A Complete Unknown


Hollywood huldigt dem wandelnden Enigma Bob Dylan mit dem schillernden Episodenfilm „"I'm Not There"

Der Mann ist noch viel besser als sein Ruf. Bisher gibt es keine verlässliche Quelle, die einen Hinweis darauf gäbe, ob Bob Dylan i’m not there überhaupt gesehen hat. Bei den Premieren glänzte er jedenfalls durch Abwesenheit. Kommentare des Meisters zum Film lassen sich nicht finden, Interviews werden abgelehnt. Regisseur Todd Haynes kann zumindest versichern, dass Dylan das Drehbuch nicht gelesen hat und auch nie lesen wollte. Trotzdem ist Haynes‘ außerordentliches – und außerordentlich außergewöhnliches – Biopic der erste fiktive Film über Dylan, der vom Meister selbst abgenickt wurde. Mehr noch: Er überließ dem Regisseur sämtliche Persönlichkeitsrechte und erteilte ihm umfassenden Zugriff auf den kompletten Musikkatalog. Und er stellte ihm mit Jeff Rosen seine rechte Hand zur Seite. „Ich rechne es Rosen und Dylan ungeheuer hoch an, dass er mir die Freiheit gab, den Film zu drehen, den ich machen wollte-obwohl Jeff immer auch ein Auge auf die Interessen seines Klienten zu werfen hatte“, erzählt Haynes. „Es war aber fast so, als wäre ich sein Klient, so sehr setzte er sich dafür ein, dass ich meine Vision umsetzen konnte.“

Das ist nicht zuletzt deshalb außerordentlich, weil Bob Dylan wie kein anderer geradezu besessen davon ist, die Kontrolle darüber zu haben, welches Bild die Öffentlichkeit von ihm haben soll und hat. Das ist weniger seinem Überlebensinstinkt geschuldet als einer penibel geplanten Strategie, eine Art virtueller Karriereplanung, die ihn zum vermutlich wichtigsten amerikanischen Künstler des 20. Jahrhunderts hat werden lassen. Der Mann, der Fans, Kritik, Freunden, Bekannten und der öffentlichen Meinung immer einen Schritt voraus ist… like a complete unknown, like a rolling stone … nicht zu fassen, kryptisch und enigmatisch wie seine Texte (die dann aber wieder doch so konkret sind, dass sie ein Lebensgefühl nicht nur wiedergegeben, sondern auch definiert und gelenkt haben. Immer einen Schritt voraus eben). Was letztlich auch die Stoßrichtung von i’m not there ist, einem Biopic über Dylan, das mit seinem Tod beginnt – bei jenem verhängnisvollen Motorradunfall im Juni 1966, der, wenn man so will, den Tod jenes Bob Dylan bedeutete, den man bis dato kannte und schließlich Stationen, Fantasien und Ideen seines Lebens auf sechs Dylan-Figuren aufteilt, die einzelne Aspekte seiner Persona abdecken. Wie Dyians Karriere ist auch der Film ein ständiges Spiel mit unserer Vorstellung davon, wer oder was der Mann ist, der uns erklärte, dass nur der ehrlich ist, der sich außerhalb des Gesetzes stellt. Weil Todd Haynes einen ehrlichen Film machen wollte, musste er alle Gesetze brechen, wie man eine Geschichte im Kino zu erzählen hat. Oder besser gesagt: sechs Geschichten, die ineinander verwoben sind, in- und auseinander fließen… with no direction home… Klingt komplizierter, als es tatsächlich ist. „Ich wollte keine intellektuelle Turnübung auf die Leinwand bringen“, entkräftet Haynes Befürchtungen, i’m not there könnte eine Kopfgeburt geworden sein. „Der Film musste wahres Leben atmen, musste Freude machen und Humor haben. Dylans Musik war die Garantie, dass ich das Wesentliche nicht aus den Augen verlor. Sie gab den Rhythmus vor, die Ideen. Sie hatte alles, was der Film brauchte.“ Vermutlich ist es Zufall, dass Haynes sich für den Titel seines Films ausgerechnet ein obskures Stück von Dylan aussuchte, dessen Originalbänder nicht aufzufinden waren. „I’m Not There“ entstand 1967 bei den Sessions im Keller seines Hauses mit The Band, von denen große Teile 1975 als the basement tapes veröffentlicht wurden. „I’m Not There“ war nicht mit drauf. Bis kurz vor Fertigstellung des Films musste Haynes mit einem Mitschnitt einer der alten Raubpressungen Vorlieb nehmen. Dann erhielt er eine E-Mail vom Büro von Neil Young: Im Anhang befand sich eine Originalaufnahme des Songs. Dylan hatte das Band 1968 versehentlich Young in die Hand gedrückt.

DaSS es Überhaupt zu all dem kommen konnte, war einer einzigen Din-A-4-Seite zu verdanken. „Ohne Dylans Zusage hätte es keinen Film gegeben. Punkt. Ohne seine Musik wäre er nicht machbar gewesen. Es ging um Alles oder Nichts“, sagt Haynes kategorisch. Er weiß, wovon er spricht: Die Aufführung und Verbreitung seines ersten Films, Superstar von 2987, in dem er das Leben und Sterben an Bulimie von Karen Carpenter mit Barbie-Puppen nachstellte, wurde von deren Bruder Richard untersagt; sein Glamrock-Movie velvet Goldmine hätte beinahe gekippt werden müssen, weil David Bowie nicht bereit war, die Verwendung seiner Songs für den Film abzunicken. Entsprechend blank lagen Haynes‘ Nerven, als man sich 2002 um einen Kontakt zu Dylan zu bemühen begann. Dylans Sohn Jesse, selbst ein Filmregisseur (american pie 3 geht auf sein Konto), stellte den Kontakt zu Jeff Rosen her. Laut Produzentin Christine Vachon signalisierte Rosen umgehend Interesse und bat darum, Haynes solle alle seine Arbeiten zur Sichtung vorbeischicken. Und er sollte auf besagter Din-A-4-Seite seine Ideen für den Film zusammenfassen. Sowohl Jesse Dylan als auch Rosen gaben ihm wertvolle Ratschläge.

„Sie haben mir vor allem gesagt, was ich nicht tun sollte“, erinnert sich der Filmemacher. „Ich sollte auf jeden Fall die Ausdrücke .Genie‘ und .Stimme einer Generation‘ vermeiden, und ich sollte seinen Namen und seine Musik nicht erwähnen.“ Stattdessen eröffnete er seine Erklärung mit Zitaten von Rimbaud („Ich ist ein Anderer“) und Dylan-Biograph Anthony Scaduto und stellte danach in seiner typisch verklausulierten Weise dar, was i’m not there werden sollte. „Es las sich wie ein Thesenpapier an der Um“, erzählte Haynes dem New York Times Magazine. In Hollywood hätte man ihn für einen solchen Pitch aus dem Büro gejagt. Dylan aber sagte zu. „Wir haben alles bekommen“, sagt Haynes, scheints immer noch verwundert über sein Glück.

Mag Sein, daSS Dylan die Idee erregend fand, sein Leben ausgerechnet von der intellektuellen Ga-Uonsfigur des New Queer Cinema verfilmt zu sehen, fernab jeder Form von abgegniedeltem Rocktistentum. Und bevor die humorlosen Traditionalisten und Experten gleich wieder aufgreinen, Dylan sei als Erz-Hetero als Thema für jedwede Form von Gender-Diskussion das denkbar falscheste Objekt, muss gesagt werden: Diese hat Haynes auch gar nicht vor. Wohl aber versteht er, dass der größte Provokateur der Rockgeschichte, der sehr gut um die Wirkung eines gezielten Schockeffekts weiß, seine diebische Freude daran haben dürfte, wenn er gerade in seiner grausamsten und maskulinsten Phase ca. 1966 von einer Frau – Cate Blanchett – gespielt wird. „Er hat damals auf keinen Fall nach seiner femininen, weicheren Seite als Mann gesucht. Dafür gibt es viele Gründe, es hat aber vor allem mit der Amphetamin-Kultur zu tun, die einen sehr bitter, leicht entzündbar macht. Und doch findet sich stets auch eine ungeheuerliche Verletzlichkeit, gerade aus der Angst heraus, entdeckt, enttäuscht oder missverstanden zu werden, von der Presse, von Fans, von Freunden.“ Und dann sagt Haynes die entscheidenden Worte. Über seinen Film. Über Dylan. Über unsere Vorstellung von ihm: „Eines hat mich immer gewundert bei einem Menschen, der sein Schicksal in so souveräner Weise kontrolliert wie Dylan es getan hat: Warum hatte er Angst, als etwas bezeichnet zu werden, was er nicht ist, wenn er doch niemals der war, der er ist?“

>» www.imnotthere-movie.com (Filmbesprechung siehe „Kino“ Seite 102)