Interview

Ahzumjot im Interview: „Bei Majorlabels bist du als Künstler nur ein Angestellter“


„Im HipHop wird eher selten für die Allgemeinheit gekämpft“: Wir sprachen im Interview mit dem Rapper und Produzenten Ahzumjot darüber, wie es sich in einem absolut schalldichten Raum anfühlt, über mögliche Konzerte unter Corona-Bedingungen, Egos im Deutschrap, die Zukunft von Musiklabels und sein neues Remixtape WACH.

Ahzumjot kennt die Welt der Major-Labels und hat ihr den Rücken gekehrt – mit Erfolg. Seit seinem Albumflop und dem Vertragsende mit Universal Music, produziert Ahzumjot seine Musik wieder von zu Hause aus, spielt erfolgreich Konzerte und bringt mit seinen EPs, Remixtapes und organischen Album-Konzepten, bei denen seine Hörer*innen die Entstehung einer Platte direkt mitverfolgen können, ungewöhnliche und erfrischende Projekte auf den Weg. Seine Qualität verortet der Musiker aber vor allem auf der Bühne im direkten Austausch mit dem Publikum. Diese Erfahrung blieb Ahzumjot aufgrund der anhaltenden Corona-Pandemie in diesem Jahr verwehrt. In dieser Zeit entdeckte er das Live-Streaming-Videoportal Twitch als interaktive Plattform zur Musikproduktion für sich, setzte bei Instagram ein politisches Statement zur aktuellen Lage der Live- und Kulturbranche, veröffentlichte die EP ALLEINE WACH und setzte ich im Rahmen eines Experiments der Initiative #savethenight in einem schalldichten Raum einer absoluten Stille aus. Über all diese Erfahrungen sowie über sein neues Remixtape WACH, das in Zusammenarbeit mit seinen Hörer*innen entstand, sprachen wir mit ihm im Interview.

Musikexpress.de: Du hast zusammen mit anderen Künstler*innen und Leuten, die mit der Club-Kultur verwachsen sind, längere Zeit in einem komplett schalldichten Raum verbracht. Wurdest Du für dieses Experiment speziell ausgesucht?

Ahzumjot: Die Anfrage vom Sponsor Jägermeister basierte wahrscheinlich auf meinem Statement bei Instagram. Ich wurde bestimmt nicht ohne Grund da reingeholt.

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Sicherlich eine ungewohnte Erfahrung für Dich.

Für mich war das definitiv eine außergewöhnliche Erfahrung, denn in so einem Raum der absoluten Stille war ich vorher noch nie. Das war was anderes als eine nächtliche Stille. Da ist man wirklich sehr auf sich selbst fixiert. Man muss zugeben, dass die vergangenen Monate natürlich auch sehr still waren. Aber in diesem Raum wurde diese Stille ad absurdum getrieben.

Wie lange warst Du insgesamt da drinnen? Hast Du auf die Uhr geschaut?

Das wurde mir nicht gesagt. Aber ich habe da so einen Trick aus meiner Kindheit. Wenn ich nichts zu tun habe, lasse ich in meinem Kopf einfach Songs abspielen, die ich mag und singe dazu. Und da ich in dem Raum ein komplettes Kanye-West-Album durchgerappt habe, kann ich mir vorstellen, dass es schon sehr lange war. In dem Raum blieb mir auch nichts anderes übrig. Ich habe erst mal versucht zu schlafen, aber selbst das ging nicht.

Jetzt steckt man Künstler*innen und Journalist*innen, die sich viel mit Musik beschäftigen in einen Raum der absoluten Stille – als Metapher für das Verschwinden der Kultur. Müsste man nicht eigentlich Leute, die Musik und Kultur als selbstverständlich betrachten, dieser Stille aussetzen?

Absolut! Ich habe danach mit meinem besten Freund, der auch gleichzeitig mein Keyboarder ist, über das Experiment gequatscht. Der meinte, es wäre eigentlich gut gewesen, die Leute da rein zu stecken, die dem Ganzen einen Wert absprechen und sagen: „So wichtig ist das doch gar nicht.“ Es wäre vielleicht noch interessant gewesen, mit Leuten, die diesen Wert nicht kennen oder vielleicht nur unterbewusst wahrnehmen, dasselbe zu machen wie mit uns.

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Würdest Du die These unterstützen, wenn ich sage: Der Wert der Musik wird erst empfunden, wenn sie nicht mehr da ist?

Das trifft natürlich zu, aber nicht nur in diesem Fall. Man weiß ja immer erst Dinge zu schätzen, wenn sie nicht mehr vorhanden sind. Genauso ist es mit der Gesundheit. Wenn man schwer krank ist, wünscht man sich auch, man hätte die Zeit davor mehr genossen. Das ist ein natürlich krasser Vergleich. Aber es macht klar, wie selbstverständlich und allgegenwärtig einem gewisse Dinge sind. Mit Kunst und Kultur ist es im Grunde genau dasselbe.

So krass ist der Vergleich gar nicht. Musik hat ja auch therapeutische Zwecke.

Klar. Ich bin selbst jemand, der Musik therapeutisch nutzt. Und wenn jemand wie ich seine eigenen mentalen Kämpfe in der Musik thematisiert, ist das auch therapeutisch für denjenigen, der es hört. Also auch für Leute, die keine Musik machen.

Würdest Du Deinen Gehörsinn Deinem Sehsinn vorziehen?

(lacht) Ich weiß beides sehr zu schätzen. Ich will jetzt nicht behaupten, ich könnte auf meine Augen verzichten. Auch weil ich sehr abergläubisch bin. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ist, wenn es dauerhaft still ist, kann mir aber auch nicht vorstellen, wie das ist, wenn alles plötzlich schwarz ist. Trotzdem ist die Vorstellung nichts mehr zu hören der absolute Horror. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen könnte. Für mich ist Hören, Musik und Kommunikation einfach alles.

„Für mich ist Hören, Musik und Kommunikation einfach alles.“

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Jetzt herrscht für 2021 immer noch Planungsunsicherheit was Konzerte und Festivals angeht. Der Rapper Lupe Fiasco hatte kürzlich die Idee, nur noch Fans, die nachweislich gegen Corona geimpft sind, auf seine Konzerte zu lassen. Was hältst Du davon?

Oh Gott! Das ist ja fast diktatorisch. Das geht nicht. Ich bin auch absolut kein Impf-Gegner. Aber das kannst du doch niemandem vorschreiben, sich impfen zu lassen. Aber Lupe Fiasco hat sowieso eine fragwürdige Entwicklung hinter sich, deshalb wundert mich das Statement jetzt nicht. Aber nein. Das ist absolut hanebüchen. Das kann man nicht sagen.

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Wäre für Dich „Moshpits mit Mindestabstand“ die bessere Variante? Das war zumindest Dein Vorschlag auf Twitter.

Das war natürlich sehr zynisch und ironisch gemeint.

Aber Du musst zugeben, dass man sich irgendwie über diese Themen Gedanken macht, wenn es um Konzerte im nächsten Jahr geht. Über Formen, die mit den aktuellen Maßnahmen irgendwie konform sein können. Hast Du da andere Ideen?

Das ganze Jahr habe ich damit verbracht, mir Gedanken darüber zu machen. Ich kann natürlich keine Lösung für die Allgemeinheit finden. Aber für meine Shows wäre das halt sehr wichtig. Ich bin ein Künstler, der sehr von diesem Live-Geschäft lebt. Meine ganze Karriere basiert darauf. Dort habe ich meine Fans gewonnen. Dort bricht mir natürlich gerade extrem was weg. Sollten Konzerte und Shows nächstes Jahr unter den normalen Umständen auch nicht stattfinden können, muss ich mir halt was überlegen. Möglich wäre eine Tournee im Sommer, wo man mehr unter freiem Himmel spielt. Auch könnte man insgesamt ruhigere Set-Ups spielen. Sitzkonzerte wie bei James Blake. Das wäre ein Plan, der noch nicht ganz ausgereift ist. Aber wir werden nächstes Jahr definitiv in irgendeiner Form live spielen.

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Du bist in meiner Wahrnehmung immer noch der einzige Rapper, der sich zu der katastrophalen Lage in der Live- und Kulturbranche geäußert hat. Kennst du andere Rapper, die nach Deinem Statement Lust bekommen haben laut zu werden oder kurz davor sind?

Es muss natürlich nicht sein, dass jetzt jeder ein 10-Minuten-Statement produziert wie ich. Ich habe auch nicht viel neueres gesagt als Till Brönner (Der Trompeter hatte erst eine Woche vor Ahzumjot ein ähnliches Statement produziert, das viral ging; Anm. d. Red.) Auch habe ich wahrscheinlich ein paar Zahlen von ihm aufgegriffen, die letztlich auch nicht ganz richtig waren. Der Unterschied war, dass Till Brönner wirtschaftlich argumentiert hat und ich eher auf einer emotionalen Ebene. Diese emotionalen Themen sind allerdings weniger streitbar als wirtschaftliche Zahlen. Aus dem Rap-Bereich habe ich viel positives Feedback bekommen. Aber es gab leider niemanden, der seine Stimme noch erheben wollte.

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Die waren wahrscheinlich froh, dass Du das übernommen hast.

Ich freue mich auch darüber, wenn Künstler*innen wichtige Statements zu bestimmten Themen setzen, die ich dann nur noch teilen muss. Hier war das dann anders, weil es ja sonst niemand gemacht hat.

Würdest Du sagen, dass es unter Rappern zu viele Einzelkämpfer gibt, die nur auf ihre eigene Karriere schauen und mit sich mit Solidarität schwer tun?

Zu 100 Prozent. HipHop ist natürlich ein Genre, das viel gestreamt wird. Bei vielen kommt da noch genügend Geld bei rum. Auch ich kam dieses Jahr einigermaßen klar. Es geht aber nicht um die Rapper, die auf der Bühne stehen. Es geht um alles, was dahinter steht. Leider spielen auch Egos im HipHop eine wahnsinnig große Rolle. Es heißt oft: „Ich gegen den Rest der Welt.“ Es kann durchaus sein, dass dieses Verhalten auch daher kommt. Im Deutschrap wird eher selten für die Allgemeinheit gekämpft oder gesprochen.

Es heißt im HipHop oft: „Ich gegen den Rest der Welt.“

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Es rappt auch niemand wirklich über eigene finanzielle Probleme.

Meistens hörst du eher: „Ich war mal arm, aber schau mal, was ich mir jetzt leisten kann.“ HipHop will oft übertrieben cool, unnahbar und unantastbar wirken. Da wird leider nur selten über persönliche Schwächen gesprochen. Und am wenigsten über finanzielle Schwächen.

Dein aktuelles Remixtape WACH ist im direkten Vergleich ein sehr nahbares Projekt. Es ist als Open-Source-Projekt in Zusammenarbeit mit Deinen eigenen Hörer*innen entstanden. Hast Du es geschafft, Dein eigenes Ego hinten anzustellen?

Ja. Ich versuche generell neue Wege zu finden und auch Musik zu schaffen, die ein bisschen „out of the box“ ist. Das versuche ich schon seit Beginn meiner Karriere. Dementsprechend lag auch dieses Projekt sehr nah. Die Entwicklung war außerdem sehr organisch, weil ich bei Twitch gestreamt und meine Fans aufgefordert habe, mir Samples zu schicken, damit ich daraus live Beats produzieren kann. Diese Samples waren so gut, dass ich dachte, dass da auch gute Produzent*innen dahinter stecken müssen. Von denen habe ich mir dann Beats schicken lassen und die waren auch extrem gut. Diesen Leuten habe ich dann eine Plattform geboten und die haben sich krass darüber gefreut. Dann habe ich noch ein Forum aufgebaut, wo sich die Leute jetzt miteinander verbinden. Das sind unbekannte Rapper*innen und  Produzent*innen, die alle extrem talentiert sind und jetzt Songs zusammen machen. Daraus ist letztendlich auch das Remixtape entstanden, weil ich dem Ganzen noch mehr Aufmerksamkeit geben wollte. Ich bin kein Capital Bra mit Millionen Streams, aber die Produzent*innen, die jetzt auf dem Tape gelandet sind, hatten davor noch nie so viel Aufmerksamkeit. Da habe ich mich als Künstler tatsächlich hinten angestellt und präsentiere das Ganze nur. Aber meinem Ego tut’s jetzt auch nicht weh. (lacht)

„Ich versuche neue Wege zu finden und auch Musik zu schaffen, die ein bisschen „out of the box“ ist.“

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Diese Netzwerk-Arbeit bringt die Kultur im Grunde auch voran.

Klar. Ich komme auch daher, dass ich mir alles selbst aufgebaut habe. Ich bin ich bei einer großen Plattenfirma gelandet. Der Plan ging nicht auf. Danach musste ich mich wieder auf die Suche nach mir selbst begeben und mich hoch kämpfen. Diese Geschichte hat mir gezeigt, wie die ganze Industrie funktioniert. Da geht es um Vitamin B, Kontakte haben, Hände schütteln. Gleichzeitig hat das aber auch mit Langzeitverträgen zu tun, an die man gebunden ist. Die Zukunft sieht aber nicht so aus. Wir leben mittlerweile in einer krass schnelllebigen Welt, in der sich die Dinge so schnell ändern können. Vielleicht versuche ich mit diesen Projekten einen Ausgleich zu schaffen zu diesen starren Label-Strukturen. Das ist natürlich sehr idealistisch! (lacht)

Idealistisch ist das schon. Aber Veränderungen fangen ja in der Regel so an. Mal über ein eigenes Label nachgedacht?

Dafür braucht es dann schon wieder Strukturen und finanzielle Mittel. Das ist tatsächlich ein Gedanke, der mir nicht so fern liegt. Den trage ich auch schon länger mit mir herum. Aber das ist wortwörtlich „Zukunftsmusik“. Wenn ich das irgendwann machen sollte, dann ist klar, dass ich es anders machen würde, als wie es gerade läuft. Was die Dauer von Verträgen angeht, ist es ja schon egal bei welchem Label ein Künstler unterschreibt. Es wird wenig getestet. Stattdessen werden lange Karriere-Pläne ausgearbeitet und wenn man da raus ist, ist man Ende 50. Dieses System hat keine Zukunft.

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Nimmt einem das die Freude am Experimentieren?

Bei Labels gibt es reguläre Firmenstrukturen. Dieses Konzept ist für mich weit entfernt von dem Begriff „Kunst“. Am Ende des Tages hast du ein Angestelltenverhältnis als Künstler. Eigentlich sollte es aber so sein, dass du als Künstler die Firma bist. Alles, was um dich herum gebaut wird, sind theoretisch deine Angestellten. In der Praxis bist du aber immer in der Bringschuld. Den Vorschuss, den du bekommst, musst du einspielen. Wenn du das nicht schaffst, hast du ein Problem. Ich finde, als Künstler nimmst du eigentlich einen Lebensentwurf an, der diesem System widersprechen müsste. Das habe ich für mich relativ früh erkannt. Diese Agenda versuche ich weiter zu tragen. Vor allem dann, wenn ich irgendwann eine Plattform dafür haben sollte.

Das Remixtape WACH von Ahzumjot erschien am 4. Dezember 2020.

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