Musik & Zensur: Segen oder Fluch?
Während hierzulande Nazi-Rocker "Deutschland den Deutschen" und "Türken raus" grölen, provozieren in Amerika Gangsta-Rapper Bürger und Behörden mit gewaltverherrlichenden Texten. Folge: Der Ruf nach Zensur wird — zumindest in den USA — immer lauter. Doch schaffen Verbote das Problem aus der Welt? Hier der ME/Sounds-Report zum Stand der Dinge.
Als nach monatelangem Gerüchteköcheln am 27. September ’95 offiziell verkündet wurde, daß der Piattenfirmengigant Time-Warner seine 50%ige Teilhaberschaft an Interscope Records für 115 Millionen Dollar zurück an die Interscope-Gründer Jimmy lovine und Ted Field verkaufen würde, waren die Reaktionen geteilt: Manche feierten die Trennung als Sieg der Moral, andere sahen es als Kapitulation einer ehemals künstlerfreundlichen Firma vor konservativen Kräften an. Aber man mußte sich noch nicht einmal auf eine der beiden Seiten schlagen, um zu sehen, daß am Ende der große Verlierer Time-Warner selbst war.
Die Warner Music Group (WMG) ist die zweitwichtigste Einnahmequelle von Time-Warner. Mit seinen drei Hauptfirmen Atlantic, Elektra und Warner Bros, ist WMG die größte Plattenfirma der Welt. Mit tausenden Bands, Musikern und Künstlern verschiedenster Stilrichtungen unter Vertrag, ist der Mogul nicht nur Adressat für unzählige Erfolgsmeldungen, sondern automatisch auch leicht zu treffende Zielscheibe für jegliche Kritik an zeitgenössischer Musik. Die Herdplatte unter dem Hintern von WMG wurde erstmals so richtig 1992 angeheizt, als Ice-T den Song ‚Cop-Kilier‘ veröffentlichte. Vom kleinkarierten Spießbürger bis hin zum Vizepräsidenten Dan Quayle wetterte die gesamte amerikanische Reaktion mit Schaum vor dem Mund gegen Time-Warner, weil sie es zuließen, daß ein Gangsta-Rapper ungestraft zum Polizistenmord aufrufen durfte. Natürlich war das eine oberflächliche, unfaire Behandlung des eigentlichen Themas des Songs, aber es war so wunderbar einfach. Mit einem Streich konnten Quayle & Co. Millionen von potentiellen Wählern hinter sich vereinigen, im Kampf gegen Gangsta-Rap und seine angeblichen Folgen – Gewalt, Verbrechen, Drogen und sexuelle Ausschreitungen. Es war nicht nur einfach, sondern auch überaus erfolgreich: Time-Warner gab der Kritik nach und zwang Ice-T dazu, den ‚Cop-Killer‘ vom Album zu nehmen.
Ice-T gehorchte, rächte sich aber, indem er sich von Warner Bros, verabschiedete und seine eigene Plattenfirma gründete. „Ein trauriger Tag für Warner“, resümmierte Ice-T damals. „Diese Firma war ehemals für absolute künstlerische Freiheit bekannt. Nun geben sie dem Ruck von politischen Parteien nach.“
Welch prophetische Aussage drei Jahre nach der ‚Cop-Killer‘-Affäre sitzen zwar nicht mehr Bush und Quayle, sondern Clinton und Gore im Weißen Haus. Dennoch, das politische Klima in den USA ist alles andere als liberal oder gar links. Denn: Im Senat haben seit langem die Republikaner die Mehrheit. Sie sind eine nicht heimliche, sondern unheimliche Macht, die die USA langsam aber sicher auf eine zweite McCarthy-Ära zusteuert – als künstlerische Zensur nicht die Ausnahme, sondern die Regel darstellte.
Daher war es auch nicht weiter verwunderlich, daß man bei Time-Warner schutzsuchend die Hände über dem Kopf zusammenschlug, als im Juni ’95 der republikanische Präsidentschaftskandidat Bob Dole ausgerechnet dieses Unternehmen als Opfer für seine Haßtiraden auserkor. Time-Warner, so Dole, seien führend, wenn es um die Verbreitung von Derbheiten und Gewalt ginge. Doles Kritik traf auf eine schon extrem angeschlagene Time-Warner-Führungsspitze und hatte deshalb gleich die doppelte Sprengkraft.
Doch lautstarke Kritik gegen Time-Warner war bereits vor Bob Dole laut geworden. Gemeint waren damit allen voran die Gangstas vom Death-Row-Label, einer Tochtergesellschaft von Interscope. Seit Gründung des Labels durch Andre „Dr. Dre“ Young und Marion „Suge“ Knight im jähre 1992, rappten dort Gangstas wie Tupac Shakur, Snoop Doggy Dogg und Dr. Dre fröhlich und überaus erfolgreich über Bitches, Drogen, Sex und Drive-By-Shootings – und waren damit den Moralaposteln ein besonderer Dorn im Auge.
Time-Warner war bis dato recht zufrieden mit seiner Interscope/Death-Row-Partnerschaft. Interscope war seit Gründung im Jahre 1990 mit 1,9% Marktanteil am US-Markt (und damit erfolgreicher als alteingesessene Labels wie EMI oder Motown) zu einem gewinnträchtigen Label herangewachsen. 111 Millionen Dollar Umsatz verbuchte Interscope 1994, 28 Millionen Dollar davon allein durch Death-Row. Doch spätestens nach Doles Attacken gingen bei Time-Warner die Alarmglocken los, der Firmenriese betrachtete mit einem Mal seine Kooperation mit Interscope in einem ganz neuen, düsteren Licht. Der nächste, absolut unausweichliche Schritt konnte nur lauten: Die Loslösung von Interscope. Denn lieber mit verbranntem Pelz davonkommen, als weiterhin der Sündenbock der Industrie zu sein. Time-Warner wird auf alle Fälle bis Ende 1996 Interscope-Alben auf einer „Album-zu-Album“-Basis vertreiben, d.h. sie stellen nur Alben in die Läden, die ihnen inhaltlich unbedenklich erscheinen. Und auch das nur bis auf weiteres. Die Reaktionäre Amerikas haben dadurch aber schon jetzt weit mehr als einen Teilsieg davongetragen.
Auch in Deutschland stellt sich seit einigen Jahren die Frage nach künstlerischer Zensur zum Schütze der lugend und des demokratischen Rechtsstaats immer heftiger, wenngleich die gesellschaftlichen Verhältnisse völlig andere sind. Statt „Gangsta-Rapper“ lautet das Synonym für den Verfassungsfeind hier in erster Linie: „Nazi-Rocker“.
Die Rede ist von Bands wie Oithanasie, Kraft durch Freude, Kroitzfeuer, Kraftschlag, Störkraft oder Stuka. Deren Platten heißen ‚Volkstreu‘, ‚Retter Deutschlands‘, ‚Dreckig, kahl und hundsgemein‘ oder ‚Hundert Mann und ein Befehl‘. Und wenn sie ihre Texte in die Mikros gröhlen, klingt das zum Beispiel so: „Für die Reinheit unserer Rasse sind wir bereit, zu den Waffen zu greifen/es kommt unsere Zeit, für Deutschland und Europa, so soll es diesmal sein/für die Wiedergeburt des Guten, stolz, weiß und rein.“ Was Kraftschlag da in ihrem Stück mit dem bezeichnenden Titel ‚Trotz Verbot nicht tot‘ singen, ist Motto einer stetig wachsenden Untergrundbewegung: Nazirocker machen mobil – immer aggressiver, immer hemmungsloser und mit immer mehr Zuspruch bei der einheimischen Jugend. Nach Deutschland schwappte die braune Rock & Roll-Welle vereinzelt bereits Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre. Obenauf ritt damals die erste Kultband der hiesigen rechten Szene, die mittlerweile hinreichend bekannten und – laut eigenen Angaben – bekehrten Böhsen Onkelz. In deren Gefolge wurden die Reihen fest geschlossen: Wotan, Radikahl und alles, was die rechte Fantasie sonst so hergab und eine Gitarre halten konnte, betrat die Bühne.
Obskure Firmen wie „Rock-O-Rama“ oder „Skull Records“ sorgten dafür, daß mehr als fragwürdige Lieder verbreitet wurden wie ‚Schwarzweiß-rot‘ von Oithanasie. Textauszug: „Der Stiefelhagel kündigt an, den Donnerhall der Rache/ es ist soweit, auf auf zum Kampf.“
Die Frage, die sich stellt: Sind hier dummdreiste Dumpfbacken, peinliche Provinz-Provokateure oder sinistre Systemveränderer am Werk? Und soll man deren Arbeit ohne Wenn und Aber zensieren oder nicht? Schließlich hat bislang alles, was von staatlicher Zensur betroffen war, weit mehr Aufmerksamkeit und Auflage! – bekommen, als ihm oftmals zustand.
Diese Fragen stellen sich heute jedenfalls aktueller denn je. Beantwortet werden sie u. a. von einer Analyse des hochoffiziellen Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 15. September 1995: „Protagonisten der jüngeren organisierten rechtsextremistischen Szene, die sich nicht als Teil der Skinhead-Subkultur verstehen, engagieren sich im Skinhead-Musikgeschäft. Ihr Interesse gilt der ideologisch-indoktrinären Beeinflussung der lugend und dem Erwirtschaften von Finanzmitteln für die politische Arbeit.“ Konkret: Gesinnung und Geschäft sind am äußersten rechten Rand längst eine unheilige Allianz eingegangen.
Grund genug für die „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften“ in Bonn, sich Tag für Tag durch Berge von Tonträgern und Videofilmen, Computer- und Videospielen, Büchern und Comics, Laserdiscs und CDs zu wühlen, immer auf der Suche nach Dingen, die „die geistige und seelische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen stören“ könnten.
Rechtliche Grundlage hierfür ist der Paragraph 1 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften. Darin heißt es in schönstem Amtsdeutsch: „Schriften, die geeignet sind, Kinder oder Jugendliche sittlich zu gefährden, sind in eine Liste aufzunehmen. Dazu zählen vor allem unsittliche, verrohend wirkende, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhaß anreizende sowie den Krieg verherrlichende Schriften.“ Erweitert wurde dieser Katalog im Lauf der letztenJ)ahre um „geschichtsverfälschende NS-Medien“ und um „Medien, die den Drogenkonsum verherrlichen und verharmlosen“. Vom Prinzip her wird also kein Unterschied gemacht, ob Die Ärzte von ‚Geschwisterliebe‘ singen, Linval Thompson bekennt: ‚I Love Marijuana‘, das Anthrax-Cover von ‚Fistful Of Metal‘ neue Grenzen der Geschmacklosigkeit definiert oder ob die Nazi-Rocker von Radikahl ‚Rache für Hess‘ fordern.
Das Publikum allerdings macht diese Nuancierung sehr wohl, wie die unterschiedlichen Verkaufszahlen zeigen. Aber nicht die Bundesprüfstelle. Dort stellt man sich auf den – juristisch wasserdichten -Standpunkt, daß Indizierung kein Verbot, also auch nicht Zensur bedeutet.
„Es geht lediglich um eine Einschränkung nach dem Jugendschutzgesetz“, sagt Wilfried Schneider, Sozialarbeiter der Bundesprüfstelle. Das heißt, indizierte Schriften, Filme und Tonträger dürfen Kindern und Jugendlichen nicht zugänglich gemacht werden, Erwachsenen dagegen sehr wohl. 150 CDs, Platten und Musikkassetten stehen gegenwärtig auf dem Index, mehr als zwei Drittel davon eindeutig aus dem rechtsradikalen Lager.
„Heil dem Führer, Heil dem Volk, Heil dem Reich, auf in den Krieg“ verglichen mit solchen Textzeilen nimmt sich das, worüber sich die sogenannte „moral majority“ jenseits des Großen Teiches seit jeher in der Rock- und Black-Music-Szene erregt, weitgehend harmlos aus. Gut, über ‚Copkiller‘ mag sich streiten lassen,
doch meist ist das Etikett „parental advisory, explicit lyrics“ auf den Alben lediglich zusätzliches Verkaufsargument. Getreu des alten Mottos: „Was ich nicht darf, macht mich erst scharf.“
Gerade mal etwa fünf Prozent des Materials, das bei der Bundesprüfstelle auf dem Schreibtisch landet, ist laut Schneider der rechten Szene zuzuordnen sind. Das nimmt sich auf den ersten Blick eher harmlos aus. Doch der Schein trügt.
Schließlich enthält der aktuelle Index 2508 Videofilme, und neben Splatter-Movies und Porno-Streifen geht’s bei Computerspielen und auf CD-Rom (‚Ariertest‘, ‚Nazi-Demo‘), in Broschüren und Fanzines (‚Frontkämpfer‘, ‚Volkstreue‘) und selbstredend auf Schallplatten und CDs häufig richtig zur Nazi-Sache: „In Rostock und Hoyerswerda und bald im ganzen Land/da kämpfen deutsche Skinheads, den Molli in der Hand./ Und das Asylheim brennt, und das Asylheim brennt/die ganzen Scheiß-Asylanten, die rennen schnell davon/und langsam, da begreifen es auch die Herren in Bonn./Und morgen, da brennt Bonn, und morgen, da brennt Bonn.“ Ein deutlicherer und menschenverachtender Text als jener der Gruppe Landser scheint kaum denkbar. Und doch wird einiges von dieser „Qualität“ allen Erntes veröffentlicht.
„Die Verbreitung solcher Platten findet über Mailboxen oder bei Konzerten statt“, so Bodo Becker, Pressereferent beim Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz. Und die Alben werden dann aus dem europäischen Ausland fleißig nach Deutschland importiert.
Becker: „Vor allem aus Skandinavien, wo der Tatbestand der Volksverhetzung völlig unbekannt ist.“ Einschlägige Adressen gibt es ebenfalls in Belgien, Frankreich, England oder Tschechien. Auch bundesdeutsche Hersteller setzen mittlerweile auf die für sie ungefährlicheren ausländischen Vertriebssysteme. Analyse der Verfassungsschützer: „Zwar haben die vielfältigen staatlichen Maßnahmen die Handlungsfähigkeit der rechtsextremistischen Skinhead-Szene eingeschränkt, nicht jedoch die sich ständig verändernde Szene völlig lahmlegen können.“
Derzeit ist der Trend in der rechten Szene sowieso eher ein Rückzug in den Untergrund. Ein Rückzug in bemerkenswert schlechte Musik übrigens: Ein Heft aus der Reihe „Beiträge zur Inneren Sicherheit“ enthält zum Beispiel eine detaillierte Auflistung von Skinheadbands. Darin wird auch eine Combo namens Klotz erwähnt: „Aufgrund mangelnder Spieltechnik trotz neonazistischer Texte wohl keine ernstzunehmende Polit-Band“, heißt es da. Schwachsinnige Texte von Deutsch-Nationalen also, die nicht mal richtig Deutsch können. Und rocken auch nicht. Wie absurd!