Pulp – We Love Life
Jarvis Cocker und seine Britpop-Überlebenden setzen die Legende Scott Walker auf den Produzentenstuhl.
„Im not Jesus though I have the same Initials“- mit diesen deutlichen Worten brachte Pulps Jarvis Cocker seine Starmüdigkeit vor drei Jahren auf THIS IS HARDCORE zum Ausdruck. Dieses Mal sagt er es mehr durch die Blume. Oder besser gesagt: durch die Bäume. „Trees“ überrascht mit einem offenen Bekenntnis zu Mutter Natur. „It’s the trees, those useless trees produce the air that I am breathing“, singt Jarvis, umgeben von Streicherarrangements aus der Feder von David Axelrod. Pulp wollen scheinbar weg. Raus aus London, ab aufs Land und hinein ins Privatleben. Deshalb schreiben sie heute Songs wie eben „Trees“ oder „Birds In Your Garden“. Und weiter: Eine Wende hin zu einem seltsamen Umweltaktivismus nimmt dasThema im zweiteiligen „Weeds“. Zuerst holt die Band zu einem eingängigen Refrain aus, ehe Jarvis in einen Monolog über Unkraut verfällt-Unkraut, das von Geschäftemachern angeblich zu Gras für Dinner-Partys verarbeitet wird. Obendrein scheint sich der Sänger fast mit den wuchernden Pflanzen verbünden zu wollen. Sehr wunderlich, aber auch schwer interessant. Musiker trauen sich heute ja nur noch ungern Aussagen zu machen, an denen man sich reiben kann. Da stößt Jarvis Cocker womöglich in eine Gedächtnislücke.
Die Neigung zur gepflegten Provokation konnte der seit langem Publicity-scheue Scott Walker offenbar gut nachvollziehen und produzierte zum ersten Mal überhaupt ein fremdes Album, Walker hat allen aufwändigen Pomp beseitigt und vielen Songs ein raues, hie und da auch folkiges Flair verliehen. Dadurch atmen die Pulp-Stücke hörbar auf. Was demnach fehlt, sind an David Bowie haftende Glam-Orgien, die Pulp in den neunziger Jahren des Öfteren feierten, zuletzt etwa in „Party Hard“. Jetzt wirkt allein schon der Sound durchweg bodenständiger und kratziger, dabei aber nicht unbedingt härter. Aus alledem folgt, dass man immer noch elegische Pulp-Melodien hört, aber nicht mehr in der auffälligen Form von früher. In „Bad Cover Version“ etwa holt die Band ihr ganzes Pathos heraus. Wahrscheinlich geht das auf das Konto von Scott Walker, der mit diesem Song an die Zeiten erinnern wollte, als er Hits wie „The Sun Ain’t Gonna Shine Any More“ hatte.
Pulp pflegen die Extreme. Im achtminütigen „Wickerman“ geht es zum rezitierenden und düsteren Stil zurück, den die Band in den achtziger Jahren bevorzugte. Cocker sinniert über seine Heimatstadt Sheffield, insbesondere über eine Brücke, von der aus sich manch einer nach zünftigem Pub-Besäufnis hinuntergestürzt hat. Irgendwann ist dann einer im Schlamm versunken, und das Ritual hatte ein Ende. Die Moral von der Geschieht‘? „There’s no way you’d get me to Jump off that bridge“, resümiert Cocker. Wie beruhigend. Lebensmüde ist der Kultsänger keinesfalls, sonst würde der Albumtitel auch nicht viel Sinn machen. Es sind nur die Zeiten, die sich wieder einmal geändert haben und die Musiker neu herausfordern. Britpop – was ist das schon noch? Ein Gruß aus dem Museum vielleicht, mehr nicht. Pulp gehen schwer auf die 40 zu, stehen mit beiden Beinen im Leben, sind nachdenklicher geworden und haben sich erinnert, was es bedeuten kann, wenn Pop und Kunst zusammen kommen. Das Ergebnis ist dieses neue Album. Wohin es für die Band damit geht, weiß niemand. Vielleicht wird es im ungünstigen Fall als Musterbeispiel für kommerziellen Selbstmord in die Popgeschichte eingehen. Aber was sollten Pulp machen? Mehr Hymnen als auf DIFFERENT CLASS gehen nun einmal nicht. Da fängt man schon eher mit einem schrulligen Kerl wie Scott Walker noch einmal ganz von vorne an. Und was soll man sagen? Dem Neubeginn kann man in diesem Fall nur viel Würde attestieren. Und Klasse. Eine andere Form von Klasse.
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