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August 1969: Es war im legendären Rocksommer mit dem „Woodstock“-Festival, als auf dem deutschen Zeitschriftenmarkt eine Lücke geschlossen wurde: Nicht aus dem vermeintlichen „Popmutterland“ England kam die von deutschen Rockfans heiß ersehnte Neuerung, sondern aus Holland – dort veröffentlichte der Konzertveranstalter Paul Acket schon seit 1955 das Magazin Muziek Expres, nicht zuletzt mit dem Hintergedanken, damit seine Veranstaltungen wirkungsvoll zu bewerben. Wegen der stetig wachsenden Nachfrage aus dem Nachbarland Deutschland produzierte Acket nach einiger Zeit auch Ausgaben, die Artikel in deutscher Sprache auf einem beigelegten Textblatt enthielten. Im Sommer 1969 schließlich mietete er Büros in der Kölner Südstadt an – dort entstand die erste rein deutsche Ausgabe des MUSIKEXPRESS, die im August 1969 erschien. Die Rockmusik stand in jenem Sommer in voller Blüte, war aber noch lange nicht im kulturellen Mainstream angekommen. Schallplatten wurden noch meist in Radiofachgeschäften verkauft und unterlagen (wie heute Bücher) einer gesetzlichen Preisbindung, LPs kosteten 22 Deutsche Mark. Ein spezialisiertes Rockradio war damals in Deutschland undenkbar (wer Hipperes hören wollte, musste auf AFN, BFBS oder Radio Luxemburg ausweichen). Außer dem legendären „Beat-Club“ gab es kaum Sendungen im Fernsehen, in denen progressive Popmusik eine Rolle spielte. Kein Wunder also, dass man den frühen ME-Ausgaben anmerkt, dass es für viele Leser erstmal darauf an kam, ihre Helden überhaupt woanders zu sehen als auf den Plattencovers. Die holländische Abstammung sorgte in den ersten Jahren noch für das überproportionale Featuren holländischer Künstler wie Seemon & Marijke, Shocking Blue und Golden Earring. Schon früh spielte im ME das Thema Mode eine Rolle – da führte etwa 1973 die damalige „Miss TV Europe“ und spätere „Emanuelle“-Darstellerin Sylvia Kristel Bademode vor, und auch Chefredakteur Ruud van Dulkenraad war in einer Strecke als Model zusehen. Konkurrenz gab es im ersten Jahrzehnt außerdem 1965 erstmals erschienenen Marktführer POP wenig: Der wichtigste Mitbewerber war Sounds, schon 1967 gegründet und anfangs eher am (Free) Jazz orientiert. Immer etwas „intellektueller“ und stärker im Popdiskurs verhaftet als der MUSIKEXPRESS, legte die Sounds-Redaktion ab etwa 1978 ihren Schwerpunkt auf Punk und New Wave und avancierte in der Folge zu einer Art Zentralorgan der Neuen Deutschen Welle, während sich POP zunehmend dem Teeniemarkt annäherte. So genoss der MU-SIKEXPRESS durch die 70er Jahre hindurch eine geradezu monolithische Stellung als praktisch einziges generahstisch angelegtes Magazin für den engagierten Popfan. Eine Zeit, in der sich das Heft ungestört entwickeln, immer professioneller und journalistisch fundierter werden konnte. Ab 1973 entstanden die Hefte unter demselben Dach wie Sounds, beide Redaktionen arbeiteten im Hamburger Stadtteil St. Georg in friedlicher Koexistenz: der ME deutlich populärer, Sounds immer mit dem Blick auf die musikalische Innovation. Mit dem Beginn der 80er allerdings gerieten die Dinge in Bewegung: Zunächst wurde das Zeitschriftenangebot immer vielfältiger, 1980 etwa wurde Spex gegründet, bis Mitte der 80er blühte die Stadtpresse mit zahlreichen Neugründungen quer durch die Bundesrepublik auf, und das neue Phänomen der kostenlosen Kundenzeitschriften für den Plattenhandel veränderte die Musikpresse-Landschaft. Ungleich größere Auswirkungen auf die Medienwelt hatte ab 1984 allerdings das Entstehen des Privatfunks in Deutschland, durch den Popmusik (und Informationen darüber) immer leichter zugänglich wurde – im Hörfunk wie im Fernsehen. Ab 1987 sendete das sechs Jahre zuvor in den USA gegründete MTV in Europa, wurde nach und nach auch in Deutschland in die Kabelnetze eingespeist – nicht ohne Folgen für die Musikmagazine, die von Medienexperten jetzt bedrängt wurden, sie müssten ebenfalls „Häppchen“ oder besser gleich „gedrucktes MTV“ servieren, um gegen die Flut der Clips bestehen zu können. Beim ME hatte sich in der Zwischenzeit ohnehin einiges getan: Der Schweizer Verleger und ehemalige POP-Chef Jürg Marquard hatte das Magazin 1983 gekauft und mit dem am Kiosk schwächelnden Sounds fusioniert – unter dem Logo ME/Sounds wurde das Heft fortan in München produziert. Der Wettbewerb um die ernsthaft pop-interessierte Leserschaft blieb trotz der Fusion lebendig: Mit der Gründung des deutschen Rolling Stone trat 1994 im zweiten Anlauf ein neuer direkter Konkurrent mit ähnlicher inhaltlicher Ausrichtung auf den Plan, im Verlauf des Jahrzehnts ergänzten zahlreiche Genremagazine das Kioskangebot. Seit Anfang 2000 gehört das Magazin zum Axel Springer Verlag und heißt seitdem wieder Ml’SIKRXPRKSS. Im Herbst 2002 schlüpfte auch der Rolling Stone unter das Dach des Verlags – wie in den 70er Jahren in Hamburg arbeiten nun wieder die Redaktionen der zwei führenden deutschen Musikzeitschriften im selben Haus und in sportiv-freundschaftlicher Rivalität an ihren Heften und den multimedialen Angeboten. Schon im August 1979 hatte der MUSIKEXPRESS erstmals mit einem dem Heft beigelegten Tonträger experimentiert – ei ne sogenannte „Flexidisc“, eine Schallfolie mit zwei angespielten Titeln von Peter Tosh, die auf der Titelseite stolz mit „In diesem Heft steckt 1 Peter-Tosh-Schallplatte“angekündigt wurde. Im April 1996 erschien der ME erstmals mit einer CD: „ME/S New Sounds“. Ab Juli 1997 wurde die „CD im ME“ unverzichtbarer Bestandteil des Blatts, indem sie eine Auswahl der im Heft besprochenen Musik hörbar werden lässt. Gelegentlich machte der MU-SIKEXPRESS auch im Buch- und Plattenhandel von sich reden etwa 2001 mit der Buch- und CD-Edition „Made in Germany – die hundert besten deutschen Platten“ in Kooperation mit dem Hannibal-Verlag. Im Jahr 2002 begann www.musikexpress.de seine Aktivitäten und ist heute mit der großen, sehr lebhaften Community sowie vielen tagesaktuellen und audiovisuellen Angeboten die wichtige elektronische Hälfte des ME. Schließlich gehört auch die monatliche Partyreihe „ME-Klub“ mit den ME-Redakteuren als DJs zum bunten Leben rund um das gedruckte Magazin. Immer wieder veröffentlicht der ML’SIKEXPRESS auch Sonderhefte so erschienen eine Zeit lang die Jahresrückblicke in Form von Sonderausgaben, 2004 publizierte der ME zwei sehr erfolgreiche Extrahefte über die Beatles und Led Zeppelin, und noch im Herbst 2009 soll das erste Musikexpress-Style-Sonderheft in die Ladenregale kommen. Und das MUSIKEXPRESS-Team hat noch viel vor — es bleibt spannend. Ab 2010 wird die Redaktion von Berlin aus arbeiten.
Christian Stolberg Die ME-Chefredakteure Ruud van Dulkenraad 1969 bis März 1975 Jörg Troska April 197S bis Anfang 1976 Hermann Ilaring Anfang 1976 bis Ende 1979 Dankmar Isleib Ende 1979 bis Dezember 1983 Bernd Gockel Januar 1983 bis Januar 1994 Helmut Werb Februar 1994 bisjuli 1997 Michael Weilacher August 1997 bis September 2001 Christian Stolberg Oktober 2001 bis 2009