Die Ärzte: Hamburg, Color Line Arena


Saddam Hussein, Udo Jürgens, und mehrere Brote auf der Bühne, wer hier keine Becher klaut ist kein echter Fan.

Ein Riesengewimmel hier und heute in der Color Line Arena, denn Die Ärzte sind da. da kommen alle. Seit Monaten ist das Konzert in Hamburgs neuem Großveranstaltungstempel ausverkauft. Vorbei an „Wir woll’n die Ärzte seh’n“ grölenden Frühtrinkern schiebt man sich durch die Konzertbesucherabtastschleusen. Endlich drin, sieht man den Bierstand vor Besuchern nicht. Also erst mal ne Wurst kaufen und Leute gucken. Das Ärzte-Publikum ist ungefähr so, wie sich – sagen wir mal – Willy Brandt Basisdemokratie vorgestellt haben muss: machen alle mit. Altpunker, Bausparer, Szenefuzzies, Schulschwänzer und Pop-Proleten in trauter Einigkeit. Alle haben gute Laune. Alle wollen singen. Aber erst mal kommen Fettes Brot, da wird getanzt. Die Hey-Ho-Hossa-HipHopper aus Hamburg Eimsbüttel machen alles richtig, nämlich wie immer und feiern die Leute, die dann derart euphorisiert zurückfeiern, dass man denkt: „Ja, Mensch, was soll denn jetzt noch kommen ?“ Na, Bela B. zum Beispiel. Als die Brote zur eindringlich geforderten Zugabe auf die Bühne hüpfen, tänzelt Bela „The coolest fox in town B.“ hinterher und ein Jauchzen geht durch die Reihen. Die Brote und Bela intonieren gemeinsam und mit Dringlichkeit ihren Anti-Schill-Song „Tanzverbot“. Für Nichtaufpasser: Der rechtslenkende Ronald B. Schill war viel zu lange Innensenator von Hamburg, belästigte die Stadtbewohner mit Staatsgewalt und demontierte sich hernach aufs Köstlichste selbst. Bela singt: „I know Schill is nowin hell“, und sehr viele Leute scheinen das sehr zu begrüßen. Pause. Irgendwer hat dafür gesorgt, dass das Bier in Plastikbechern serviert wird, auf denen wahlweise ein Ärzte-Logo oderdas Band-Maskottchen Gwendoline prangt. Dieser jemand – Die Ärzte warens nicht! – hat einen ordentlichen Reibach gemacht, denn jeder Fan klaut mindestens einen Becher und scheißt auf die zwei Euro Pfand. Jetzt kommen Die Ärzte. Junge, was ein Lärm! Farin Urlaub zeigt auf Rod Gonzales und sagt: „Der Mann im Erdloch war der falsche. Hier ist Saddam Hussein!“ Rod sagt: „Hallo, ich bin euer Saddam.“ Und dann das: keine Hits. Belafarinrod rotzrocken „Nicht allein“, „Richtig schön evil“, „Motherfucker666“, „Bravopunks“ und „T-Error“ -aber eben keine Hits. Von Lied zu Lied sinkt die Stimmung von „durchdreh“ zu „mitwipp“. Dann wird ein weißer Flügel rangerollt, Rod setzt sich und Bela sagt: „Das hat die Weit noch nicht gesehen: Udo Jürgens gleichzeitig in der Color Line Arena und mit 30 14-Jährigen auf Ibiza!“ Die Stimmungskurve steigt rapide. Jetzt kommen die Hits, als Zugabe: „Unrockbar“ und „Schrei nach Liebe“. Dann die zweite Zugabe in unplugged: „Langweilig“, ein Medley und „Monsterparty“, die immer wieder angesungene Hymne des Abends. Die Leute flippen aus. Die Color Line Arena ist ein Kessel Endorphine. Jubel, Trubel, Heiserkeit. Weiter geht’s. Die Fetten Brote kommen bei „FaFa-Fa ‚ auf die Bühne, pöbeln ein bisschen rum und werden von den Ordnern weggetragen. Die Ärzte singen „Ist das alles?“. Dann sagt Farin: „DerHyvlHamburgs Nahverkehrsbetrieb; Anm. d. Autors] sagt, dass die letzten Busse um halb Zwölf fahren. “ Bela sagt: „Ärzte-Fans sind fitte Fans, die können laufen.“ Die Fans selbst sehen das auch so – und weiter. Zum Schluss gibt’s kein Halten mehr, weil „Manchmal haben Frauen…“ und „Westerland“ hintereinander kommen, und dann Farin fragt: „Was wollt ihr denn jetzt noch hören?“ Tausende brüllen: „Elke“. Na gut, singen Die Ärzte eben mal wieder von der ollen Elke und zum Schluss: „Zu Spät“. Wie lange ging das jetzt? Drei Stunden? Länger? Das war die längste Band der Welt.