Denis Villeneuve im Interview über „Blade Runner 2049“: „Ich bin ja selbst ein Hardcore-Fan!“
Die Zukunft ist immer noch düster: 35 Jahre nach dem Cyberpunk-Kultfilm kommt nun das lang erwartete Sequel „Blade Runner 2049“ in die Kinos. Das Regie-Zepter hat Science-Fiction-Altmeister Ridley Scott aber weiter gereicht: Denis Villeneuve faszinierte in den vergangenen Jahren mit außergewöhnlichen Pyschothrillern wie „Enemy“ und „Arrival“.
Für einen Mann, der gerade an der Fortsetzung eines Kultfilms arbeitet, wirkt Denis Villeneuve zwar angemessen abgekämpft und müde, aber erstaunlich gelassen. Wir sitzen in der Sommerhitze auf der Terrasse eines Luxushotels in der Nähe des Strandes in Barcelona. Vom Meer weht ein kühlender Wind und Villeneuve bestellt sich einen doppelten Espresso.
ME.Movies: Wie erfindet man einen Film wie „Blade Runner“ für eine Fortsetzung neu, ohne sich zu wiederholen?
Denis Villeneuve: Das Drehbuch war glücklicherweise schon fertig, bevor ich an Bord kam. Und es hat mich überzeugt, weil es zwar eine Mischung aus Film Noir, Science-Fiction und Detektiv-Ballade bleibt, aber eine ganz neue, eigene Geschichte erzählt. Mehr darf ich leider nicht verraten.
Machen dir die Erwartungen der Fans Angst?
Villeneuve: Ich bin ja selbst Hardcore-Fan! Und als Fan wartet man mit dem Baseballschläger in der Hand auf den Film und schlägt zu, wenn etwas nicht passt. (lacht) Nein, im Ernst, ich habe irgendwann meinen Frieden damit gemacht: Manche Zuschauer werden den Film lieben, andere ihn hassen.
Du arbeitest gerade auf Hochtouren an der Nachbearbeitung des Films. Wie bleibst du in dieser Situation gelassen?
Villeneuve: Gute Frage! Ich fühle mich wie eine Frau in den letzten Wochen ihrer Schwangerschaft. (lacht) Ich versuche, mich auf die Geburt zu konzentrieren. Wir schneiden immer noch und arbeiten an Effekten. Er wird erst kurz vor dem Start fertig sein. Aber wir sind auf einem guten Weg und ich kann endlich wieder schlafen. Phasenweise war es ein Albtraum.
Was war so gruselig?
Villeneuve: Den visuellen Stil des Films zu finden. Daran wäre ich fast verzweifelt.
Welche Rolle spielt „Blade Runner“ in deinem Leben?
Villeneuve: Wenn ich es poetisch ausdrücken will: „Blade Runner“ ist mitverantwortlich für die Geburt meiner Leidenschaft fürs Kino. Ich muss ihn zum ersten Mal gesehen haben, als ich vierzehn Jahre alt war. Das war auch die Zeit, in der ich immer mehr Autorenfilmer aus Europa entdeckte. Das machte mich sensibler für die Sprache des Films. „Blade Runner“ hat mich regelrecht süchtig gemacht. Ich wollte ihn immer wieder sehen. Glücklicherweise setzte sich zu genau dieser Zeit die VHS-Kassette durch. „Blade Runner“ war der erste Film, den ich auf Video besessen habe. Ich habe ihn so oft angeschaut, bis das Tape kaputt war. Er lag immer wie ein Buch auf meinem Nachttisch. Deswegen fühlt es sich jetzt umso seltsamer an.Was hat dich süchtig gemacht?
Villeneuve: Es war das erste Mal, dass ich im Kino das Gefühl hatte, in einer Zeitmaschine zu sitzen. Und ich war gleichzeitig begeistert und hatte Angst vor dieser Zukunft, die ich da auf der Leinwand sah.
Wie hast du deinen Respekt vor Ridley Scott in den Griff bekommen?
Villeneuve: Ridley hat mir seinen Segen gegeben. Das war wichtig. Und er hat gesagt, er unterstützt mich aus der Ferne. Wenn ich etwas brauche oder wissen wolle, solle ich anrufen. Ansonsten hat er mir absolute Freiheit gelassen. Ich hätte diesen Film nie durchgestanden, wenn er mir ständig dabei über die Schulter geschaut hätte.
Ridley Scott war kein einziges Mal bei den Dreharbeiten?
Villeneuve: Doch, einmal war er da und hat mir zugesehen. Das hat mich wirklich fertig gemacht. Ich habe ihn dann gefragt: „Ridley, wer sind deine Lieblingsregisseure?“ Er überlegte und antwortete: „Stanley Kubrick und Ingmar Bergman.“ Und ich meinte: „Wie würdest du dich fühlen, wenn du einen Film machst und Kubrick und Bergman beobachten dich dabei?“ Da hat er gelacht und ist gegangen.
Wie nervös warst du vor deinem ersten Treffen mit Harrison Ford?
Villeneuve: Du musst bedenken, dass ich mit Filmen wie „Star Wars“ und „Indiana Jones“ aufgewachsen bin. Harrison war eine Ikone für mich, überlebensgroß. Unser erstes Treffen war offiziell eine Drehbuchbesprechung. Eigentlich ging es aber nur darum, ob er mich als Regisseur akzeptiert oder nicht.
Wie hast du den Test bestanden?
Villeneuve: Das Schlimme ist, dass du nicht tricksen kannst. Schauspieler sind übersensible Tiere, die hören jede Unaufrichtigkeit. Du musst ehrlich sein, das ist deine einzige Chance. Es war surreal: Für unser zweites Treffen fuhr ich dann zu ihm nach Hause. Ich klingelte und durch die Gegensprechanlage klang diese typische Harrison-Ford-Stimme: „Hey, Denis! Komm rein.“ Ich dachte, ich träume. Er erholte sich zu der Zeit von seinem „Star Wars“-Unfall, fing an, wieder Sport zu treiben und machte Stretch-Übungen, um mir zu zeigen, wie fit er wieder war. Er wollte „Blade Runner“ unbedingt machen.
Was hast du über „Blade Runner“ gelernt, was du noch nicht wusstest?
Villeneuve: Ich weiß jetzt, wie es zu dem Wort „Replikanten“ kam, diese von Bio-Ingenieuren im Labor designten Menschen sollten ursprünglich Androiden heißen. Aber Ridley mochte das Wort nicht, weil es in der Popkultur der Siebzigerjahre inflationär verwendet wurde. Er wollte etwas Eigenes. Deswegen taufte man sie Replikanten.Wird denn diesmal die Frage geklärt, ob Rick Deckard selbst ein Replikant ist oder nicht?
Villeneuve: Ich habe ein paarmal mit Harrison und Ridley zusammengesessen und über genau dieses Thema gesprochen. Und weißt du was? Die beiden sind sich bis heute nicht einig. Sie reden sich bis heute bei solchen Diskussionen die Köpfe heiß. Einmal saßen wir in einem Restaurant bei sehr gutem Wein und da wurde es richtig laut.
Wer von beiden vertritt welche Theorie?
Villeneuve: Für Ridley ist es gar keine Frage: Deckard ist ein Replikant. Harrison ist leidenschaftlich überzeugt, er sei ein Mensch.
„Über die Frage, ob Deckard ein Replikant ist, reden sich Harrison und Ridley bis heute die Köpfe heiß.“ – Denis Villeneuve
Wer hat dich überzeugt?
Villeneuve: (lacht) Ich muss sagen, Harrison argumentiert nicht schlecht. Aber dass in diesem Universum jeder ständig an seiner Identität zweifelt, liebe ich besonders. Als Zuschauer will man ja irgendwann selbst den Replikanten-Test machen, so verunsichert ist man. Diese grandiose Spannung möchte ich nicht auflösen. Außerdem will ich mich weder mit Harrison noch mit Ridley anlegen!
Eine ausführliche Kritik zur Fortsetzung von „Blade Runner“ findet Ihr hier:
Das Interview mit „Blade Runner 2049“-Regisseur Denis Villeneuve erschien als Themeninterview in der aktuellen Oktober-Ausgabe vom Musikexpress.