Aidas Popkolumne: I’m your biggest fan
Chappell Roan hat die Schnauze voll von übergriffigen Fans – und Aida denkt über Fantum & seine Grenzen nach.
„Wenn du irgendeine Frau auf der Straße sehen würdest, würdest du sie aus dem Auto anschreien? Würdest du sie in der Öffentlichkeit bedrängen? Würdest du zu ihr hinrennen und sagen ‚kann ich ein Foto mit dir machen?‘, und wenn sie dann sagt ‚nein, what the fuck‘, würdest du dann wütend werden?“ – Mit diesen Fragen hat es Chappell Roan vergangene Woche geschafft das Internet in Brand zu setzen. In zwei Tiktok-Videos und einem nachgeschobenen Statement auf Instagram sprach sie sich dafür aus, sie und ihre Familie und Freund*innen abseits der Bühne doch bitte in Ruhe zu lassen. Was als „Superfan“-Verhalten betitelt werde, sei übergriffig und missbräuchlich – und man solle bitte aufhören, sie mit ihrem bürgerlichen Namen, Kayleigh, anzusprechen. Slay, girl!
Letztes Jahr legte sich schon Doja Cat mit ihrer eigenen Fanbase an, jetzt erklärt es Chappell Roan noch einmal ganz ausführlich und detailliert: Die Öffentlichkeit im Allgemeinen und die Fans im Besonderen stellen überhöhte Ansprüche. Zum ersten Mal auf der ganz großen Riesenbühne des Pop- und Influencerstartums wenden sich junge Künstlerinnen offen gegen diese Entwicklung. Die Quittung kam sofort: Sie sei wohl nicht für diesen Job gemacht, was fiele ihr ein nach ein paar Minuten Rampenlicht schon Ansprüche zu stellen? Man solle ihre Songs lieber gar nicht hören, wenn sie keine Fotos mit ihren Fans machen will, dann soll sie an ihnen auch kein Geld verdienen. Extreme Aufmerksamkeit sei eben, was man bekäme, wenn man ein Star sein will.
Wirklich? Muss es so sein? Muss eine Künstlerin alles von sich preisgeben, und auch die Grenzen zwischen ihrer Kunstfigur und ihrem privaten Ich einfach so von Fans übertreten lassen? In den vergangenen Jahren wurde gerade im Kontext der Dokus über Britney Spears, der „Free Britney“-Bewegung und ihrem Buch viel über die Nullerjahre und insbesondere über den damaligen gesellschaftlichen Umgang mit weiblichen Popstars gesprochen.
Ich war ein Teenager, das Internet war für uns alle neu, und „lustige“ Typen wie Perez Hilton malten Penisse und gemeine Kommentare mit Paint in Fotos von Paparazzi hinein, die den – meist weiblichen – Sternchen am liebsten bis nach Hause folgen wollten. Hey, die Frauen wollten den Fame, oder? Und zum Fame gehört eben auch Hohn. War schon immer so, ging den Hollywoodstars der Zwanziger und Dreißiger ja auch nicht anders. Nur dass das Internet, Handkameras und neue Formen digitaler Kommunikation Räume möglicher Privatsphäre immer weiter und weiter schrumpfen lassen.
Chappell Roan ist 1998 geboren – ungefähr um die Zeit habe ich meine erste Email-Adresse bekommen und ein Familienmitglied zeigte mir, was ein Chatroom ist. Wie ein typischer Millennial brauche ich eine Millisekunde um mich zu sammeln, bevor ich in eine Handykamera rede, die typische „millenial pause“, man kennt’s. Roan dagegen gehört zu den aller-, allerersten Digital Natives – es gab für sie kein Leben vor dem Internet. Und ich würde mich sehr wundern, wenn sie jemals ein Handy in der Hand gehalten hat, dass keine Kamera hatte.
Was diesen Sommer wie ein kometenhafter Aufstieg aussah, hat in Wirklichkeit fast zehn Jahre gedauert, in denen Roan sich als Teenager erfolglos durch die Untiefen der Musikindustrie gekämpft hat, um dann irgendwann mit einem Quatschkanal auf TikTok endlich Aufmerksamkeit und Reichweite aufzubauen – um dann wiederum endlich für ihre Musik wahrgenommen zu werden.
Aber Menschen, die wir durch unseren Handyscreen kennengelernt haben, fühlen wir uns noch einmal tiefer verbunden als Hollywoodschauspieler*innen und Co. Parasoziale Beziehungen gibt es nicht erst seit es Social Media gibt, und sie sind nicht nur schlecht – aber die Intimität des kleinen Screens in unseren Händen, die persönliche Art der Kommunikation, die Anrede in die Kamera, die (theoretische) Möglichkeit, mit diesen Menschen in Kontakt zu treten (auch wenn es ab einer bestimmten Größe zur Illusion wird, weil ihr Account sowieso von Management und Medienagentur betreut wird), gibt uns das Gefühl, sie besser zu kennen, mit ihnen verbunden – ja sogar Teil ihres Aufstiegs, ihrer Karriere – zu sein. Das führt dann zu einem Gefühl der privaten Beziehung, aber auch des Ownerships.
Schon länger sehen wir, wie Fangruppen toxisch werden können, wie sie im Namen ihrer Lieblingskünstler*in bisweilen sogar andere Personen, als Konkurrent*innen wahrgenommene, Expartner*innen, wen auch immer, mobben können. Aber nicht selten trifft die überbordende Liebe der Fandom auch die Person, der diese Liebe gilt. Ein deutscher Künstler erzählte mir mal, wie schwierig es ist, mit all den Nachrichten umzugehen, die er per Instagram-DM erhält. Liebesgeständnisse, die Bitte um Ratschläge, Beichten, intime Berichte über den mentalen Zustand der Schreibenden. Und er? Will eigentlich nur seine Platte promoten. Es ist natürlich ein Privileg, so viel Liebe von seinen Fans zu erfahren – aber auch eine Bürde für alle, die dieses Level an Fame erreichen. Kein Wunder, dass die Kaulitzes sich irgendwann nach Los Angeles vertschüsst haben – da interessierte sich erst einmal immerhin keiner mehr für sie, zumindest nicht so hysterisch, wie es irgendwann in Europa geworden war, mit Fangruppen, die dem Quartett hinterreisten und vor ihren Wohnungen campten.
Für Frauen wird das ganze aber noch einmal gefährlicher, wie es so ziemlich jede Kommentarspalte, die Frauen policed zeigt. Und besonders tragisch auch der fast schon vergessene Fall Christina Grimmie: die YouTuberin wurde von einem „Superfan“ 2016 nach einem Konzert erschossen. Sie wollte ihn umarmen, er wollte sie besitzen. Als Lady Gaga 2008 „I’ll follow you until you love me“ sang, klang es nicht so tragisch wie es die Realität werden sollte.
Meine liebste Foraging-Influencerin (was soll ich sagen, ich bin in dem Alter in dem Wildkräuterwanderungen mindestens so verheißungsvoll klingen wie eine Nacht im Berghain) erzählte vor ein paar Tagen in einer Videoantwort zu Chappell Roan, dass sie nicht mehr Festivals besuchen, nicht mehr shoppen, nicht mehr ungeschminkt aus dem Haus gehen, nicht mehr ungestört im Park liegen könne. Menschen machen an öffentlichen Orten heimlich Fotos von ihr, oder rennen schreiend auf sie zu. Und das ist eine Frau, die einfach nur Wildkräuter auf Instagram sammelt.
Vielleicht hätte es uns schon zu denken geben sollen, als der von Eminem inspirierte Begriff des „Stan“ vor ein paar Jahren seine negative Konnotierung verlor und zur Bezeichnung für Über-Fans umgedeutet wurde, die sich im Fandom engagieren und alles für ihr Idol tun. Bisschen irritierend, wenn man an den creepy Stalker aus dem Lied denkt. Aber vielleicht auch eine Warnung, wohin sich Teile der Fankultur entwickeln würden. Denn natürlich sind nicht alle Fans so, die meisten checken auch, dass es zwischen ihrem Fantum und dem Leben der Privatperson hinter der Kunst eine Grenze gibt. Ich bin ein Fan von Fans: Sie sind heute mehr denn je ein ebenbürtiger Teil der Produktion von Popkultur. Aber der Grat zwischen Liebe und Obsession ist schmal.
Chappell Roan hat mit ihren Statements eine Grenze für sich gezogen: Ihr könnt meine Kunst haben und meine Künstlerinnenpersona, aber nicht mein Privatleben. Und unsere Medienwelt wäre eine gesündere, wenn wir öfter über Grenzen von parasozialen Beziehungen sprechen würden. Lässt sich der Geist des übergriffigen Stantums wieder einfangen? Good Luck, Babe!