Alles Ist Erlaubt


Auf einer Doppel-CD beweisen Bands wie Fettes Brot oder Die Toten Hosen, daß der Dub auch in Deutschland ein Zuhause hat üb in Deutschland? Die Meinungen darüber gehen auseinander: „Nimm ein deutsches Dub-Stück, fahre nach Jamaika, setz dich ans Meer, und hör es dir an. Du wirst feststellen, deutscher Dub ist oft kalt, steif und unrhythmisch. Deutschen Dub kann man viel besser mit Kraftwerk und Klaus Schulze als mit King Tubby oder Lee Perry vergleichen.“ Soweit eine Expertise von H.P. Setter. Michael Kohlbecker vom Frankfurter „Serious Dropouf‘-Label hält dagegen: „Dub in Deutschland setzt sich mit der zunehmenden Normalisierung von Cannabisgebrauch durch, weil sich dadurch die recht unoffene und unlockere Mentalität der Germanen lockert.“

Können wir’s nun, oder können wir’s nicht? Nicolai Beverungen, Deutschlands inoffizieller Botschafter in Sachen Dub, beantwortet diese Frage für sich selbst mit einem klaren Ja. Ungeachtet des Defizits an „breiten Käufermassen“ hat erdas Wagnis unternommen, die dritte Folge seiner Sampler-Reihe „King Size Dub“ der deutschen Dub-Szene zu widmen. So sind sie denn auch alle vertreten auf dieser Platte: Dr. Ring Ding & H.P. Setter, die Elektronauten und Global Youth, die Trance Vision Steppers und Ras Command, aber auch vertraute Namen wie die Toten Hosen, Nina Hagen, Einstürzende Neubauten, Die Fantastischen 4 oder Fettes Brot. Sie alle entdeckten im Laufe der Zeit ihre Liebe zu einer Musik, die vor 29 Jahren von einem jamaikanischen Sound-Tüftler namens King Tubby entwickelt wurde.

„Mit dem Dub gab es zum erstenmal eine Musik, in deren Zentrum nicht der Sänger, Musiker oder Produzent stand, sondern der Mann am Mischpult“, erklärt H.P. Setter. Das Mixing-Board wurde zu einem universellen Musikinstrument, mit dem aus formlosem Rohmaterial neue, individuelle Musikstücke geschaffen werden konnten. Dies geschah, indem die durchgängig bespielten Spuren eines Musiktracks nachträglich neu kombiniert und manipuliert wurden. „Die Reduktion eines Titels auf den ‚Riddim‘, bei dem Teile der Originalmelodie oder des Gesangs auftauchen und durch Effekte bearbeitet bzw. verändert werden, das ist Dub“, erklärt H.P. Setter. Neben dem Einund Ausblenden verschiedener Instrumente sind die Hall-, Echo- und Phaser-Effekte die wichtigsten Gestaltungsmittel des Dub. So kann ein bestimmter Mix zunächst klingen wie eine Vokal-Version, dann aber durch zunehmende Echo- und Halleffekte auf Gesang und Instrumenten langsam zum Dub werden. Zu einer Musik also, bei der schließlich nur noch das stetig treibende Schlagzeug und der Baß-Riddim aus dem Echo-Allover hervortreten. Die Wiederholungsfrequenz der Echos ist dabei sehr niedrig und erzeugt in Verbindung mit dem permanenten Hall auf Schlagzeug und Offbeat-Sektion einen mystischen, geheimnisvollen, schweren Sound.

Zuerst waren es die New Yorker Disco-Pioniere der achtziger Jahre, die das Innovationspotential des Dub außerhalb des Reggae-Universums für sich nutzten. Sie kreierten Dub-Mixes ihrer Disco- und House-Tracks, in denen sie exakt jenes kreative Repertoire einsetzten, das sie von King Tubby übernommen hatten. Einflüsse, die bis heute nachwirken: „Stilrichtungen wie Drum’N’Bass oder TripHop wären ohne den Dub nicht denkbar“, erläutert der Experte Felix Wolter und fügt an: „Dub ist keine starre Angelegenheit, er verändert sich stetig. Die Einbeziehung von artverwandtem Material gehört seit Anbeginn zum Konzept. Der Schritt von Dub zu Trance, TripHop oder Drum ‚N’Bass war daher sehr klein.“

Teil dieser Entwicklung und maßgeblicher Impulsgeber war das große englische Dub-Revival der letzten zwei bis drei Jahre: der Neo-Dub. Sein Sound ist schwer, die Atmosphäre ist dicht. Effekte hingegen werden nur sporadisch eingesetzt. „Der Neo-Dub übernimmt die Inspiration-, das Lebensgefühl und die Philosophie des frühen jamaikanischen Dub und übersetzt sie in die heutige Zeit. Wobei

Computer das Erstellen von Dub-Tracks auch im Wohnzimmer ermöglichen“, weiß Wolter.

Dub-Bands wie Alpha & Omega, Zion Train oder die Disciples aber auch House- und Dance-orientierte Bands wie die Rockers HiFi tragen das Erbe des Dub in die nächste Generation. Ihr gemeinsames Vorbild ist der britische Dub-Veteran Jah Shaka, der bereits seit den siebziger Jahren in London einen Sound kreiert, der wegen seiner spirituellen, mit fetten Bässen aber auch körperlich spürbaren Wirkung regelrechten Kultstatus erlangte. Es war Shaka, der den Grundstein legte für den neuen, britischen Dub-Stil. Denn Shaka liebt Tracks mit zähen Riddims. Für ihn ist ausschließlich der hypnotische, geheimnisvolle Sound wichtig, der aus den meterhohen Lautsprechern seines Sound-Systems quillt.

Im Neo-Dub entsteht der Dub auf direkte Weise, nicht mehr als Remix eines Song-Originals. Was zählt, ist der hypnotische Groove. „Dub ist für mich kein eigener Musikstil, sondern eher ein Produktionsstil. The Orb ist Dub und King Tubby ist Dub. Trotzdem kann man nicht beides unter demselben Stilbegriff laufen lassen“, meint Dub-Experte Michael Kohlbecker und fügt an: „Dub braucht kein Song-Original. Wir produzieren heute Dub-Tracks, von denen man dann z.B. eine Drum’N’Bass-Version mixen könnte. Das ist ja das Schöne am Dub: Alles ist erlaubt, alles ist möglich.“

Ganz offensichtlich ist dies auch das Motto der deutschen Dub-Szene, wie sie auf dem Sampler „King Size Dub Vol. 3“ vertreten ist. Hier findet man Stücke, die auf einen Originalsong zurückzuführen sind, genauso wie andere, die sogleich als Dub die Ohren der Zuhörer erreichten. „Nur in Deinem Kopf“ von den Fantastischen Vier ist ein typisches Beispiel für den Dub-Remix eines bekannten Originals. Ganz ähnlich verhält es sich bei den Einstürzenden Neubauten, deren Remix „Ostinato“ von Christian Mevs exklusiv für den „King Size“-Sampler erstellt worden ist. Weitere Beispiele sind Messer Banzani, deren Remix von Danielle Mommertz im Hamburger Sound Navigator-Studio gefertigt wurde, oder H.P. Setter, der für „King Size Dub Vol. 3“ eine seiner früheren Produktionen im melodiösen Uptempo-Stil remixt hat. Als Beispiel für den Neo-Dub stehen auf dem Samplerausdem Hause Beverungen unter anderem Di Iries, ohne die die Hamburger Dub-Szene nicht denkbar wäre. Ihr Stück ist in Kooperation mit Alpha und Omega entstanden. Aber auch Ras Command und The Vision, beide Vertreter der von Felix Wolter angeführten Dub-Metropole Hannover, zählen zum Künstlerverzeichnis des „King Size“-Samplers, der diesem Format nicht nur musikalisch, sondern mit seinen zwei CDs auch vom Umfang her voll und ganz gerecht wird.

Nina Hagen, Fettes Brot, Jam&Spoon, die Toten Hosen und die Einstürzenden Neubauten (v.l.) sind neben vielen anderen auf „King Size Dub Vol. 3“ vertreten Wo der Dub überall vorkommt, läßt sich vor allem an den unterschiedlichen Musikstilen ablesen, die auf dieser Kompilation vertreten sind. Allen voran steht natürlich der Reggae. Seinem Rhythmus folgen die meisten Stücke auf dem Sampler. Besonders interessant wird es aber, wenn Reggae sich mit anderen Einflüssen mischt. So zum Beispiel mit Drum ‚N‘-Bass-Elementen bei den Elektronauten oder aber mit HipHop bei Fettes Brot, bei den Fantastischen Vier oder bei Absolute Beginner. Mikolajewicz (Mitglied bei Fishmob) remixte seinen Track „Duschen so oft man will“ exklusiv für „King Size Dub 3“ mit spacigem Ambient-Appeal. Ton Steine Scherben dagegen steuern Deutschrock-Flair bei. Hörenswert auch die Beiträge von Nina Hagen und den Toten Hosen. Punk und Reggae gingen in den 7oern ein Stück des Weges gemeinsam. Nun bringt der Remix sie noch mal zusammen. Wie gesagt: Im Dub ist eben alles erlaubt.