Hirnflimmern

Astrein hingeschleimt: Was Take That mit Friedrich Merz gemeinsam haben


Season’s Greetings aus dem Land der präventivinhaftierten Klimaaktivisten. Die Hirnflimmern-Kolumne von Josef Winkler aus dem ME 02/2023.

Musikalisch-herzliche Wintergrüße ergehen aus dem muschelig-huschelig verschneiten Bayern, wo – das muss ich momentan immer dazusagen, Schambewältigungsstrategie – auch um die Jahreswende und wohl bis weit in 2023 hinein Klimaaktivist*innen ohne Prozess und Anklage in sogenannter „Präventivhaft“ sitzen, die es so nur hier gibt, im zünftigverhunackelten Bayern! Und, wie gesagt, huschelig verschneit ist es auch, was natürlich diesen Aktivisten ordentlich die Luft aus den Segeln nimmt: Wo ist sie denn, die Erderwärmung? Vermaledeite Saukälte!

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Ja, kein Witz, es gibt noch Leute, die so „argumentieren“, ich habe letztens mal wieder ein Exemplar live erlebt. Ein Chor-Kollege referierte, es habe im Frühjahr 2022 soundso feuchte/kalte Monate gegeben, das passe doch alles nicht zusammen mit der Panikmache von wegen Erhitzung. Ich ersuchte ihn dringend, mit derlei Scheiß doch Ruhe zu geben, und jetzt ist er wieder sauer auf mich. Immer Ärger mit dem Bass, was nervt, weil der direkt vor mir steht. Bad vibes bei der Spatzenmesse …

Bad vibes bei der Spatzenmesse

Ja, Chor, Kirchenchor, klassisch. Kein Popchor! I’ve had it mit Popchören, seit ich vor Jahren einmal einem Popchorkonzert beiwohnte und die, äh, Leitenden (gemischte Doppelspitze) den Song „Short People“ von Randy Newman anmoderierten als irgendwie launig putziges Lied über Kinder. Die „kleinen Leute“ eben. Zum Ende des Konzerts hatte ich mich halbwegs aus meiner Schockstarre gelöst und raffte meine popcheckologische Autorität zusammen, um die Verantwortlichen über ihre hanebüchene Fehlinterpretation aufzuklären, ja: zu unterrichten!

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Worauf man mir gutgelaunt beschied, das sei ein interessanter Hintergrund, die Moderation passe aber an der Stelle so schön ins Programm, dass man sie doch beibehalten wolle. Expertise zur Kenntnis genommen und zugunsten der eigenen Realitätsblase links liegen gelassen: yes. So machen Borniertheit und Expertenfeindlichkeit auch die Bemühungen von uns Musikchecker*innen, im gesellschaftlichen Alltag segensreich zu wirken, immer öfter zunichte!

Eine astrein hingeschleimte Non-Apology à la Friedrich Merz

Wo waren wir? Ach ja, Klimawandel. Der bringt mich zu Take That. Doch, wirklich. Auf der Suche nach Deckung vor zu intensiver das Gemüt verdüsternder Klimawandelberichterstattung – Selbstschutzstrategie – flüchte ich heute immer wieder mal auf die Nostalgiepopwelle. Dort werde ich öfter, als mir lieb ist, mit „Back For Good“ konfrontiert, und erst mit modernem Wokeness-Vokabular kann ich nun benennen, was ich an dieser mittlerweile kanonisierten Schmonzette schon immer völlig lahm fand: „Whatever I said, whatever I did, I didn’t mean it.“

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Also: Typ weiß nicht mal mehr, was er für schreckliches Zeug geredet und was für Mist er gebaut hat, es interessiert ihn auch nicht, es war jedenfalls alles nicht so gemeint, und sie soll ihn jetzt bitte back for good nehmen. Eine astrein hingeschleimte Non-Apology à la Friedrich Merz! Damit würde man heute keinen Stich mehr machen. Oder auch doch.

Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 02/2023.