Trauerarbeit


Eric Clapton hätte Grund, mit den Göttern zu hadern. Gerade als der Ex-Junkie wieder Boden unteren Füßen gefunden hatfe, riß der Tod seines vierjährigen Sohnes neue Wunden

So trivial es klingen mag: Eric Clapton hat gelernt, mit Schicksalsschlägen zu leben. Wenn nicht -— an diesem wäre er wohl zerbrochen. Trotzdem war es überraschend, daß er sich an diesem Tag in Mailand bereitwillig europäischen Journalisten stellte, um sein Live-Album „24 Nights“ zu promoten. Überraschend, zumal Zurückhaltung beim stets interviewscheuen Clapton nicht einmal vonnöten war: So offen und mitteilsam hatte man ihn lange nicht mehr erlebt.

„Die einzige Möglichkeit für mich, mit dem Tod meines Sohnes fertigzuwerden, war Arbeit, war Musik. Ich habe nun mal keine andere Art, mich auszudrücken. Das ist mein Leben, und zwangsläufig ist meine Musik davon betroffen. Wenn ich meine Gitarre nehme und einen Song schreiben will, ist mein Sohn der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schießt. Folglich ist ihm auch mein nächstes Album gewidmet; sechs Songs sind bereits fertig. Songs zu schreiben, hat eine heilende Wirkung auf mich. Nur so gelingt es mir, nicht ständig von der Trauer erdrückt zu werden, denn nichts hat mich je so mitgenommen wie der Verlust von Conor. „

Kein Zweifel, da spricht jemand, der mit sich einigermaßen im Reinen ist, innerlich aufgeräumt und mit neuen Kräften bereit, dem Schicksal die Stirn zu bieten. Es reicht sogar schon dazu, Kollegen moralisch aufzubauen, die selbst Zuspruch bedürfen. Gerade hat er George Harrison überredet, endlich wieder live aufzutreten. „George hat tausend Vorbehalte gegen Tourneen, er hat vor allem Zweifel an seinen Fähigkeiten als Musiker. Dabei wollen ihn so viele Leute sehen, und ich weiß nun mal, daß er auch live großartig ist. Letztlich hat er gesagt: ,OK, wenn du mir hilfst, mache ich es‘.“

Ein Experiment, bei dem Clapton und Harnson auf die inzwischen bewährte Live-Band Claptons zurückgreifen, ergänzt durch Andy Fairweather-Low als zusätzlichen Gitarristen.

Steve Ferrone (dr), Nathan East (b) und Greg Phillinganes (key) bezeichnet Clapton nicht ohne Stolz als „meine Band“, denn ihr Qualitäts-Standard macht eigentlich die ständig nachgefragte Cream-Reunion überflüssig. „Man soll niemals nie sagen“, erklärt Clapton geduldig und diplomatisch. „Aber wenn man beispielsweise mit einer Frau verheiratet ist, die man sehr liebt — würde man die wegen einer anderen, einfach nur hübschen Frau aufgeben? Anders ausgedrückt: Würde meine Musik mit Ginger Baker und Jack Bruce besser werden als die, die ich jetzt mache?

Ich liebe meine jetzige Band, die Musiker sind meine Freunde. Der absolut erste Mensch, der nach dem Unglück mit meinem Sohn zu mir kam, war Steve Ferrone. Sowas kann ich nicht vergessen. Das sind jetzt meine engsten Freunde. „

Daß dieses intensive Verhältnis über ein bloßes Arbeitsverhältnis hinausgeht, bewies schon der gemeinsame Neu-Anlauf zum Live-Album „24 Nights“, das kurz vor dem ursprünglichen Veröffentlichungstermin von Clapton gestoppt wurde. „Ich hörte mir die Bänder wieder und wieder an, und es war einfach nicht gut genug. Damit meine ich nicht die Band. Mal war es mein Gesang, mal meine Gitarre. Deshalb haben wir diesmal nicht — wie früher — nur drei, sondern alle 24 Nächte aufgenommen. Wir haben wirklich nur das Material ausgewählt, das ohne Abstrich gut ist. „

Clapton, der Perfektionist. Ein Trademark, das in den vergangenen Jahren stetig an Gewicht gewonnen hat. Nicht zuletzt deshalb, weil sich Clapton nicht mit dem Status als „lebende Legende“ zufrieden gab, sondern ständig die Bestätigung und den allabendlichen Beweis im Konzert sucht. Seine Konzerte in der Londoner Royal Albert Hall (wo auch die „24 Nights“ mitgeschnitten wurden) sind inzwischen so etwas wie die Salzburger Festspiele: alle Jahre wieder.

„Alle Beteiligten sind merklich entspannter, wenn man mehrere Abende hintereinander an einem Ort spielen kann. Reisen kostet Nerven, und irgendwie wirkt sich das auch auf die Musik aus. Aus der Royal Albert Hall wollte ich für diese Abende einen richtigen Club machen, ohne diese kulturell wertvolle Atmosphäre. „Wobei die Titel mit Sinfonie-Orchester nun aber nicht gerade Assoziationen an einen gemütlichen Club wecken …

„Es ist aber einfach ein großartiges Gefühl, mit einem Orchester im Rücken zu spielen. Es ist wie eine geballte Kraß. Ich liebe den Klang meiner Gitarre in Verbindung mit einem Orchester. Ein aufregendes Gefühl.‘ 1 Clapton ist vom ehemaligen Rock ’n“ Roller längst zu einem kultivierten Botschafter britischer Lebensart geworden. Drogen und Alkohol sind für ihn kein Thema mehr. „Man darf auf Tourneen nur nie das Gefühl haben, ganz allein zu sein. Man muß immer diese Leere füllen können, die einen Musiker nach der Show packt. Das können dann natürlich Alkohol oder Drogen sein, denn irgendjemand hat immer irgendetwas parat. Ich habe gelernt, ruhig zu bleiben, mich nach Konzerten erstmal zu entspannen und dann im Hotel jemanden anzurufen, den ich liebe. Das ist besser als alle Drogen.“

Seinem kreativen Output ist die Abstinenz jedenfalls gut bekommen. Mehr denn je ist Clapton unter Kollegen ein gefragter Studiogast — von Dylan bis Buddy Guy und Bon Jovi reißt man sich um das griffige „Slowhand“-Solo. Was am Clapton-Denkmal vielleicht noch fehlt, wäre ein veritablesBlues-Album…

„Wenn ich Gitarre spiele, kann ich mit jedem Stil arbeiten“, sagt er. „Samba, Bossa Nova, was immer. Instinktiv aber spiele ich immer Blues. Andererseits ist mein Kopf so etwas wie eine mentale Musikbox: A lies von Mozart bis Buddy Holly steht vor meinem geistigen Auge — und ich will immer ein bißchen von allem sein. Deswegen ist ein sogenannter Blues-Boom ßr mich auch nicht von Interesse. „

Da hört er sich lieber Blues-Alben an, denn Muddy Waters, Howlin‘ Wolf und Robert Johnson sind via Walkman nach wie vor seine ständigen Tourneebegleiter. Als Lieblingsalbum aus eigener Produktion nennt Clapton sein „Bluesbreakers“-Werk mit John Mayall. Doch all das gehört der Vergangenheit an. Selbst für ihn ist Blues mit einem Hauch historischer Patina behaftet. In der Gegenwart zieht es Clapton immer häufiger nach Italien, und auch der Interview-Ort Mailand ist nicht zufällig gewählt. Seine Lieblingsmaler sind Italiener, sein Modegeschmack (Versace!) ist bekanntermaßen italophil, ebenso wie seine kulinarischen Vorlieben. Kein Wunder, daß Clapton sogar mit dem Gedanken spielt, einen Wohnsitz in Mailand einzurichten. Die Nase voll vom Londoner Regen?

„Nein, ich wohne jetzt wieder in London. Nach dem Tod meines Sohnes in New York hatte ich das instinktive Bedürfnis, in meine Heimat zuriiekzukehren. Und London tut mir gut: Ich bin viel unter Leuten, gehe essen, ins Kino, ich kapsele mich nicht ab. „

Clapton ist auch musikalisch ein Mensch, der sich viel und gern mit Alben und Ideen von Kollegen auseinandersetzt. Mark Knopfler und Sting gehören zu seinen Favoriten, auch Robbie Robertson.

„Mit ihm würde ich gern einmal etwas auf die Beine stellen, aber wir liaben völlig gegensätzliche Arbeitsweisen: Robbie tüftelt lieber abgeschieden und einsam vor sich hin, ich brauche immer jede Menge Leute um mich. Aber wer weiß, vielleicht…“