U2: Seelchen mit Sorgen


Die ehemals weiße Weste war fleckig geworden. Mit gesalzenen Ticketpreisen hatten sich "die guten Menschen aus Dublin" in die Schußlinie gebracht - und als sie mit einer versöhnenden Geste die Fan-Wogen wieder glätten wollten, gossen sie nur noch mehr Öl ins Feuer. U2, meint ME/Sounds-Mitarbeiter Teddy Hoersch, klebt momentan das schlechte Karma an den Fingern - höchste Zeit für eine überfällige Pause?

Man sieht sie regelrecht vor sich, die Herren von U2: gramgebeugt unter der enormen Last ihres Erfolges, zähneknirschend das Gewicht der eroberten Rockwelt ausbalancierend. Die Taschen voll dank ihres musikalischen Kreuzzuges, doch erschöpft von der Aufgabe, ständig diesen Saustall zu misten, genervt ob der nörgeligen Kritikerfragen, überdrüssig des eigenen missionarischen Eifers.

Gut, Bono & Co. haben selbst dafür gesorgt, daß die wehleidige Geschichte der „guten Menschen aus Dublin“ so bekannt wurde wie ein populärer Bibelvers. Große Gesten, große Taten.

Und jetzt, zum Beginn der neuen Dekade, soll das alles vorüber sein?? Die britische Presse jedenfalls war und ist voll von Gerüchten, seit Oberpriester Bono anläßlich des weltweit raubkopierten Neujahrskonzertes im gewohnten Predigerton von „Pause“ grummelte. von … Ja, was genau hat er eigentlich gesagt?

Die Worte des Vorsitzenden Bono, gesprochen im Dubliner „Point Depot“ anno domini 27. 12. 1989, waren: „We’ve been aroundfor ten years, and we’ve enjoyed it. We say thank you for those who believed in us from the beginning. But we’ve got to go away for a little while. „

Da war’s also raus. Noch nicht alles, aber genug, um die Pop-Journaille aller vereinigten U2-Länder zu den Schreibmaschinen hechten zu lassen. „U2’s days numbered?“, stand etwa im englischen „New Musical Express“. Und dahinter natürlich die Gretchenfrage: Sind wir ärmer „with or without U2“? Ist es nicht wirklich, wie Bono ja selbst sagt, Zeit für eine Pause?

Überall gab es Anzeichen von U2-Müdigkeit. Zuletzt wegen der Auftritte in Dortmund (vielerorten geäußerte Kritik: zu kurz, zu teuer) sowie der vier „Point‘-Konzerte. In Dublin ließ es sich Vater Bono nicht nehmen, von der Bühne/Kanzel herab ein wenig zum Thema „Rockgeschäft“ zu referieren:

„Wir sind nicht hier“, erzählte er den 5000, „um Kohle zu machen. Auch nicht, um das Konzert per Satellit in den Rest der Welt zu beamen. Wir sind hier, weil wir für euch spielen wollen. „Lech Walesa hätte an soviel Solidarität seine helle Freude gehabt. Bei allem Wir-Gefühl war wohl Bono nicht bewußt, daß ein Rockjournalist auf dem Schwarzmarkt tausend Pfund löhnte für ein Ticket, das offiziell 36 Pfund gekostet hatte. Vergessen hatte er wohl auch, daß die von Manager McGuiness klug gelenkten Geschäfte großzügige Gesten ermöglichen, ohne dadurch zum Sozialhilfe-Empfänger zu werden: THE UNFORGETTABLE FIRE verkaufte acht Millionen Einheiten, THE JOSHUA TREE verdoppelte das Ergebnis, und RATTLE AND HUM, dieses Monster aus Film, Soundtrack und Buch, ging beachtliche neunmillionenmal über die Ladentische. Da läßt es sich gut reden und spielen.

Da kann man sich sogar erlauben, zum gemeinsamen Bootlegging, zum millionenfachen Raubkopieren aufzurufen. Denn: Die vier Dublin-Shows wurden in 17 Länder übertragen und sollen 300 Millionen Radiohörer erreicht haben. Darüber kann man sich kaum beschweren. Die Gemüter erhitzten sich allerdings, weil U2 eine vorgedruckte und herausschneidbare Cassettenkarte im irischen Rockmagazin „Hot Press“ und im englischen „Q“ verbreiten ließen. Dies, so irritierte Insider, ermutige die Hörer ja geradezu zum Raubkopieren.

Die „Hot Press“-Managerin Jackie Hayden, befragt ob dieses Cassetten-Inlay-Zwistes. brachte es auf den Punkt: „Es ist schon Ironie des Schicksals: Vor ein paar Monaten hat man U2 wegen überhöhter Ticketpreise kritisiert. Nun haben sie sich als kleines Geschenk diese Cassetten-Inlays ausgedacht – und alle fallen über sie her. Es scheint, sie können es keinem mehr recht machen. „

Schon im Vorfeld der Neujahrskonzerte hatte es Ärger gegeben. Eine Londoner Vorverkaufsstelle hatte „Point“-Eintrittskarten offeriert. Doch statt der begehrten Tickets erhielten gutgläubige U2-Anhänger unsignierte Briefe mit dem Hinweis auf eine Rückerstattung des eingeschickten Geldes. Es blieb bei leeren Versprechungen. Die Polizei wurde eingeschaltet, und es stellte sich heraus, daß die Verantwortlichen mit erheblichen Summen verschwunden waren. Sicherlich wäre es überzogen, wollte man die guten Menschen aus Dublin für die Verfehlungen irgendwelcher Kartenvorverkäufer verantwortlich machen. Aber es paßte irgendwie ins Bild der fleckig gewordenen weißen Weste, die Bono sich so gerne umwirft.

Jetzt also die Vollreinigung: Der Chef-Prediger will – wie in einem irischen Zeitungscartoon zu sehen – endlich mal die große Klappe halten. Der alte B. B. King kann wieder zufrieden seinen Blues spielen, und The Edge darf endlich die Musik für die Bühnenfassung von „A Clockwork Orange“ angehen. So betrachtet könnten eigentlich alle zufrieden sein. Oder ist das alles wieder nur ein weiterer PR-Stunt? Ein Vorheizen der großen U2-Maschine? Bono sagte zwar:

„We can’t go an like this forever“, nahm es im gleichen Atemzug aber auch wieder zurück. „It’s no big deal“, korrigierte er sich, „wir wollen nur mal pausieren und uns sammeln. “ Aus den gut unterrichteten Kreisen war zu vernehmen, daß man während der letzten Tournee fleißig Material geschrieben habe und das nächste Studioalbum für Frühjahr 1991 geplant sei.

Bahnt man seinen Weg durch das Dickicht der Spekulationen, wird eines jedenfalls klar: Die Jungs brauchen dringend eine Verschnaufpause. Wie sagte The Edge in einem Interview, das dem NME zugespielt wurde, eigentlich nur russischen Fans und Ohren galt: „Wir werden nicht gerade jetzt das Handtuch werfen. Dafür ist viel zuviel von uns selbst in dieser Band, daß wir kampflos die Sache beenden würden. „Die Länge der Pause konnte auch er nicht genau benennen. „Es können sechs Monate, aber auch zwei Jahre daraus werden, wer weiß?!“