Bring mir den Cop von Al Pacino
KIrimi-Fans lieben ihn: wache Augen, stets mißtrauisch, ruppig, mit weichem Kern. Seine professionelle Abgebrühtheit machte über die Jahre Verbitterung Platz, die er gern mal mit einem Gläschen runterspült. Seinen Humor hat er trotzdem nicht verloren. Er glaubt an das Gute im Menschen, er glaubt an Recht und Gesetz, doch wie oft wird er enttäuscht! Er ist der klassische Cop aus den Fortsetzungs-Romanen in den Illustrierten. Mit Typen wie ihm bevölkern Krimi-Schreiber die Polizeireviere.
Al Pacino spielt den Cop, Arbeitsplatz Manhattan. Wie alle Cops ist er einem Mörder auf der Spur. Er stellt Fragen und hakt Verdächtige ab. Eine Frau (Ellen Barkin) ist darunter, die ihn reizt. Natürlich kommt, was alle erwarten. Natürlich geht es nicht ohne Gewissensbisse. Natürlich lauert die tödliche Gefahr.
„Sea of Love/Melodie der Liebe“ (Regie: Harold Becker) ist ein Krimi. Spannung, Schauspieler, Story, Sex – alles da, alles prima, trotzdem bleibt’s ein Krimi. Kein Thema, das auf den Nägeln brennt, keine Aufarbeitung der Menschheits-Geschichte, nicht mal ein Tabu, das gebrochen würde. Drei Umstände heben „Sea of Love“ über andere Krimis hinaus:
Drei Jahre sind vergangen seit „Revolution“, dem letzten Film mit Al Pacino.
Sechs Jahre sind vergangen seit „Scarface“, dem letzten erfolgreichen Film mit Al Pacino.
15 Jahre sind vergangen seit der großen Zeit von Al Pacino. Damals wirkte er in Filmen mit, die heute zu den Klassikern gezählt werden, wie „Der Pate“, Teil 1 & 2.
Seitdem machte Al Pacino mehr von sich reden, wenn er Projekte ablehnte. Manchmal übernahmen diese Rollen Kollegen, die wie Pacino in Lee Strasbergs „Actors Studio“ ausgebildet worden waren. Dustin Hoffman, mit dem Pacino im gleichen Semester studierte, und andere „Method Actors“ wurden längst mit Oscars ausgezeichnet. Pacino war fünfmal nominiert, bekommen hat er keinen.
Pacinos Ablehnung eines Films kam manchmal einem Aus gleich. „Born on the Fourth of July“ etwa sollte schon vor zehn Jahren von William Friedkin mit Pacino verfilmt werden. Als beide ausstiegen, landete die Vietnam-Abrechnung in der Schublade. Regisseur Oliver Stone, der den Stoff jetzt mit Tom Cruise realisierte (Start: 1. 3. 90), konnte sich einen Seitenhieb nicht verkneifen und beschrieb Pacinos Karriere als „down the toilet“.
Nun taucht der Schwierige, dem kein Projekt gut genug zu sein schien, wieder auf. Der Film, den er sich dafür ausgesucht hat. ist ein einfacher Krimi. Pacino spielt, wie schon in „Serpico“, einen Cop; er spielt, wie schon in „Cruising“. lebendigen Köder für einen Mörder. Trotz des banalen Stoffes – oder vielleicht gerade deswegen – schnurrte die Publicity-Maschine wie geölt. Pünktlich zum US-Start von „Sea of Love“ war Al Pacino auf den Titelseiten der wichtigen Magazine. „Wo war der Mann abgeblieben?“ „Was hat er all die Jahre getan?“
Die Antwort ist simpel: Pacino spielte Theater. Das hat er früher schon gemacht, dafür ist er mehrmals ausgezeichnet worden. Mittlerweile wurde er aber auch in diesem Metier immer schwieriger: Als 19X3 die Premiere des David Mamet-Stücks „American Buffalo“ anstand, verlangte Pacino Verlängerungen der Previews vor Publikum und schob den offiziellen Start weiter und weiter hinaus. Danach war er zwei Jahre mit dem Stück in aller Stille unterwegs. Noch lieber aber seien ihm workshop-artige Aufführungen von obskuren Stükken auf Kleinstbühnen, ohne große Ankündigung.
Pacino ging mit Diane Keaton aus, locker, dafür beständig über die letzten zehn Jahre. Wenn der gebürtige und überzeugte New Yorker nach Los Angeles muß, um eine Nelienrolie in Warren Beattvs Comic-Verfilmung „Dick Tracy“ zu spielen, wohnt Pacino in Keatons Haus. Zur Zeit sind sie gemeinsam in Rom und drehen mit Francis Coppola „Der Pate III“.
Pacino machte einen Film. Einen, der keinen Verleih hat und keinen Starttermin. Heimlich fast und, wie es scheint, nur für sich allein produzierte und inszenierte er „The Local Stigmatic“ mit sich selbst in der Hauptrolle. Die 50-Minuten-Filmversion eines Einakters von Heathcote Williams zeigt angeblich den besten Pacino seit langem. Bestätigen können dies bislang nur wenige. Pacino nämlich drehte den Film bereits 1985 und ließ seitdem ungezählte Versionen anfertigen. Manchmal ändert er eine Kleinigkeit, führt die neue Fassung im kleinen Kreis vor, beobachtet die Reaktionen und geht dann wieder in den Schneideraum.
Mit „Stigmatic“ hat sich AI Pacino einen Traum erfüllt. Zum ersten Mal kann er an einem Film so lange feilen, bis er überzeugt ist, daß er besser nicht wird. Kein Produzent sitzt ihm im Nacken, keine Uhr läuft ab. Zum ersten Mal hat er allein es in der Hand zu entscheiden, wann die Zeit reif ist, vor ein größeres Publikum zu treten. Damit er sich diesen Luxus leisten kann, damit er all das aus seinem Leben verbannen kann, was ihn an Hollywood stört, spielte AI Pacino wieder in drei Hollywood-Filmen. Der erste ist „Sea of Love“. – Was man an einem Menschen hat, weiß man erst zu schätzen, wenn man ihn nicht mehr hat, heißt ein Sprichwort. Wie gut ein fast schon vergessener Schauspieler sein kann, daran werden die Zuschauer manchmal erst bei dessen Comeback erinnert.