Zicken-Zirkus


Brian Molko ist ein Warmduscher. Es begab sich nämlich auf der letzten deutschen Hallentour von Placebo, dass besagter Sänger seinem Körper vor dem Auftritt in der Kölner Live Music Hall eine heiße Brause gewähren wollte. Doch am Ort des Geschehens rieselte es nur lau aus dem Wasserhahn. Das lässt sich ein Rockstar natürlich nicht ohne weiteres bieten, schon gar nicht im November, und so stellte Molko die Veranstalter wutschnaubend vor die Alternative: entweder eine richtig warme Dusche oder kein Auftritt.

Der Nasszelle eines kurzfristig angemieteten Hotelzimmers war es zu verdanken, dass Placebo an diesem Abend (mit einiger Verspätung) doch noch auftraten. Brian Molko hatte auf jeden Fall richtig Spaß daran, die Rolle der launischen und leicht beleidigten Rock-Diva gusseisern durchzuhalten: „Ich will viel mehr Enthusiasmus sehen! Oder ist am Eingang etwa Valium verteilt worden?“ Muss man noch erwähnen, dass die Halle ausverkauft, die Begeisterung der Zuschauer erheblich war? „You could hear a fucking pen drop“, zischelte Brian bösartig und man stellte sich in diesem Moment die Frage, warum vorne am Merchandising-Stand keine Plaecebo-T-Shirts mit der Aufschrift „Zicke“ verkauft wurden.

Das alles ist vergeben und vergessen, als Brian Molko (27), Bassist Stefan Olsdal (26, rechts) und Drummer Steve Hewitt (29) in diesem Sommer beim Bizarre-Festival in Weeze auf deutsche Bühnen zurückkehren. Passend zum Ort des Geschehens – einem stillgelegten britischen Militärflughafen – serviert das Trio einen extrem verdichteten Gitarrensound (Marke Düsenjäger), den Brian Molko mit seiner theatralischen Ouengel-Stimme effektvoll durchschneidet. Am Ende des relativ kurzen Sets (55 Minuten) steht der g8er-Hit „Pure Morning“, gespickt mit infernalischen Rückkopplungen.

Brian ist an diesem Nachmittag vergleichsweise unspektakulär gedresst, mit schwarzer Stoffhose und einem ärmellosen weißen T-Shirt. Überhaupt: Seine femininen Reize köcheln eher auf Sparflamme (die Fingernägel sind natürlich dunkel lackiert, Ehrensache), was aber auch mit dem unbarmherzigen Tageslicht zusammenhängen könnte. „It’s far too early in the day, and l’m far too sober“ („Es ist viel zu früh am Tag, und ich bin viel zu nüchtern“), sagt Molko zur Begrüßung des Publikums. Ein Statement,das kurz nach 18 Uhr eine ganze Menge über das mitunter ein wenig verquere Zeitempfinden von Rockstars aussagt.

Nüchtern oder nicht, Placebo machen beim Bizarre-Festival einen relativ großen Bogen um das zweite Album „Without You l’m Nothing“, vor allem „Every You Every Me“ dürften einige Fans arg vermisst haben. Während einer mehr als einjährigen Welttournee, die Placebo unter anderem zwei mal nach Australien und Südafrika führte, habe sich bei einigen Song „gefährliche Routine“ eingeschlichen, so die Diagnose von Stefan Olsdal. „Wir sind kreative Musiker und langweilen uns schnell“, erklärt der baumlange Schwede. Doch auch die zu diesem Zeitpunkt noch unveröffentlichen Songs, allen voran „Blackeyed“, reißen die Fans zu Begeisterungsstürmen hin. Der „Blackeyed“-Text dürfte die treuesten Placebo-Anhänger eine ganze Weile exegetisch beschäftigen:,,1 was never loyal/ except to my own pleasurezone/ I was never faithful/l was never one to trust/ borderline and schizo/ guaranteed to cause a fuzz“. Das ist Außenseiter- und Zickenlyrik in Eins-A-Qualität, aber doch bitte schön mit Vorsicht zu genießen. „There is always an element of Brian in the lyrics“, erklärt Stefan Olsdal, nicht mehr und nicht weniger.

Auf der Internet-Seite der Band ist ein ausführlicher Chat nachzulesen, moderiert von einem prominenten Fan: David Bowie, der die Gruppe in einem frühen Stadium für das Vorprogramm seiner „Outside“-Tour verpflichtete. Besonders interessant wird es in diesem Chat, wenn Brian Molko davon erzählt, was so alles in seiner Fanpost landet: „Nagellack, Lippenstift und pornografische Fotos,“ Zwischen den Zeilen erweckt Brian den Eindruck, dass er Geschenke dieser Art ganz okay findet. Manchmal stecken in den Briefumschlägen aber auch bunte Pillen gegen den grauen Alltag, im Fachjargon auch Antidepressiva genannt. Das mag Molko nicht so gern: „Die Leute, die mir so etwas schicken, brauchen diese Medikamente sehr viel dringender als ich selbst“