Kurz & Live: Lou Reed/Martin L. Gore/ Lucinda Williams


Lou Reed (München, Herkulessaal)

Nein, diese unberechenbaren Knarzväter des Rock: Während Neil Young geschickt eine Best-Of-Show antäuschte, um den Konzertgängern dann beherzt sein Konzeptalbum ins Kreuzeck zu hauen (siehe unten), lief es beim notorischen Brummbär Lou andersrum: Alles erwartete etwas bang eine Aufführung seines grimmig-intellektuellen Poe-Diskurses „The Raven“ – und dann überraschten Reed und seine mit Zuckerbrot und Peitsche geführte Band (Gitarrensynthesizerist, Cellistin, Bassist/Percussionist und der Falsettsänger Antony) mit einer Hitparade von Velvets bis heute: „Sweet Jane“, „Venus In Furs“, „Sunday Morning“(!), „Perfect Day“, „Men Of Good Fortune“, „Day John Kennedy Died“, „Candy Says“, „Dirty Blvd.“, „Set The Twilight Reeling“ – hübsch dekonstruiert vom kompromisslosesten Nicht-Sänger von allen. Der „lockerte“ den Abend mit ein paar Reedismen auf („You might not know this one, since it wasn’t written by Goethe“, donnert er zur Ansage eines „Raven-Stückes. Stille. Reed, eisig: „That was a joke. It’s okay to laugh.“ Traute sich aber keiner) und bat für den extra-bizarren Touch hie und da seinen Tai-Chi-Lehrer Ren Guangyi auf die Bühne, der zur Musik ein paar Übungen machte Yes, dear, but is it art?

Martin L. Gore (Köln, E-Werk)

Auch ein Superstar kann nichts für seine Fans. Insofern gilt: Martin Gore, den kleinen Mann mit großer Bühnenpräsenz, trifft keine Schuld am Gebaren der Depeche-Mode-Kundschaft. Die war hör- und sichtbar überfordert mit dem, was ihnen das Hirn ihrer Lieblingsband solo servierte: fabelhaft arrangierte, mit sachten Beats unterfütterte, flirrend düstere Cover-Songs – vorzüglich die Versionen von Nick Caves „Loverman“ und Kurt Weills „Lost In The Stars“. Dumpf wurde mitgeklatscht, wo einfach mal nur Zuhören geboten gewesen wäre, wurde mitgegrölt, wo DM-Hits – „A Question Of Lust“, „Shake The Disease“, „In Your Room“ in skelettierten, leisen Versionen ganz neuen Zauber entwickelten. „Walking In My Shoes“ sang Martin Gore dann noch, und spätestens da war klar: Das Schuhwerk, das er an diesem Abend offerierte, war für das Gros der Fans ein paar Nummern zu groß. Der Künstler hat sich weiterentwickelt, seine Anhänger suhlen sich in Stillstand.

Lucinda Williams (Hamburg, Fabrik)

„C’mon, Emmylou“, grölt einer zur Begrüßung, als Lucinda und ihre Drei-Mann-Band die Instrumente umhängen. Sie grinst. Und sie weiß: Verwechslungsgefahr besteht hier nicht. All die Songfreaks sind gekommen, um diese zierliche, irgendwie rüde Blondine zu feiern. Sie wollen in dieses monumentale Song-Repertoire, dessen bestechende Klarheit und Originalität ihresgleichen suchen, eintauchen, sich selbst wiederfinden und – nicht zuletzt – Lucindas Leid mitempfinden. Hier und heute, mit dem sehr guten neuen Album World Without Tears im Rücken, dessen Songs sich nahtlos in den an Klassikern nicht eben armen Set einpassen, und einem Publikum vor der Bühne, dass sie erstmals seit 15 Jahren live in Deutschland zu sehen bekommt, genießt Lucinda indes jeden Moment. Sichtlich gerührt über den herzlichen Empfang spricht sie zur Einleitung von „Fruits Of My Labour“ das Motto des Abends: „If I’am happy, everybody’s happy. „Grinsend fügt sie an: „It’s a love thing, you know.“ Und singt den „Happy Woman Blues“.