Sarah Kuttner – Die Kolumne


Sollten Sie beim Lesen meiner diesmaligen Kolumne gerade vollkommen blödsinnig verliebt sein: Dafür gibt es ganz simple Gründe. Es ist nämlich Frühling, und der läßt allerorten mal wieder die Lustsäfte aus dem Körper schießen. Man rennt also mit ordentlich Saft im Leib durch die Gegend, die Sonne scheint vielleicht schon ein bißchen, und ZACK! ist’s passiert: Das flüchtige Lächeln eines vorbeibretternden LKW-Fahrers hat einem den Tag gerettet. Wir lernen mal wieder: Es sind die kleinen Dinge… Dies hier ist bereits mein 43. Frühling, ich kenne mich also ein bißchen aus und möchte meine Erfahrungen gerne mit meiner dreiköpfigen Leserschar teilen. Man sollte nämlich nicht ganz unvorbereitet in diese Jahreszeit stolpern. Zunächst gilt es, den Kleiderschrank umzurüsten: Die mehrschichtigen Thermohosen werden nach hinten gehängt, und auch die abgewetzte Bommelmütze wird man in den nächsten Monaten nicht ganz so oft brauchen. Apropos mehrschichtige Thermohosen: Was tragen eigentlich Oomph und andere Ledermantelherren im Frühling? Verstehen Sie mich nicht falsch, alles nette Jungs bei Oomph, aber die Band scheint mir schlichtweg nicht in die Jahreszeit des Knospens zu gehören. Hat man denen das bei der Imagezuweisungsbehörde gesagt? Wie auch immer, wir halten fest: Bestimmte Musiker-Images sind einfach nicht mit jeder Jahreszeit kompatibel. Das gleiche gilt für bestimmte Musiken: Was einem im Tiefschnee eines Märztages beim Autofahren das Ohr wärmte, wirkt im Frühjahr schnell todessüchtig. Vorgestern zum Beispiel saß Sven Schuhmacher neben mir im Auto und fragte, ob ich viel allein sei und Medikamente nähme. Auf mein clever und schlagfertig gegengefragtes „Hö? Wieso?“ sagte Schuhmacher nur: „Naja, die Sonne plärrt durch die Windschutzscheibe, ich trage Shorts und meine geliebte Schirmmütze, und du bist fast nackt. Trotzdem hören wir jetzt schon zum dritten Mal die Decemberists. „Tia, da sieht man’s. das ist der Beweis. Ich gebe zwar zu, daß die soeben nacherzählte Begebenheit frei erfunden ist. aber das ist ein legitimer schriftstellerischer Schachzug, um meinen Punkt klarzumachen. Das darf man in Kolumnen, ich habe mich erkundigt. – Es muß also Frühlingsmusik her. Weg mit dem tranigen Geknatsche wehleidiger Jammerbands, und her mit sonnendurchfluteten Fingerschnipp-Rhythmen, auf denen es sich spärlich bekleidet gen Sommer reiten läßt! Aber: Die Musikindustrie ist auf die jahreszeitenabhängigen Konsumentenbedürfnisse nicht im geringsten eingestellt! Die veröffentlichen einfach, was ihnen gerade in den Sinn kommt. Ein Beispiel: Soeben kam die neue Ron Sexmith vorbeigeflattert. Der schönste Song der Platte besingt einen „Snow Angel“, eine Frau, die sich irrsinnig gerne auf den Rücken fallen läßt und dann, na ja, eben gerne Schnee-Engel macht. Äh, was natürlich nur dann funktioniert und nicht mit üblen Schmerzen endet, wenn auch Schnee liegt. Und genau da liegt das Problem. Der Song ist toll, aber beim frühjährlichen Kühlschrankputzen irritiert einen diese Schnee-Engel-Tante einfach nur. Hätte besser im Herbst kommen sollen, die Platte. Aber der Würgegriff der Veröffentlichungspolitik ließ es wohl nicht anders zu. Eigentlich ein Wunder, daß die doofe Musikindustrie nicht auch ihre ganzen Weihnachtscompilations vor lauter mangelndem Feingefühl schon im Juni rausbringt. Halt! Soeben kommt mir über meinen häuslichen Privat-Ticker eine Meldung des Pop-Nachrichtendienstes ins Haus geflattert. Ich muß zugeben: Ich habe die smarten Cleverles von Oomph unterschätzt. Gero und die anderen beiden Ledermantel-Johnnys haben bereits auf die frühjährliche Imagekrise reagiert. Kurzfristig kriegen sie das Ruder zwar nicht mehr rumgerissen, aber für den Sommer ist eine gemeinsame Single von Oomph und DJ SandimSchuh angekündigt. Titel: „Gott trägt Flip-Flops“.