Der letzte Vorhang: John Entwistle


Gitarrenhelden hat die Rockära zahlreich hervorgebracht, auch Keyboardvirtuosen wurden zeitweise frenetisch bejubelt, und selbst Schlagzeuger ernteten bisweilen große Aufmerksamkeit. Aber Bassisten? Sind das nicht die, die immer hinten in der Ecke stehen, kein Solo spielen dürfen und deren Name einem nie einfällt? Drei Tieftöner haben in den Sechzigern den bis dato engen Spielraum der Rockbassisten drastisch erweitert: Paul McCartney, weil er singen konnte und ein hübscher Beatle war; Jack Bruce, weil er sich bei Cream mit Eric Clapton heiße Duelle lieferte, und Who-Bassist John Entwistle, dessen Solo bei „My Generation“ auch noch nach 36 Jahren eine Glanzleistung darstellt. John A(ec Entwistle, am 9. Oktober 194A in West London geboren, genoss als Kind Klavier Unterricht, spielte Trompete und studierte French Horn – einen Job bekam er allerdings beim örtlichen Finanzamt. Als Freizeitmusiker spielte er mit Pete Townshend in Tradjazz-Kapellen, bis ihn Roger Daltrey zu den Detours lockte, jener Keimzelle, aus der sich 1964 The High Numbers und schließlich The Who entwickelten. Entwistles Rolle war fortan klar: Während Sänger Roger Dattrey den Working Class Macho mimte, Pete Townshend intellektuell unterfüttert seine Gitarren zerstörte und Trommler Keith Moon wie eine achtarmige Hindu-Gottheit auf Speed herumwirbelte, markierte er den Fels in der Brandung. Ruhig und gelassen setzte er den Kontrapunkt zum kreativen Chaos, allerdings auf hohem Niveau. When „The Ox“ seinen Bass wie eine Flamencogitarre traktierte oder lässig blitzschnelle Läufe aus dem Ärmel schüttelte, war das zweifellos die hohe Kunst der tiefen Töne. Auch als Songwriter gewann er zunehmend Profil, wobei er sich in seinen Texten vor zugsweise mit Spinnen, Gummizellen und Monstren befasste. Entwistles rabenschwarzer Humor und sein Faible für Horror-Comics brachen sich in Songs wie „Boris The Spider“ oder „Dr. Jekyll & Mr. Hyde“ Bahn, und als The Who Ende der Sechziger zum Kunstrock konvertierten, blieb er mit Soloalben wie „Smash Your Head Against The Wall“ oder „Rigor Mortis Sets In“ dem Rock’n’Roll treu. Als The Who 1997 ihr 73er-Album „Quadrophenia“ in deutsche Konzertsäle brachten, war John Entwistle der eindeutige Publikumsliebling, dessen Solo mit stehenden Ovationen gefeiert wurde. John Entwistle starb am 27. Juni im Alter von 57 Jahren kurz vor einer Who-US-Tour in einem Hotel in Las Vegas.