Angriff der 200-Meter-Frau: Beyonce
Du bist perfekt, makellos! Du bist besser als gut! Du bist die Perfektion! Nur warum bleibt da so eine Leere zurück?
Staunen! Staunen! Kopfschütteln! Oh und Ah, von der ersten bis zur letzten Minute! Und immer wieder: Applaus! Beyonce ist einfach umwerfend. Ein unwiderstehlicher Star: Sie ist charmant, schön, stark, liebenswert, sexy – auf eine selbstbewusste, emanzipierte Art natürlich -, und ihre Gesangstechnik ist brillant. Wo werden solche Menschen gemacht? Entstieg sie einem Genlabor, als sie um kurz nach 21 Uhr wie eine Göttin aus der Unterwelt langsam und lasziv aus einem rauchenden Loch im Bühnenboden kam? Ist sie ein makelloser Klon, zusammengestellt von herzlosen Wissenschaftlern nach den Vorgaben der amerikanischen Unterhaltungsindustrie? Oder ist sie nur ein äußerlich besonders geglücktes, innerlich aber womöglich bedauernswertes Exemplar Mensch, das nach jahrzentelangem Drill nun die Höchstleistungen zu bringen im Stande ist, die ihr Vater von ihr verlangt?
Dass die knapp zweistündige Show selten wirklich berührt, ist nicht allein ihre Schuld. Beyonce ist stimmlich eine der bemerkenswertesten Soulsängerinnen unserer Zeit, doch mangelt es ihr an wirklich erstklassigem Repertoire. Die Hits – und von denen hat sie inzwischen genug – sind unterhaltsam („Survivor“, „03 Bonnie & Clyde“, „Ring The Alarm“, „Bootylicious“, „Beautiful Liar“, etc. etc.), viele der gefühlvolleren Nummern aber schlagen nicht ein: Die R’n’B-Balladen und Midtempo-Songs sind oft im Aufbau zu beliebig und im Gehalt zu seicht, um wirklich ans Herz zu gehen.
Auch rufen große Gesten nicht notwendigerweise große Gefühle hervor: Beeindruckt, aber emotional distanziert beobachtet man Beyonce dabei, wie sie sich für das Publikum verausgabt, wie sie Outfits wechselt, sich in Posen wirft und sich mehrfach in schwierige Choreographien ihrer Tänzer scheinbar mühelos eingliedert. Wie kann es sein, dass man selbst dann noch ungerührt bleibt, wenn sie am Ende von „Speechless“ aus jedem Auge eine perfekte Träne presst? Warum ist es ungleich bewegender, eine Aufzeichnung der Ike-and-Tina-Turner-Tournee von 1971 auf DVD anzusehen? Beyonce hat Volumen in der Stimme, eine erstklassige (lediglich aus Frauen bestehende) Band, doch sie hat keinen Ike, der mit dem Anflug eines Lächelns neben Tina stand, wenn die mit geschlossenen Augen und schweißnassem Gesicht „I’ve Been Loving You Too Long“ sang. Beyonce hat alles, aber vielleicht noch nicht genug Lebenserfahrung, um ihren Songs Bedeutung zu verleihen. Dass ausgerechnet ein Ausschnitt aus Gnarls Barkleys aus dem Ärmel geschüttelten Geniestreich „Crazy“ einen der wenigen Gänsehaut-Momente des Abends beschert, ist bezeichnend: Soul ist 2007 noch immer das Wort für Seele, nicht für Perfektion.
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