Die Haut zu MTV tragen


Okay, am Image habe man etwas gefeilt. MTV zuliebe. Sie selbst, beteuert Melissa Etherldge, sei aber sie selbst geblieben

„Yeah! I WANNA BE A STAR“, strahlt sie mich an. „Seit ich drei Jahre bin. Ich will Prinzessin Di mal die Hand schütteln. “ Damit sind die Prioritäten schon mal klar.

Wir sitzen im Büro ihres Managers in Rufweite der Hollywood-Filmstudios und besprechen Melissas neue Scheibe „Never Enough“, die gelungener — weil/obwohl kommerzieller — ist als ihre beiden Vorläufer. Irgendwo paßt die kleine Person nicht so recht in die gediegene Edelholz-, Marmor- und Leder-Umgebung. Obwohl sie sich sichtlich bemüht. Die fransigen Haare von damals lassen inzwischen deutlich die Handschrift eines Hairstylisten erkennen.

Vor sieben Jahren hatte sie das große Los gezogen: Island-Chef Chris Blackwell fischte sie aus einem der tausend Winz-Clubs von Los Angeles und gab ihr grünes Licht und einen prächtigen Vertrag. Das ist inzwischen ein Weilchen und mehrere Millionen Platten her, und das alte, bequeme Lederjackett mußte einer lilafarbenen Seidenjacke Platz machen.

Geblieben sind ihre braunen, lustig aufblitzenden Augen. Geblieben ist ihre Rotznasigkeit. mit der sie auf meine Fragen antwortet. Ungeachtet ihrer Ambition, es endlich richtig zu schaffen, hat sie sich immer noch keine Allüren zugelegt. Geblieben sind auch die zerrissenen Jeans und die schweren schwarzen Stiefel, die sie demonstrativ auf den .^ teuren Marmortisch -^V‘ kg 1 -Ver „

anderungen gab’s trotzdem. Nicht nur musikalisch, sondern auch optisch. Das Image wird nun von teuren Fotographen gepflegt. Schließlich lockt MTV, und damit der heiß ersehnte Durchbruch auf dem millionenschweren amerikanischen Markt.

Vielleicht ist sie dafür einfach nicht leichtverdaulich genug?

„Vielleicht nicht…“, murmelt sie und schaut auf ihre neuen Fotos, die auf dem Tisch liegen. „Aber damit habe ich vielleicht eine bessere Chance.“ Sie zuckt die Achseln. „MTV haben wir noch nicht knacken können. Die konnten mit mir noch nicht viel anfangen.“

Ein unscheinbares Mädchen, das gröhlt wie eine versoffene Schlampe — wie sollen die glattgebürsteten MTV-Kids sowas auch einordnen können?

„Okay“, meint sie trotzig. „Früher war ich eben der Singer/ Songwriter mit der alten Lederjacke und habe in kleinen Clubs getingelt. Damals hatte ich nur eine Gitarre. So war ich eben damals, so war auch meine Musik. Mein neues Album ist das einer Frau, die letztes Jahr 30 geworden ist, die inzwischen in großen Hallen spielt. Ich bin erfahrener, mache mehr Kohle — und ich habe eben heute auch die Möglichkeit, musikalisch mehr zu machen. Ich lege mehr Wen auf mein Aussehen, ob meine Haare gewaschen sind oder ob ich schon wieder drei Kilo zugenommen habe. Aber das sehe ich als eine absolut normale Entwicklung. Wenn ich Sekretärin wäre, hätte ich mich auch so verändert. „

Nun macht ne Sekretann nicht unbedingt Rock „n‘ Roll. Zudem zeichneten sich ihre Songs immer durch eine geradezu brutale Ehrlichkeit aus. Etheridge scheute sich nie, ihren persönlichen Schmerz aus sich herauszubrüllen. Ist sie wirklich noch dieselbe? Gibt vielleicht nicht doch diese Ehrlichkeit auf, um nur ja nicht die US-Kids zu verschrecken?

„Nie! Ich leide vielleicht nicht mehr den gleichen Schmerz wie früher. Aber ich fühle immer noch den Schmerz, den brauche ich, um schreiben zu können. Ich habe meine Dämonen noch nicht besiegt, aber heule erkenne ich sie. „

Sie nimmt ihre Füße vom Tisch. „Songs schreiben und auf der Bühne stehen sind ßr mich wie Therapie. Vor zelinlausend Leuten zu stehen, ist ßr mich der sicherste Platz auf der Welt. „

Aber sie hat auch noch Pläne, die Lehrerstochter aus Kansas, deren Eltern ihr eine Gitarre kauften, nachdem sie tagelang Steppenwolfs „Magic Carpet Ride“ auf Muttis Tennisschläger spielte. Als nächstes Ziel hat sie sich Filmruhm gesetzt. Sie will Schauspielerin werden.

Ach ja: Melissa übt auch den Knicks. Man weiß ja nie, vielleicht klappt’s mit Lady Di doch.