Die Anti-U2-Methode


Travis veröffentlichen ein neues Album. Fran Healy erklärt, warum Brian Eno doch nicht daran mitarbeiten durfte. Und wie man ganz nebenbei einen Produzenten ausbeutet.

Fran Healy ist ein leidenschaftlicher Mensch. Sein Oberkörper ist stets vorgebeugt, um dem Gesagten Nachdruck zu verleihen. Seine Augen funkeln, und die Hände untermalen präzise, was er meint. Es geht um die hohe Kunst des Halstuchknotens. Der vorangegangene Interviewer, ein österreichischer Ex-Mod, habe seinen Schal noch im alten Stil geknöpft, also so (Healy demonstriert). Genauso wie er selbst das mache. Deswegen habe er sogleich eine gewisse Geistesverwandtschaft gespürt. So ein Knoten sei heutzutage nämlich eine absolute Rarität. Meistens sehe er nur noch so aus (er schwingt sich den Schal lässig über die Schulter, und der resultierende Pseudo-Knoten hängt zum Bauchnabel durch). „Das ist doch völlig unpraktisch!“, echauffiert er sich. Da friere man ja immer noch am Hals und könne ebensogut keinen Schal tragen! „Ich habe nichts gegen die Mode, ganz und gar nicht, denn Mode ist kreativ“, möchte Fran festgehalten wissen. Was er jedoch nicht ausstehen kann, sind Gaukeleien: „Wenn Mode nur noch Mode ist und die Leute mittun, auch wenn es kein Sinn macht, dafiirgeht mir jedes Verständnis ab.“

Travis sind möglicherweise die unprätentiösesten Popstars aller Zeiten. Schon in ihren Anfängen, als rundum die Brit-Pop-Atritüde dominierte, kamen sie daher wie die Jungs von nebenan und behaupteten, keinerlei Absichten zu haben, außer mit ihren Liedern ein bisschen Wärme zu verbreiten. Noel Gallagher erklärte sich zum Fan und sorgte persönlich dafür, dass Travis diverse Male als Oasis-Vorgruppe auftraten. Mit ihrem zweiten Album the man who spielten sich die Schotten ins britische Volksgemüt. Dabei profitierten sie von der Gunst der Natur: Gerade hatten sie beim Glastonbury Festival die erste Strophe von „Why Does 1t Always Rain On Me“ gesungen, da kam der Regen. Derlei Publicity wäre mit Geld nicht zu bezahlen gewesen. Und wer sich das zu dem Song gehörige Album angehört hatte, konnte sich der Magie ihrer simplen und doch nicht blöden Lieder nur noch schwer entziehen. Travis hatten – haben – die seltene Gabe, Gefühle in einfache Worte und Melodien zu verpacken, ohne dabei klischeehaft zu wirken. Die coole britische Szene beschuldigt sie zwar gerne, den soften Höflichkeits-Rock im Stil von Coldplay und Keane ausgelöst zu haben. Aber richtig böse sein kann ihnen deswegen doch niemand.

Denn immer wieder legt die Band einen unbekümmerten Enthusiasmus an den Tag, der in einem Geschäft voll großer Sprüche und hohler Gesten Respekt einfordert. Man erinnere sich etwa an ihren Auftritt bei Live 8 im Londoner Hyde Park. Während die meisten anderen Acts – Ausnahme: Scissor Sisters – mächtig Pathos aufstachen, um das Publikum an die Wichtigkeit des Tages und ihre eigene zu erinnern, kredenzten Travis eine windschiefe Version der Bee-Gees-Disco-Nummer „Stayin‘ Alive“.

Fran Healy bittet zum Gespräch, weil demnächst das fünfte Travis-Album erscheint, THE BOY WITH NO NAME. Das neue Werk verzichtet weitgehend auf die Celli, Geigen und düsteren Stimmungen von 12 MEMORIES und kehrt zu den einfacheren Arrangements früherer Tage zurück. Der Bub vom Albumtitel ist, so stellt es sich heraus, sein eigener. Und sogleich klappt der stolze Papa seinen Laptop auf und zeigt aufs Bild eines putzigen Jungen, der in der Manier putziger Jungen in einem Haufen Spielzeug sitzt und staunt. „Ah, ist das nicht …“, sagt der Papa und gluckst ergötzt vor sich hin. Der Albumtitel? Man habe wochenlang an einem Namen herumgetüftelt – und das habe eben gewisse Gedanken ausgelöst. Die Geburt des Kindes, sagt Healy, habe bewirkt, dass er sich endlich wohlfühle in seiner Haut: „Ich fühle mich jetzt richtig erwachsen. Ich habe meinen Platzgefunden. Auch mit der Band.“ Er habe immer gewusst, dass sie nie eine coole Combo im Stil von Primal Scream sein würden. Popmusik sei halt sein Ding – Popmusik pur, ein Schrittchen abseits des Mainstreams: „Ich glaube, das machen wir saugut, Popsongs, die ein kleines bisschen ungewöhnlich sind. Franz Ferdinand können ’s auch, aber es fehlt mir an ihnen das Quäntchen Soul, das wir-glaube ich – haben.“ Das neue Album reflektiere die neuen Umstände: „Ich habe gelernt, mich zu akzeptieren. Mir ist es wohl geworden in meiner Haut. Und das kommt davon, Vater geworden zu sein. In uns allen steckt ein Zweijähriger. Aber wenn er 30 Jahre alt ist, hat sich der Zweijährige eine Million Schutzmäntel umgelegt, um sich vor der bösen Welt zu schützen. Undjetzt hast du plötzlich einen kleinen Sohn, und der Zweijährige in dir springt aus seiner Schale und schreit: ,Wahey!‘ Wir sind eine Popband, ich schreibe Pop songs, und ich bin stolz darauf, ja, der Kleine hat ziemlich was ausgelöst!“ ->

-> Eigentlich hatte Brian Eno die CD produzieren sollen. „Mir schwebte dieses U2-Ding vor: Drauflosspielen, dann einige Typen aus dem Material einen Song herausarbeiten lassen und die Texte reinschreiben.“ Der Prozess brachte nicht die gewünschten Resultate, dafür eine unerwartete Einsicht. Vierundzwanzig Stunden lang habe man ununterbrochen musiziert, im Eno-Stil – und am Schluss habe Healy eines erkannt: „Frannie, sagte ich zu mir -geh zurück in dein Schlafzimmer und schreib einpaar verdammte Songs! Schreib! Denn es ist nicht schwer! Es war eine meiner wichtigsten Einsichten seit sechs Jahren.“ Das Songschreiben habe begonnen, ihn richtig zu ärgern. So leicht sei es damit ja auch wieder nicht: „Man wühlt sich tagelang durch eine Menge Scheiße hindurch, man schwitzt, und es kommt nur Stuss heraus, man meint, man würde nie mehr einen Song hervorbringen. Aber ich merkte, dass die U2-MethodefüreineStadion-Rock-Bandfunktionieren mag, für mich funktioniert sie nicht. Ich will, dass die Leute eine intime Beziehung zu meinen Songs haben können. Und das geschieht nur, wenn die Lieder auf eine intime Weise entstanden sind. Ich, in meinem Zimmer, der das Lied schreibt-du in deinem Zimmer, der es sich anhört.“ Brian Eno wurde nach Hause geschickt. Die Scheidung war freundschaftlich.

„Es ist großartig, dass ich ihn jederzeit anrufen darf- hey, Eno, wie geht’s?“ In der Tat habe er ihm kurz nach der Geburt des Sohnes per E-Mail mitgeteilt, dass er dem Baby Enos MU-SIC FOR airports auflege. Da sei von Eno der ernste Rat gekommen, music for airports sei zwar nicht schlecht, aber ein anderes Album eigne sich besser („ich weiß nicht mehr, welches“, gesteht Healy).

Statt EnO Oder garTchad Blake, der bei 12 MEMORIES an den Reglern gesessen hatte, holte man Nigel Godrich: den Mann, der für seine Radiohead-Produktionen bekannt ist, der schon oft mit Travis gearbeitet hat und mittlerweile ein Freund ist. „Wir setzten Nigel ein wie ein teures Effektpedal“, grinst Healy und zitiert das Beispiel von „My Eyes“. Der Song sei eigentlich fertig gewesen, aber etwas habe noch gefehlt. Man habe Godrich eingeladen, ins Studio zu kommen, „nurfür eine Stunde“. Er habe sich das Lied ein paar Mal angehört und die Band von dannen geschickt. Eine halbe Stunde später war seine Arbeit beendet. „Er hatte einen Schlagzeugeinsatz von der Mitte des Stückes an den Anfang gesetzt. Er hatte einen Melodiefetzen herumgeschoben. Er hatte den Refrain zum Intro umfabriziert und dazunoch die Streicher so umgestellt, dass sieauf einmalden ganzen Song prägten. Das war’s! Aus einem gewöhnlichen Song war ein besonderer Song geworden.“

Aber zurück zum Live-8-Konzert: Healys Beitrag reduzierte sich nicht auf einen kurzen Auftritt mit anschließender Champagnerparty. Vielmehr setzte er das ganze Band- und Live-Aid-Revival mit einem spontanen Ausspruch überhaupt erst in Gang. Ein Boulevard-Journalist hatte ihn gefragt, ob er bei einer Neuauflage von Band Aid, die gerüchteweise in der Luft lag, dabei wäre. „Selbstverständlich“, sagte Healy, und am nächsten Tag lautete die Schlagzeile: „Travis nehmen die neue Band-Aid-CD auf.“ „Der Manager rief mich an:,Frannie, wie meinst du das?’Ich weiß doch nichts, ich meintedoch nur.'“Nun nahm die Sache ihren Lauf. Healy legte sich ins Zeug: „Ich rief all die anderen Bands an, versuchte sie zu motivieren und zu koordinieren. Denn ich erinnerte mich ans erste Band Aid, das war für mich ein echter Wow-Momentgewesen. Ich hoffte, dass uns etwas Ähnliches gelingen würde.“ Bald regierte allerdings der Frust. Healy merkte, dass es vielen anderen Bands nur auf den PR-Aspekt ankam.

.Aber dann sagte ich mir: Hey, das ist völlig egal, was zählt, sind die Resultate.“ Schließlich fuhr er selber in den Sudan. „Ich hatte rumgemotzt, dass all diese Stars die ganze Geschichte als ein nettes Stück Nostalgie behandelten und dass niemand auch tatsächlich nach Afrika ging. Aber wie konnte ich meckern, wo ich selber nicht da gewesen war?“ Healy tat sich mit der Organisation Save The Children zusammen und fuhr los, drehte ein Video-Tagebuch und sorgte für weitere Publicity für die gute Sache. Acht Monate später bereiste er das Land ein zweites Mal, um die Veränderungen zu begutachten, die das Band-Aid-Geld gebracht hatte. „Ich habe im Leben noch nie so starke Menschen kennen gelernt wie dort“, sagt er. Die restlichen Travis-Mitglieder seien keineswegs begeistert gewesen, als er vorschlug, das Live-8-Publikum mit „Stayin‘ Alive“ zu amüsieren. „Neil war’s egal, aber Andy und Dougie sträubten sich. Sie glaubten, die Leute würden meinen, wir machten uns lustig. Dabei gab es doch keinen treffenderen Songtitel als .Stayin‘ Alive‘! Außerdem haben gerade die Sudanesen einen großartigen Sinn für Humor. Sie brauchen ihn auch – ihre Situation ist so beschissen.“

Derlei Gegensätze haben auch Einzug in sein Songwriting gehalten: „Das Süße und das Bittere gehören ins selbe Glas. Ich versuche, mit meinen Songs beiden Seiten meines Charakters gerecht zu werden. Ich sehe in düstersten Dingen auch den Humor. Meiner Meinung nach sollte in einem guten Lied beides stecken, Düsternis und Humor. ,My Eyes’etwa dieses Lied handelt davon, wie ich mich auf die Geburt meines Sohnes freue. Und mittendrin singe ich: ,Ich habe Angst vor dem Sterben‘. Mitten in einem Popsong! Ich hatte mich schon gefragt, ob das vielleicht ein bisschen zu weit ging. Aber es stimmte ja. Das Kindwirdgeboren, man ruflalle Freunde undVerwandten an, danngeht man zum Standesamt und registriert die Geburt. Ein Mensch stirbt, man ruft alle Freunde undVerwandten an, dann geht man zum Standesamt und registriert den Tod. Man kann der Dualität nicht ausweichen. Mit iz memories schrieb ich mireineLastvon den Schultern. Jetzt habe ich die Gewissheit, dass ich über alles Lieder schreiben kann. Ich bin zuversichtlich, dass es funktioniert, wenn nur die Melodie stimmt.“

Und wenn der Schal richtig geknotet ist. >» www.travisonline.com —