Alan Vega – Der letzte Rebell


Revolutionäre Elektronik und tanzbarer Rockabilly – Alan Vega, Cars-Verehrer und bildender Künstler im Ruhestand, kombiniert vermeintliche Gegensätze. Das Resultat: Zukunftsmusik für hier und heute.

Alan Vega wurde geboren in eine tiefe Mittelschicht. In Manhattan, New York City. Blitzschnelle Sprache und Ausdrucksweise. Da sitzt er nun – heute 1982 – mit diesem scheußlichen Spandau-Ballet-like Stirnband am Kopf. Noch geschmackloser ist diese lila-farbene Lederjacke, die an Vegas Oberkörper haftet. Doch wenn man über diese kleinbürgerlichen Attribute erst einmal hinweg ist, entdeckt man das Wichtige/Interessante/Spezifische. Nicht nur für Alan Vega.

Da steckt ein kleiner Spruch am Revers der widerlichen Farb-Leder-Jacke: REBEL & PROUD OF IT. Und, ergänzend hierzu, stellt man fest: Vega winkelt auf fast jedem Photo den linken Arm an und ballt die Hand zur Faust. „ANGRY PEOPLE WHO WANT TO FIGHT!“ („Fireball“). Alan Vega, der letzte überlebende Rebell aus den 60ern. Vega ist eine faszinierende Persönlichkeit, der auch ohne Band am Kopf und lila am Leib überzeugt. Vega hat Geschichte. Und die liegt zwischen dem elektrisierenden Stars-And-Stripes-Verbrennen a la Jimi Hendrix und dem ohrenverbrennenden Elektro-Schock-Spiel der METAL MACHINE MUSIC von Lou Reed.

Und die Geschichte kann man nicht wegwischen. 1968. Jimi Hendrix. Vietnam. Kollisions-Kurs. Auf seinem zweiten Solo-Album unternimmt Alan Vega einen 13minütigen Trip zurück in die 60er. Das Stück heißt „Viet Vet“. Vega: „Das ist Vietnam! Ich habe das Stück geschrieben, um eine Reise in diese Zeit zurück zu machen. Ich wollte den Sound zurückbringen, den ich 1968 – da war ich 20 – gehört habe. Für mich passierte eigentlich alles in den 60ern, das war die wichtige Zeit. Danach war nichts mehr. 1969 ist das Todesjahr. Und so muss es auch sein, bevor etwas Neues entsteht, muss etwas sterben. Heute ist 1982, das ist also dreizehn Jahre her und wir warten immer noch aul etwas Neues.“

Alan Vega sitzt mir gegenüber und redet von den tollen deutschen Mädchen, die er frühmorgens auf dem Weg vom Hamburger Flughafen zum Hotel in den Straßen gesehen hat. Dann philosophiert er über Coke, das die Potenz schwächt, auslöscht. Aber nur bei Männern: „Es ist verrückt, aber bei den Frauen hat es überhaupt keine Wirkung auf ihre Sexualität.“

Ende der 1960er spielte Vega in einer elektronischen Rock’n’Roll-Band, in New York. Ein anderer Auserwählter, Martin Rev, machte weit entfernten Free-Jazz mit einer New Yorker Gruppe. Bald sahen beide jedoch nur eine Sackgasse. Zwei außergewöhnliche Einzelkämpfer trafen sich zum Suicide. „Martin und ich kamen zusammen, weil wir beide in unseren Ohren einen Sound hören wollten, den es bisher auf der Welt noch nicht gab. Also mussten wir rausgehen und ihn einfach machen! Suicide war eine ganz spezielle Sache und das ist sie immer noch! Wir waren in der New Yorker Szene ein Jahr vor den New York Dolls – und Jahre, ehe der Punk hereinkam.“

Suicide, das waren Martin Rev an der Rhythmus-Maschine und Alan Vega am Mikrophon. Da sie sich keine Roadies für die Auftritte leisten konnten, wurde das Equipment darauf reduziert. Ihr Sound war ein reißender Höhlenwahntrip auf fliegendem Katzenfell durch die Schluchten einer Großstadt-Silhouette. Als würdest du abwechselnd über Speerspitzen und Seehundfell taumeln. Dieser weiche Vega-Gesang ließ jede Reise in seichtes Wasser eintauchen, obwohl Martin im Hintergrund ständig seine elektronischen Minimal-Wiederholungszeichen bedrohlich schwingen ließ.

Die ersten Auftritte des Duos, um 1972 herum, bestanden aus einem freien, 30minütigen Stück, wobei Vega nichts weiter tat, als seinen elektronischen Schrei ins Publikum zu blasen. Vega heute über Suicide: „Suicide hat versucht, auf einer politischen Ebene Revolutionäres mit Hilfe der Kunst zu verwirklichen. Suicide war live! Jeder Auftritt war Ausdruck unseres jeweiligen Gefühls, das wir an dem Tag hatten. Wenn ich mich beschissen gefühlt habe, zeigte ich’s. Fühlte ich mich cool, zeigte ich’s. Wenn wir Fehler auf der Bühne machten – und davon gab’s unzählige – dann zeigten wir’s auch. Wir ließen es einfach raus, denn wir sind menschliche Wesen und Menschen machen in dem, was sie tun, nur zehn Prozent richtig. Also habe ich ihnen 90 Prozent Fehler gegeben.“

Das Publikum spürte die Fehler und reagierte: Flaschen und Glas flogen ihnen an die Köpfe, als man im Vorprogramm der Clash und von Elvis Costello auftrat. Suicide machten noch ein zweites Album. Und 1981 erscheint das HALF-ALIVE-Tape auf dem New Yorker Cassetten-Label Roir. „Ich hasse das Tape! Die Live-Seite ist gut, aber die zweite Seite, die wir in meinem Zimmer mit kaputten Lautsprechern aufgenommen haben, ist furchtbar. Diese Aufnahmen waren als Demo-Band gedacht, das wir vor dem ersten Suicide-Album an Ric Ocasek geschickt haben.“ (Ocasek, Kopf der Pop-Gruppe Cars, produzierte das zweite Suicide-Album.)

Rückblende: Früher baute Vega Plastiken aus Licht, Fell und Müll. Neon-elektrische Komponenten, deren Materialien meistens geklaut waren. Ein Objekt war ein Kruzifix aus Holzstücken, gebogenem Draht und Zeitungspapier. Auf Knopfdruck blinkten blaue und rote Lichter. Nach einer Ausstellung in New York warf Vega die gefundenen Objekte wieder auf die Straße, wo er sie her hatte. Ashes-To-Ashes. Vega: „Mit den Skulpturen ist es wie mit der Musik: das bin ich! Ich mache keine Kunst, ich mache keine Musik, ich mache nur verschiedene Dinge. Und das ist so selbstverständlich für mich wie das Atmen. Ich bin kein Intellektueller!“ Der Alan Vega Solo-Kurs.

Vega schenkte der Heute-Zeit zwei einzigartige/brillante Rockabilly-Werke: ein elektronischer Sänger mit elektronisch behandeltem Rockabilly, der all die klassischen Rocker-Themen aufweist: „Outlaw“, „Lonely“, „Speedway“, „Ghost-Rider“. Die erste LP nimmt er mit dem texanischen Gitarristen Phil Hawk auf. „Phil spielte zuerst in so einer dreckigen Punkband – und als ich ihn zuerst sah, hörte ich bei ihm diesen Texas-Twang raus. Und ich sagte: Phil, lass uns den Texas-Twang finden. Und er bekam ihn. Ich wollte mit ihm auch mein zweites Album aufnehmen, doch er wollte auf einmal so sein wie Martin Eev, wollte Rhythmusmaschinen und all das elektronische Zeug. Außerdem wollte Phil mit Billy Idol (der Ex-Generation-X-Sänger, der heute in der New Yorker Szene herumhängt) was machen. Billy hatte von mir gehört, ich bin für ihn ein Idol! Er kennt meine ganzen Stücke auswendig, das ist unglaublich. Der setzt sich hin und singt jeden einzelnen Song runter.“

Auf COLLISION DRIVE, der zweiten LP, spielt Vega mit einer richtigen Band. Außerdem produziert er gerade das erste Album seiner Freundin Anne Deon (ihr war sein erstes Solo-Werk gewidmet). Anne Deon singt und spielt Saxophon. Außerdem soll sie sehr schön sein und sehr toll tanzen können. „Merk dir den Namen, sie wird ein großer Star sein! Sie schreibt großartige Songs und wir werden einige davon zusammen singen, sehr wild!“

Mit den Cars war Vega ebenfalls im Studio. Sie spielten vier Stunden eine Art Jam-Session: „Ich habe vollkommen frei gesungen, während Ric Ocasek am Mischpult saß. Die Leute fragen mich immer: warum magst du diese Scheiß Cars. Mann, das sind großartige Musiker! Als ich ihnen dann diese Aufnahmen vorspielte, sagten sie: wow! Das sollen die Cars sein? Und dann rannten sie nach Hause und hörten sicher nochmal die ersten Cars-Alben an!“

Vega über den Sex-Meister August Darnell, der die Vega-Songs „Outlaw“ und „Magdalena“ für eine Tanzplatte neu abgemischt hat: „Er ist ein Genie, er macht jede Sache tanzbar, ohne das Gefühl für den Inhalt, die Sexualität, zu verlieren. Bei diesen beiden Stücken habe ich auch eine Aussage drin und manchmal neige ich dazu, meine Sachen zu weit in die soziale Ecke zu drängen und dabei zu vergessen, dass wir doch vor allem sexuelle Wesen sind.“

Vega über Lou Reed, mit dem er einen gemeinsamen Freund teilt: „Als ich meinem Freund sagte, er solle Lou ausrichten, dass ich ihn für einen der größten Komponisten aller Zeiten halte, kam er mit einer Botschaft von Lou zurück zu mir und erzählte, dass Lou vor Freude, dass ihn jemand als großartigen Komponisten sieht, geheult hat. Das hat noch nie einer zu ihm gesagt.“

Für Vega gibt es vier Musikwerke, die das Größte in der Musikgeschichte sind. Absolute Meisterstücke: METAL MACHINE MUSIC, „L.A. Blues“ (von den Stooges), „The Father, The Son And The Holy Ghost“ (von John Coltrane) und „Frankie Teardrop“ (Suicide). Seine Schlussbemerkung: “ Weißt du, dass sie an der Yale Universität einen Kurs lehren nur über Frankie Teardrop?!“

https://www.youtube.com/watch?v=tONEk9YMoIw