s weniger eng.

„Eines der Ergebnisse dieser Rockund Popkultur, deren angloamerikanischen Wurzeln unbestreitbar sind, ist die Tatsache, daß es definierbare nationale Musiken nur in sehr begrenztem Umfang gibt. Und daß eigentlich dieses Bestehen auf eine nationale Idendität in der Musik ein bißchen zweitrangig ist. Es geht eigentlich darum, daß man seine eigenen Erfahrungen ausdrückt – und die sind in München, Berlin oder Dortmund sicherlich ein bißchen anders als etwa in Detroit. Und hier so zu tun, als ob man in der Bronx aufgewachsen wäre, das halte ich für ziemlichen Schwachsinn. „

Wie sich nicht erst bei diesem Interview zeigt, sind die Herren von Can ziemlich eigenwillige Persönlichkeiten. Man kann sich nur schwer vorstellen, sie alle unter einen Hut zu bekommen. Wer ist eigentlich bei derart extremen Individualisten der Boß im Studio? Michael Karoli hat eine verblüffende Erklärung: „Der Diktator ist der Klang – und da ist es egal, ob fünf oder 50 Musiker beteiligt sind. Es muß einfach jeder auf das hören, was zu hören ist und damit spielen. Aber ohne Spannungen würde es gar nicht geiler.-Spannungen, die sich entweder in Form eines kleinen Streits oder aber in Form guter Musik entlädt. Wir haben schon das normale Maß gerauft.“

Und natürlich kann sich Holger, der sich selbst „Privatsinfoniker“ nennt, zum Schluß bei der Frage, wie man sich nach zehn Jahren Can-Pause fühlt, nicht seine Ironie verkneifen: „Wir fühlen uns alt und gebrochen.“