Aidas Popkolumne: Talking ‚bout my generation
Hear ME Out: Ich habe zwei alten Männern beim Streiten zugesehen und mich gefragt: Warum sind wir nicht wütender?
Kürzlich saß ich mit zwei Wissenschaftlerinnen, die bedeutend älter waren als ich, beim Abendessen. Sie erzählten mir von ihrer Forschung, ich ihnen von meiner Arbeit, wir sprachen über Fortschritte in Sachen Emanzipation, über gesellschaftliche Rückschritte und wie viel und doch verdammt wenig sich verändert hat, seit sie so alt waren wie ich – was fast genauso lang her ist, wie ich alt bin. Irgendwann schaute mir eine der beiden in die Augen und fragte mich: „Warum ist eure Generation nicht wütender? Warum lasst ihr euch das alles gefallen?“
Das alles, damit meinte sie: kaputte Natur, kaputte Sozialsysteme, kaputte Menschen, die gar nicht mal so stille Rückkehr des Faschismus, das laute Poltern Ewiggestriger gegen alles, was sie als „fremd“ markieren, das ohrenbetäubende Aufschneiden Zukunftsfanatiker, die diesen Planeten bis zur Zerstörung ausbeuten und sich dann zum Mars absetzen wollen. Die Liste ist, ihr ahnt es, bei weitem nicht vollständig.
Wer ist der bessere Golfer?
Gute Frage: Warum sind wir nicht wütender? Als ich am gleichen Abend das Fernsehduell zwischen Joe Biden und Donald Trump gucken wollte, musste ich nach weniger als der Hälfte abschalten, und zwar nicht nur, weil ich überrascht vom Stottern Bodens war, sondern weil es unerträglich war, diesen zwei alten Männern dabei zuzuhören, wie sie sich darüber streiten, wer denn der bessere Golfer ist. I wish I was making this shit up. Aber das ist wohl die Realität, in der wir leben.
Aber genau diese völlig vom echten Leben entfremdete Episode der katastrophalen Fernsehdebatte bringt mich zur Gegenfrage, die ich mir seit dem Abend stelle: Ist es wirklich eine Generationensache? Klar, es sind Millennials, Gen Z und Gen Alpha, auf deren Nacken die Zukunft verschleudert wird – aber auch ältere Generationen leiden ganz real und jetzt schon an sozialer Ungleichheit, Klimakatastrophe und all den anderen Krisen, denen wir uns aktuell konfrontiert sehen. Es ist eine Frage der Generationenungerechtigkeit, aber auch eine soziale – vulnerable Menschen, Menschen mit weniger Vermögen und Zugang zu Ressourcen, sind die ersten, die unter jeglicher Form von Krise leiden. Und nicht jede:r Boomer:in und Gen-X-Karen hat ein Vermögen angehäuft, mit dem es sich gut die immer heißer werdenden Sommern ertragen und das immer teurere Leben finanzieren lässt.
Was aber stimmt, ist, dass es für die jüngeren Generationen weniger Chancen gibt. Der sogenannte „Chancenmonitor“, eine Studie des ifo-Instituts, ergab für 2023 dass Bildungschancen in Deutschland extrem ungerecht verteilt sind – insbesondere auch im internationalen Vergleich. Aber das ist nicht erst seit gestern so, sondern seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten bekannt, 2008 organisierte die damalige Bundesregierung unter Angela Merkel deswegen sogar einen Bildungsgipfel. Passiert ist weniger als nichts, denn stattdessen verschärft sich die Lage. Ähnlich sieht es bei anderen Parametern zu Chancengleichheit aus. Und steigende Lebenshaltungskosten, und zwar nicht nur in Großstädten, fressen jeglichen Rest an Energie, sich das bessere Leben erst für sich, und dann für alle vorstellen zu können, auf.
Die Generationenwut
Generationenwut ist nichts Neues. So wie jede ältere Generation sich ganz sicher ist, dass ihre Nachfolger die schlimmste Generation in der Geschichte der Menschheit sind, ist auch jede jüngere Generation wütend auf die vorhergehenden. The Who lieferten 1965 die Vorlage mit „My Generation“, in den Nullerjahren schrie sich Fred Durst seinen Frust aus der Seele mit Limp Bizkit nicht ganz so ikonischer Variation der The-Who-Vorlage – und vor ein paar Jahren lieferte Yungblud mit „Psychotic Kids“ eine wütende Abrechnungen mit wiederum seiner Elterngeneration, der Gen X von Fred Durst und Co.
Also, warum sind wir nicht wütender? Und zwar nicht nur Gen Z und Millennials und Alphas, sondern alle zusammen? Denn wenn eines alle Generationen miteinander vereint, dann ist es doch die Wut aufeinander. Es wäre Zeit, sie auf die Verhältnisse zu richten, die an der Misere wirklich schuld sind.