Teamarbeiter
Dem westfälischen Label Glitterhouse haben wir viel zu verdanken: Grunge, Gitarrenrock und guten Geschmack.
Eigentlich ist es ja nicht besonders nett, als „hinterwäldlerisch“ bezeichnet zu werden. Reinhard Holstein kennt die großstädtischen Vorbehalte gegen den Standort seines Labels, doch er hat dafür nur ein Lächeln übrig: „Klar, das hier ist der Hinterwald. Wenn du auf Konzerte fahren willst, mußt du nach Hannover, Dortmund oder Kassel – und da will eigentlich auch niemand hin.“ Die Rede ist von Beverungen, gelegen im Länderdreieck von NRW, Hessen und Niedersachsen. Am Rande der Kleinstadt residiert in einer idyllischen Villa Kunterbunt direkt am Ufer der Weser die Plattenfirma Glitterhouse. Die bewegte Geschichte des Labels begann vor über 15 Jahren, als Reinhard Holstein in Eigenregie das inzwischen legendäre Fanzine „The Glitterhouse“ auf die Beine stellte, um seinem Musikgeschmack ein Forum zu geben: „Sixties-Garage, Ausläufer des Punk, schräger Folk und Artverwandtes“, umreißt Holstein knapp sein damaliges Programm. Zusammen mit Mitbegründer und Vizepräsident Rembert Stiewe („Unsere damaligen Freundinnen waren Schwestern“) trieb er das Projekt voran, weg vom zeitund kostenaufwendigen Hobby, hin zur Plattenfirma. Nach zwei Jahren schließlich stand mit „Sound Of The Young Soul“ die erste Vinylveröffentlichung ins Glitterhouse, die Compilation-LP“The DeclarationOf Fuzz“ legte dann den Grundstein für den Kultstatus der störrischen Westfalen. Weiter ging’s mit basisnahen Platten von deutschen Underground-Bands wie Surfin’Dead, The Strangemen, Shiny Gnomes oder Broken Jug – komplett ohne kommerzielle Absichten, dafür aber mit um so mehr Glaubwürdigkeit, bis 1987 das Nischendasein ein abruptes Ende fand: Holstein wurde auf ein amerikanisches Label aufmerksam, flog rüber nach Seattle, und „prompt hatten wir den Vertrag für eine Lizenzkooperation mit Sub Pop in der Tasche. Das waren auch einfach nur zwei Typen, die in ihrer Wohnung vor sich hinwerkelten“, sagt Holstein heute. Sub Pop war die Keimzelle des Grunge, und Glitterhouse avancierte durch Acts wie die Proto-Grunger Mudhoney, The Walkabouts, Big Chief oder die Afghan Whigs zum Zündfunken des Hypes auf dem europäischen Festland. „Es war die Musik, an die wir immer geglaubt hatten“, meint Rembert Stiewe, „und plötzlich stellte sich heraus, daß wir recht gehabt hatten.“ Kräftiger Rock in Holzfällerhemden boomte, und Glitterhouse boomte mit. Parallel zur Zusammenarbeit mit Sub Pop wurden von Beverungen aus auch Produkte des amerikanischen Noise-Labels Amphetamine Reptile vermarktet (u.a. Helmet), bis sich die Insassen von Glitterhouse partout nicht mehr mit dem Programm der amerikanischen Partner identifizieren konnten und den Vertrag 1995 lösten. Musikalisch gereift und innovationsorientiert machten sich die Westfalen daran, dem Label neue Richtungen zu erschließen. So decken Holstein, Stiewe & Co nicht nur das Spektrum des deutschen Alternative ab (Tilman Rossmy Quartett, Hip Young Things), sondern haben vor allem einen Fuß in der Tür des amerikanischen Musikbusiness: Zeitgemäßer Folkrock (Neal Casal, Nadine, Wagon), Singer/Songwriter (Terry Lee Haie, Larry Barrett), alternativer Country-Rock (Hazeldine, Steve Westfield Slow Band), düster krachiger Blues (Hugo Race) und zwar sinistre, wohl aber massenkompatible Zeitgenossen wie The Walkabouts und Chris & Carla sind nur Eckdaten der enormen Stilvarianz von Glitterhouse. 15 Jahre sind mittlerweile ins Weserbergland gegangen, das Fanzine hat sich zum satten Mailorder-Katalog gemausert, im Internet sind die ersten Fühler ausgestreckt (http://www.glitterhouse.com), und mit dem „Orange Blossom Special“ sind Glitterhouse gar unter die Konzertveranstalter gegangen: Das Festival findet alljährlich im Garten der Villa und ganz im Geiste des Labels statt: „Fans kommen aus ganz Deutschland, und unsere Acts spielen hier auch ganz gerne“, erklärt Rembert Stiewe. „Normalerweise führt eine Tour die Künstler ja nur in große Städte. Auf Zwischenstopp hier in der Provinz können sie aber prima ausspannen.“ Und sich ganz wie zu Hause fühlen.