Askese & Exzesse – Auf Tour mit Michael Schenker
Der große Blonde aus dem Norden gibt seinem Ruf als „mad axeman“ immer wieder neue Nahrung: Drogen-Exzesse, zertrüm-HMerte Autos, gefeuerte Manager und geplatzte Tourneen. Gleichzeitig gilt der Gitarrist in seinem Metier ms unbestrittene Korypnae. sein individueller Stil hebt ihn aus dem Heer hausbackener Hardrock-Gitarristen deutlich heraus. Aber Licht und Schatten wechseln ständig, mal zeigt er sich als Kienbrötler, dann wir als strahlender Sieger. Eines aber ist er immer: extrem. Bei seiner letzten Tournee fuhr ME/Sounds auf Schenkers emotionaler Ach-Jerbahn einige TageBayerns Hauptstadt zeigt sich von ihrer kalten Seite. Schnee und Eis, ein Wetter wie geschaffen für Ski und Rodel-Fanatiker. Nur vereinzelt gibt es Hinweise auf das große Ereignis des Abends, einen Höhepunkt der Hard’n’Heavy-Saison. Iran Maiden und, das eigentliche Ziel meiner Reise, Michael Schenker Group steht auf den Plakaten.
Bruce Dickinson, Sänger von Iron Maiden, ist der erste, der mir in der Hotel-Lobby über den Weg läuft; nach und nach kommt auch der Rest der Band. Ein wirklich internationaler Empfang, der sich da entwickelt: hier die langhaarigen Briten, dort elegant gekleidete arabische Fürsten, die sich von dem Rummel nicht stören lassen.
Der Headliner ist vollzählig, nur Michael Schenker und seine Mannen bleiben verschollen. Sie sind ausgeflogen, „zum Shopping in der Stadt“, wie mir Steve Habl, seines Zeichens Tourmanager und Organisator von MSG, erzählt. Der Mann aus New York ist auch an den folgenden Tagen die erste Adresse, an die man sich halten muß, wenn es um die Band und ihre Belange geht. Eher still, fast unsichtbar, plant er die Reiseroute, kümmert sich um Termine und Buchungen. Er wirkt wie ein Dirigent, der sein Orchester aus schottischen, englischen und einem deutschen Musiker an der langen Leine führt, was selbst einem noch so tourerfahrenen Amerikaner nicht immer leicht fällt. Jedenfalls wartet auch er ungeduldig auf die Rückkehr seiner Schützlinge.
Alle, die seit Jahren den Ausnahme-Gitarristen mit deutschem Paß und britischem Wohnsitz bewundern und ihn gern häufiger gesehen hätten, haben lange warten müssen. Bis auf wenige Abstecher hatte man sich vornehmlich auf den englischen und japanischen Markt konzentriert, sieht man von einem unerheblichen Ausflug in die Staaten ab.
Michael begründet diese Abstinenz später in einem Interview mit der verfehlten Politik und dem ständigen Wechsel des Managements. „Wir haben durch die Wechsel viel Verschleiß gehabt, drei verschiedene Manager in drei Jahren. Und damit kannst du nicht viel anfangen. Und weil ich dadurch nicht die richtigen Leute für die Gruppe finden konnte, hat das auch Nachwirkungen gehabt. Die Live-LP (ONE NIGHT AT BUDOKAN) ist die einzige Sache, die den Leuten zeigt, was wir live wirklich können.“
Ein neues, straff geführtes Management (das auch die Scorpions betreut), und eine in sich gefestigte und über die Probleme gewachsene Band sind die Basis, auf der MSG Ende ’83 die überfällige Euro-Tour unter dem Motto „Earsplitnzeeloudenboom“ in Angriff nahm.
Ohrenbetäubenden Lärm gab’s entgegen dieser Ankündigung allerdings nirgendwo, weder in Hannover, Michaels alter Heimat, wo die Tournee Anfang November begann, noch später in Spanien oder Frankreich. Statt dessen sammelte man an den meisten Orten Pluspunkte für hervorragende Konzerte. So ausgelassen war zeitweise die Stimmung, daß Michael und Chris Glen in Spanien auf der Bühne Walzer tanzten.
Zurück ins Hotel. Wo Leon ist, kann Michael nicht mehr weit sein. Die Erfahrung hatte ich schon Wochen zuvor bei einem MSG-Auftritt im Londoner Hammersmith Odeon gemacht. Damals wie heute laufen bei ihm wichtige Fäden zusammen, die direkt zum Gitarristen führen. Als eine Art „Junge für alles“ und zugleich Michaels rechte Hand versieht er seinen Job gewissenhaft, stets darauf bedacht, ungebetene Gäste fernzuhalten. Er schirmt ab oder stellt die Verbindung her – je nachdem wie seine „Order“ lautet. Wer Fragen hat, wendet sich zuerst an ihn.
Oder aber an Pamela, Michaels Freundin, die ihn seit Wochen auf Tour begleitet und kaum einmal von seiner Seite weicht.
Wenig später taucht er auf, erklärt, er müsse nach einigen Tagen Pause noch üben, um wieder richtig in Form zu kommen, sagt’s und ist im nächsten Augenblick verschwunden. Während sich die anderen, Chris Glen, der Bassist, Ted McKenna, der Drummer, Gary Barden, der Sänger, und Youngster Andy Nye, der Mann an den Keyboards, Zeit lassen, ehe man im Tourbus in die Olympiahalle fährt.
Daß hinter dem vielzitierten Image vom Großen, Unberechenbaren in Lederjacke und weißen Tennisschuhen mehr steckt als nur Show, wird gerade auf der Bühne besonders deutlich. Anfangs noch mit ausgesprochenem Eifer bei der Sache, verliert sich dieser Elan bereits nach zwei Songs, spielt und steht er scheinbar unbeteiligt vor den Boxen, so als ob die Gitarre sein einziger Halt in der riesigen Halle sei. Nicht einmal Chris Glens gutgemeinte Scherze in seine Richtung können ihn aufmuntern; der Funke will einfach nicht überspringen, die Luft ist raus – und die Band verläßt nach einer Dreiviertelstunde die Bühne ohne Zugabe.
Anschließend verkriecht man sich mit saurer Miene wortlos im Stage-Room, niemand darf stören, dafür sorgt schon Steve Habl, der an der Tür Wache steht.
Ganz allmählich glätten sich die Wogen, ist der Zutritt erlaubt, auch wenn die Stimmung noch längst nicht die beste ist. Man sieht ihnen die Unzufriedenheit über das schlechte Abschneiden an diesem Abend an.
Auffällig ist in dieser und ähnlichen Situationen, daß alle in der Band in hohem Maße anfällig sind für die Reaktionen ihres Gitarristen, auf der Bühne ebenso wie im Alltag der Tour. Mit einer Ausnahme: Chris Glen, der alte Alex Harvey-Kämpe, läßt sich seine gute Laune offensichtlich durch nichts vermiesen. Aber trotzdem ist Michael das Zentrum, ein Magnet, um den sich die Band in regelmäßigen Ups and Downs dreht.
Was er auch nicht abstreitet:
„Musiker sind eben feinfühlig. Andererseits würde ich mich zum Beispiel nicht aus der Ruhe bringen lassen, wenn Chris schlecht gelaunt wäre. Solange ich in der richtigen Stimmung bin, versuche ich das Beste aus der Situation zu machen und lebe seine Sache mit, im guten Sinne. Dann extra falsche Noten zu spiele , wäre Unsinn.
Es kommt aber vor, habe ich gemerkt, daß – wenn ich nicht in guter Stimmung bin – andere Leute auf der Bühne extra dummes Zeug spielen, um damit zu sagen: ,Oh Gott, der denkt nur an sich, bloß weil er nicht in Stimmung ist.‘ Ich ziehe mich in solchen Momenten aber nur zurück, physisch gesehen, mein Körper; das Innere versucht es immer noch, so gut es geht. „
Am nächsten Morgen ist der Ärger vergessen; Michael dreht wie immer um diese Zeit, gleich nach dem Aufstehen, seine Jogging-Runden, diesmal im Englischen Garten. Ein Kilometer pro Tag beträgt das Pensum, keinen Schritt mehr, keinen weniger; danach Frühstück und Fototermine, die er in glänzender Laune über sich ergehen läßt, während sich seine Kollegen in aller Ruhe von nächtlichen Anstrengungen in der Stadt erholen können.
Man könnte meinen, speziell Hardrock-Tourneen seien die letzte Bastion, in der die schaurigen Geschichten von wüsten Tour-Orgien noch halbwegs auf tatsächlichen Begebenheiten basierten. Das Gegenteil scheint oft der Fall. Ein Leben von Hotel zu Hotel, Ort zu Ort am Ende ist jeder froh, die monatelangen Strapazen unbeschadet überstanden zu haben. Selbst wenn die Groupies einmal Schlange stehen sollten, was allerdings auf dieser Tour selten vorzukommen scheint.
Nachmittags Abreise zum nächsten Auftritt in Nürnberg. Michael überläßt mir großzügig seinen Platz im Tourbus. Luxus, stellt man unschwer fest, ist für den Erbauer dieses Gefährts Fremdwort gewesen. Außer unbequemen Schlafkojen und Heißwasser für Instant-Getränke bleibt nur ein bescheidenes Videogerät, das etwas Abwechslung bietet. Nicht viel, doch genug, um mit Hilfe des Lieblingsvideos, einer Show des amerikanischen Komikers Richard Pryor, relativ entspannt das Ziel zu erreichen.
Im Niemandsland, weit außerhalb von Nürnberg, liegt die Hemmerleinhalle, ein Bau im Bierzeltstil, flach und für akustische Übungen scheinbar kaum geeignet.
Am Haupteingang die Souvenir-Verkäufer der beiden Bands: Iron Maidens Monster schneidet wilde Grimassen – daneben der strahlende Blick von Michael Schenker, eine lockere Geste voller Eleganz auf seiner berühmten Flying-V-Gitarre. Genauer als dieser Vergleich der T-Shirts hätte keiner den Unterschied zwischen Maidens Wucht und Masse und den präzisen und dosierten Energien der Michael Schenker Group an diesem Abend verdeutlichen können.
Der Eindruck wird durch das Konzert bestätigt, die Band präsentiert sich als homogene Einheit aus Spielwitz und Draufgängertum, immer mit dem Mut zum Risiko. Vom ersten bis letzten Song, einschließlich des Materials der enttäuschenden LP BUILT TO DESTROY (gemeint ist die in Europa veröffentlichte Fassung; die zweite, von Jack Douglas betreute und nach Michaels Angaben „viel bessere“ Version, ist bislang nur in Amerika erschienen), geht das Publikum begeistert mit und reagiert besonders bei Michaels Solo-Einlagen mit Sonderapplaus.
Kondition und der eiserne Wille, an jedem Abend und auf jeder Bühne sein Bestes zu bringen, sind die Basis für eine erfolgreiche Karriere; niemand kann das besser beurteilen als Michael selbst, ob im negativen oder positiven Sinn: „Mein Sternzeichen, überhaupt meine Persönlichkeit ist eine sehr extreme. Wenn ich etwas mache, dann richtig oder gar nicht. Wenn ich zum Beispiel Fußball gespielt hätte, würde ich heute vielleicht in der Nationalmannschaft spielen. Meine Lebenseinstellung lautet: Was ich mache, will ich richtig machen. Und wenn ich trinke, trinke ich bis zur Ohnmacht; wenn nicht, trinke ich überhaupt nichts. Ich bin nun mal sehr extrem.
Im Augenblick bin ich aller_ dings dabei, das liegt wohl am Alter, mich ein bißchen mehr zur Moderation zu entwickeln, was wohl letztlich auch gesünder ist.“
Offene Worte aus dem Munde eines Mannes, dem ständig nachgesagt wurde, er setze durch seine Exzesse und Eskapaden seinen Ruf als einer der originellsten Gitarristen aufs Spiel – und brächte auch seine junge Band um jeden Kredit. Um so erstaunlicher ist, daß er seit längerem clean lebt, das heißt weder trinkt noch raucht und auch sonst fit, souverän und zuversichtlicher denn je wirkt. Wie er sich den Umstand erklärt, daß man ihn einerseits hochjubelt und gleichzeitig fallen läßt, frage ich ihn.
„Die Leute klatschen ewig über mich, als wäre ich ein Magnet, der alle nur denkbaren Verrücktheiten anzieht. Ich meine, wenn ich aus einer Gruppe aussteige (damals bei UFO) und nach Spanien fahre, heißt es nachher, ich sei bei der Mun-Sekte gelandet. Irgendwo müssen die Leute Spaß daran haben, mich für verrückt zu erklären.
Der andere Grund, der positive, warum Leute über mich reden, ist wohl der, daß ich bis zum 17. Lebensjahr die Technik von meinen Lieblings-Gitarristen wie Jeff Beck, Leslie West, Hank Man/in geklaut habe. Bis ich mir gesagt habe: .Jetzt bin ich so weit, daß ich mich selber hören möchte‘. Ich habe mir keine Platten mehr gekauft, noch härter geübt, das ging so weit, daß ich am Tag vier Stunden meditiert, vier Stunden Gitarre gespielt und vier Stunden Schlagzeug geübt habe, 12 Stunden am Tag und dann noch zwei Stunden für meine Frau hatte.“
Sollte er es wirklich schaffen, diese Moral langfristig hochzuhalten, dürften auch die ihm allerorten attestierten Qualitäten als Ausnahme-Gitarrist endlich einmal zum Tragen kommen. Auf dieser Tour wechselten allerdings noch Licht und Schatten; der „mad axeman“ wurde seinem Ruf als unberechenbare Größe einmal mehr gerecht.