It’s showtime: U2 starten in die Zukunft
LAKELAND. Eine Kleinstadt im Herzen von Florida. Kaum hunderttausend Einwohner, flaches Land, jede Menge Zitronen. Hier, im kühlen Ambiente des unscheinbaren Civic Center, das normalerweise Viehauktionen beherbergt, soll also der Startschuß zur Welt-Tournee fallen?
Wie nie zuvor hat man sich auf diese Tour vorbereitet: zwei Monate Proben in Irland, zehn Tage Feinabstimmung in Florida, zwei komplette Generalproben. Die Vorsichtsmaßnahmen hatten ihren Grund: Anders als bei den letzten, optisch eher dezenten Tourneen fahren U2 diesmal schwere Show-Geschütze auf: Sieben Trabbis über der Bühne werfen gespenstische Lichtstimmungen auf die Band; drei TV Monitortürme, eine ausfahrbare Leinwand, 20 Fernsehgeräte, u.a. live gespeist von einer Satellitenschüssel, sorgen für ein Multimediaspektakel der Superlative (für dessen Realisierung man sich der Unterstützung ihres alten Freundes Brian Eno versichert hat). Für U2 technologisches Neuland, das man offensichtlich nur mit einigem Herzklopfen betrat.
Nicht zuletzt deshalb geht man in punkto Hallengröße vorerst auf Nummer Sicher: Im ersten Teil der Tour (bis Ende April) gibt’s statt Stadien nur mittelgroße Hallen; erst danach will man. mit erweitertem Bühnenbild, den Sprung in die Arenen wagen.
Lakeland stimmt sich, den völlig deplazierten Pixies im Vorprogramm zum Trotz, mit La Ola-Wellen auf das Ereignis ein. Punkt Neun, das Hauslicht brennt noch, schleicht sich Bono auf die Bühne. Allein, ganz in Leder. Angst und Augen hinter ultramodernen Ray-Bans versteckt. Ohne Begleitung eröffnet er, vom frenetischen Jubel fast übertönt, die „Zoo TV“-Tour mit einer irischen Volksweise, um dann aber mit „Zoo Station“ alle „Raule & Hum“-Bodenstandigkeit hinter sich zu lassen. Kraftvoll und laut gehören die ersten Minuten allein der Geeenwart:
„One“, „Even Better Than The Real Thing“. „Until The End Of The World“. „Who„s Gonna Ride Your Wild Horses“ oder „Mysterious Ways“ — ein Sound wie aus einem Guß. Obligatorisch Bonos Bad in der Menge, die Verbrüderung mit den Zuschauern.
Nach acht Songs aus „Achtung Baby“, live überzeugender als auf Album, ist das Eis endgültig gebrochen; „Angel Of Harlem“ eröffnet das langerwartete Schwelgen in der erfolgreichen Vergangenheit. Über den Laufsteg auf die zweite Bühne, mitten zwischen die Fans. Zurück
aus der fiktiven Fernsehwelt in die Rock ’n“ Roll-Realität. Lou Reeds „Satellite Of Love“ und „Not Fade Away“ von den Stones; zwei Coverversionen, und dann, endlich die stürmisch geforderten Klassiker aus „The Joshui» Tree“.
Statt Leder nun Seide — Bonos Garderobe wechselt mit den Stimmungen der Songs. „Where The Streets Have No Name“, „With Or Without You“, „I Still Haven’t Found What I’m Looking For“. Doch die Auswahl der Songs ist mehr als ein Zugeständnis an die Fans. Das irische Kleeblatt wirkt homogener denn je zuvor, greift souverän auf das Repertoire aus allen Schaffensphasen zurück (wobei allenfalls die frühen Songs wie „Sunday Bloody Sunday und „Gloria“ durch Abwesenheit glänzen).
Die drei Zugaben bestreitet Bono mit unverkennbarer Selbstironie. Im Glitzeranzug bietet der kleine Mann der großen Gesten seinen hämischen Kritikern die Stirn. Wenig päpstlich wirft sich das Objekt weiblicher Begierde in Elvis-Pose und verabschiedet sich mit einem süffisanten „All 1 Want Is You“.
Nach der musikalischen Vergangenheitsbewältigung von „Rattle & Hum“ ist die „Zoo TV“-Tour für U2 definitiv der Aufbruch in ein neues Jahrzehnt. Der Start zumindest hat geklappt.
„Das Monster, so ein erleichterter Manager Paul McGuinness.
„hat abgehoben und fliegt.“