Lloyd Cole
Als der 21jährige Schotte 1984 auf der Bildfläche erschien, waren für die Kritiker Superlative gerade gut genug. Doch die Vorschußlorbeeren und Vergleiche mit Dylan oder Lou Reed erwiesen sich als Bumerang: Verunsichert löste Cole seine Band auf und tauchte in der New Yorker Anonymität unter. ME/Sounds-Mitarbeiter Jörg Feyer sprach mit dem freiwilligen Exilanten über Krise und Comeback.
Gelassener sei er geworden, hieß es im Vorfeld; souveräner und selbstbewußter im Umgang mit Medienvertretern. Doch Lloyd Coles rechte Hand zittert unübersehbar, als sie mir die gewünschte Tasse Kaffee neben das Aufnahmegerät stellt. Wenig später sagt er: „In Frankreich sehen sie in mir einen irgendwie mysteriösen Bohemian – einen wesentlich romantischeren Typen jedenfalls als in England. In Portugal denken sie sogar, daß ich sexy bin!“ Cole lacht nervösgezwungen auf. „Das ist unglaublich.“ Wir diskutieren gerade das „größte Mißverständnis über Lloyd Cole“. Und wie sieht’s mit Deutschland aus? „Hier wurde der Humor in meiner Musik oft nicht gesehen, weil Englisch nur Zweitsprache ist. Das ist, als wenn man Goethe übersetzt lesen würde – da kriegen wir dann die Hälfte nicht mit. “ Deftige Vergleiche, die Freud Freude bereitet hätten. Auch Begriffe wie „Strukturalismus“, „Subtext“ oder „Erzählstruktur“ gehen ihm nach wie vor locker von den Lippen. Gleich nach seinem 84er-Debüt RATTLESNAKES, das nicht wenige Kritiker verzückt die Vergleichstrümpfe Dylan und Lou Reed ziehen ließ, hatte Cole den Stempel „belesener Rock ’n’Roll-Dandy“ weg – zumindest konnte es nicht schaden, ein Einführungsseminar über literarische Form hinter sich zu haben … „Ah, na ja …“ Cole winkt ab. „Zwei Jahre Studium. Für Rock ’n‘ Roll-Verhältnisse ist das natürlich ganz schön viel …“
Zu behaupten, Cole habe in seiner neuen Wahlheimat New York nun einen weltanschaulichen Salto geschlagen, nur weil er sich für die Likör-Marke „Amaretto“ engagieren ließ, ist sicherlich übertrieben. Doch Cole selbst leugnet nicht, daß die 5.000 Dollar für den Fotonachmittag mal eben sechs Monate lang die Miete bezahlt haben. Ja, ich tat es des Geldes wegen. Es gibt sicherlich Dinge, für die ich nie werben würde. Amaretto gehört nicht dazu – auch wenn ich das Zeug selbst nicht trinke. „
Barcelona, Madrid, Paris und Berlin (Cole: „Oh, das wär sicher auch interessant geworden. 1 ) standen außerdem auf dem Zettel mit der Überschrift „Domizilwechsel“. Doch eines Tages hatte Lloyd Cole „gerade ein Flugticket nach New York in der Hand und dachte: ,Probier’s!’So einfach war das. “ In Manhattan, genauer: zunächst in Soho, jetzt im Westen des Greenwich Village fand Cole das, was er selbst lange glaubte, nicht finden zu müssen. „Wahrscheinlich“, sagt er, „fühle ich mich jetzt das erste Mal richtig zu Hause. Dieses Gefühl hatte ich bisher nur, als ich aufwuchs. In Glasgow gab es zwar Freundschaften, aber ich dachte ständig daran, am nächsten Tag einfach abzureisen. In London war ich immer außen vor. Ich hatte auch nie gedacht, daß es wichtig für mich sein könnte, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Aber es ist wichtig. „
Von seiner Band, den Commotions, hatte sich Cole, der kürzlich auch in den Ehe-Hafen einlief, schon vorher getrennt; er war es leid, den Ballast, den eine Band in punkto „Entscheidungen“ und „Verantwortung“ mit sich bringen kann, länger zu tragen. Und gute Musiker, wie etwa Robert Quine, Fred Mäher oder Matthew Sweet liegen in New York ja buchstäblich auf der Straße – oder doch zumindest auf Partys bei Freunden… „Es war sehr einfach“, kommentiert Cole sein erstes „richtiges“ Solo-Album. „Ich schrieb schneller und mehr als je zuvor – keine großen Geburtswehen mehr. “ Coles Angst, mißverstanden zu werden, führte in der Vergangenheit zu Zugeständnissen in Form von Textbeilagen und Schreibblockaden. Für EASY PIECES (1985), von Cole heute als „enttäuschend“ eingestuft, brütete er teilweise monatelang über einem einzigen Text. „Ich war viel zu sehr an der Form interessiert, wollte alles perfekt hinkriegen. Heute schreibe ich einfach, für jeden – und gar keinen. Und versuche überhaupt nicht erst, daß die Leute es verstehen – denn sie werden es ohnehin immer anders verstehen.“