Karma verpflichtet


An den Rollstuhl gefesselt, hat Ex-Soft Machine-Drummer Robert Wyatt den Frieden mit sich und der Welt geschlossen.

Ein verschmitztes Grinsen: „Eigentlich verstehe ich mich nicht primär als Musiker“, brummt Robert Wyatt und zupft sich am Methusalem-Bart: „Postkarten schreiben liegt mir mehr. Es ist mühsam, mit mehr als einer Person zu sprechen.“ Nach sechs Jahren Abstinenz hat sich der Ex-Drummer der englischen Avantgarde-Veteranen Soft Machine unlängst wieder auf die klingende Kunst besonnen. „Manchmal will ich die Dinge auf einen Nenner bringen, den ich nur mit Musik erreichen kann. Bloß fehlten mir diesmal die Worte. Und plötzlich merkte ich, daß in den Gedichten meiner Frau Musik steckte, die nur darauf wartete, freigesetzt zu werden.“ Das resultierende Album heißt DONDESTAN und klingt wie keine andere Pflanze im Vinyldschungel: „Palästina ist ein Land — oder wenigstens war es das einmal …“ beginnt etwa der Titelsong, und an anderer Stelle besingt Wyatt — dereinst mit einer schrägen Version von „I’m A Believer“ in den britischen Top 30 — seinen Austritt aus der Kommunistischen Partei: „Nachdem all die alten Kämpfer weggestorben waren, kümmerten sich die Jungen nur noch um gute Publicity“, lacht Wyatt dazu und schiebt die Keksdose über den Tisch. Und dann sind da noch Alfreda Benges Gedichte.

„Schnappschüsse aus dem Leben in Spanien“, wo das Paar in den 80er Jahren einige Male überwinterte — zornige Texte über das Unternehmen Kirche, oder darüber, wie der Mensch die Natur verhunzt. Und all das geschieht mit jener anklagend melancholischen Stimme, die Elvis Costello zu einem Häufchen Tranenelend reduzierte, als Wyatt seine Version von Costellos „Shipbuilding“ einspielte (Wyatts zweiter Hit). In Kombination mit Wyatts ureigener Musik, die sich oft nur auf repetitive Piano-Phrasen, Harmoniumdröhnen, verfremdete Körpergeräusche und wirbelnde Trommelklänge beschränkt, formiert sich da eine seltsame Ganzheit, die zugleich schmerzt und ungemein freudvoll stimmt. „Die Texte handeln von Dingen, die mich berühren, aber ich hoffe, daß die Lieder mehr vom Klang der Musik leben. Im Grunde geht es mir darum, die Stimme wie ein Instrument in die Atmosphäre der Musik einzufitgen.“

„Ich kaufe wenig Platten, aber ich verfolge viel Zeitgenössisches durchs Radio, wie ein musikalisches Feuerwerk. “ Sagt’s, und beginnt in einem Papierstapel — zuoberst das Neuwerk des Sozialphilosophen Noam Chomsky —. nach dem Zettel zu kramen, auf dem er gestern Abend ein paar Namen notierte, die er sich merken will. Ausschließlich Rap-Künstler sind es. „Ich finde Public Enerny ganz fäbulös“, schwärmt Wyatt und distanziert sich damit wohltuend von der wachsenden Liga abgetakelter Althippies, die so gerne über den Zerfall musikalischer Werte wettern. Dabei könnte er gemäß Alter und Herkunft schon längst Aufnahme darin finden. Hat er doch als Ex-Trommler von Soft Machine, wo er unter anderem als Support der Jimi Hendrix Experience 1968 durch Amerika tourte, manches Magengeschwür nachfolgender Jazz-Rocker auf dem Gewissen, die mit letzter Kraft noch vertrackter grooven wollten. Seine eigene Band Matching Mole machte stillere, doch nicht weniger schräge Sounds. ROCK BOTTOM hieß dann sein erstes Soloalbum, das Wyatt nach dem tragischen Sturz aus dem Fenster veröffentlichte, der ihn seit 1973 an den Rollstuhl fesselt. Es markierte ein grundsätzliches Umdenken und war der erste Schritt auf seiner Suche nach dem Lied: „Früher wollten wir nur so verrückt wie möglich sein. Erst, als ich immer stärker das Bedürfnis verspürte, zu singen, konnte ich das Essentielle suchen. Ich machte mir keine Sorgen mehr, ob die Musik originell war oder nicht. Meine Stimme ist schon ,anders‘ genug.“ Aus unseren Tassen dampft der Tee, Robert Wyatt lehnt sich zurück und lächelt zufrieden. Ein erfahrenes Wort zum Schluß? „Die meisten Journalisten fragen mich immer nach Erinnerungen an die 60er Jahre. Eines will ich jetzt mal sagen: Nicht nur Hendrix hat damals die Experience ausgemacht, Mitch Mitchell und Noel Redding waren genauso wichtig. Doch das will wohl heute eh‘ keiner mehr hören.“